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# taz.de -- Unternehmensberater über Kohlekraftwerke: „Der Ausstieg wird lan…
> Ben Schlemmermeier von der LBD-Beratungsgesellschaft erklärt, warum
> Kohlekraftwerke trotz finanzieller Verluste nicht stillgelegt werden.
Bild: Im Hamburger Steinkohlekraftwerk Moorburg fehlen rund 180 Millionen Euro …
taz: Die deutschen Braunkohlekraftwerke haben im ersten Halbjahr 600
Millionen Euro Verlust gemacht. Wie sieht das bei der Steinkohle aus?
Ben Schlemmermeier: Wenn man als Maßstab die Vollkosten für die
Investitionen nimmt, kann man sagen: Da werden weder die Abschreibungen
verdient noch wird das Kapital verzinst. Beim Kraftwerk Moorburg in Hamburg
wären dafür rund 360 Millionen Euro pro Jahr Rohmarge aus dem Stromverkauf
erforderlich. Es fehlen aber um die 180 Millionen.
Gilt das für alle Steinkohlekraftwerke?
Das gilt für die neueren Kraftwerke, die nach 2000 gebaut wurden – die ihre
Kapitalkosten nicht amortisieren. Die Bauentscheidungen wurden 2005 bis
2010 getroffen. Natürlich würde in der aktuellen Marktsituation niemand
mehr ein Kohlekraftwerk bauen. Trotzdem wurden in dieser Zeit um die 20
Milliarden Euro in die Steinkohle investiert, die am Ende des Tages keinen
Wert mehr haben.
Warum wird Moorburg dann nicht abgeschaltet?
Das liegt an der Finanzkraft des Eigentümers. Die jährlich 180 Millionen
müssen ja nicht nachgeschossen werden, sondern fehlen, um Abschreibungen
und Zinsen zu decken. Und da das Geld ausgegeben ist, ist man froh über
jeden Euro Deckungsbeitrag, der den Schmerz lindert. Der Weiterbetrieb ist
deshalb wirtschaftlicher als die Stilllegung.
Es geht in dieser Ökonomie also nicht mehr um Gewinne, sondern um
Verminderung der Verluste?
Nach vorn gerichtet zählt allein die Frage: Erziele ich
Einnahmeüberschüsse, also Stromerlöse minus Brennstoffe minus
CO2-Zertifikate minus Betriebsmannschaften minus Instandhaltung, bleibt da
was übrig, und solange da 10 Euro übrig bleiben, wird man dieses Kraftwerk
betreiben.
Wenn der Mindestpreis bei 40 Euro pro Tonne CO2 läge – müssten sie dann
zumachen?
Ja – aber nur, wenn es ein anderes Kraftwerk gäbe, das den Strom zu
niedrigeren Grenzkosten erzeugt und an der Börse anbietet. Im heutigen
Marktumfeld wäre dies ein Gaskraftwerk. Um die Kohlekraftwerke zu ersetzen,
müssten aber die Kapazitäten erst einmal errichtet werden. Das setzt eine
Genehmigung voraus, die dauert drei bis fünf Jahre. Und es setzt voraus,
dass ein Investor eine Investitionsentscheidung trifft. Das heißt, er sagt
nicht nur: Das rechnet sich heute. Sondern er sagt: Das rechnet sich über
die Lebensdauer von 20 Jahren. Bei den Unsicherheiten am Markt wird er das
nicht tun. Also wird ein CO2-Preis zunächst einmal nicht zu einer
Abschaltung der Kohlekraftwerke der neueren Generation führen. Die
Kohlekraftwerke der älteren Generation, also mit Baujahr vor 2000, liegen
heute schon häufig im Minus. Sie müssten aus wirtschaftlichen Gründen
stillgelegt werden, müssen aber zu Erhalt der Versorgungssicherheit zur
Verfügung stehen. Diese werden erst stillgelegt, wenn Gaskraftwerke die
Kapazität anbieten.
In der Öffentlichkeit ist das so kein Thema …
Das ist das große verdrängte Thema. Es wird viel darüber nachgedacht, wie
man aus der Kohle aussteigt und welche Entschädigungen fällig werden, aber
sehr viel weniger darüber, wie schaffen wir den Ersatz an Leistung. Und da
gehöre ich zu den Pessimisten. Bei den Fristen, bis neue Kraftwerke am
Markt sind, und bei den fehlenden Regeln, die erwarten ließen, dass man die
auch wirtschaftlich betreiben kann, wird der Kohleausstieg sehr lange
dauern. Ich sag es mal anders: Würde der Markt an den Markt glauben, dann
würden alle sagen, jawohl, Deutschland steigt aus der Kohle aus, Gesetze
sind in Arbeit, lasst uns mal Kraftwerksprojekte entwickeln, wir wollen ja
nicht im Dunkeln sitzen. Macht aber keiner.
Man kann das also nicht einfach über den CO2-Preis regeln?
Der Strommarkt ist kein natürlicher Markt. Beim Brötchenkaufen oder
Kaffeetrinken geht man dahin, wo einem das Angebot gefällt. Dadurch
entsteht ein Markt. Der Strommarkt entsteht erst durch die Regeln, die wir
festlegen. Damit Strom gehandelt werden kann, braucht man die Regel, dass
jeder das Netz als natürliches Monopol zu gleichen Bedingungen nutzen darf.
Wenn der Strom an der Börse gehandelt wird, werden jeden Tag um 12 Uhr die
Gebote für Stromlieferungen am Folgetag abgegeben, im Stundenrhythmus.
Diese Regeln wurden von amerikanischen Professoren entwickelt, die in den
80er Jahren Effizienz und Wettbewerb im amerikanischen Stromsektor
durchsetzen wollten. Wir leben mit unserem Strommarkt also in einer
80er-Jahre-Welt. Nur geht es heute um ein neues Ziel: Dekarbonisierung.
Dafür brauchen wir neue Strommarktregeln, einen neuen gesetzlichen Rahmen,
also ein neues Marktdesign.
Wie könnte der neue Rahmen aussehen?
Zuallererst brauchen wir einen Grundkonsens auf politischer Ebene, so etwas
wie ein Grundgesetz für den Energiemarkt, das jeder Abgeordnete versteht.
Im Moment haben wir 10.000 Seiten an Gesetzen, Verordnungen, Anleitungen
der Bundesnetzagentur. Deshalb wird das Energierecht nur noch von
Lobbyisten und Verwaltungsbeamten behandelt, nicht mehr im Parlament. Dann
kommen die Detailbausteine: Netzregulierung – da wird sich vermutlich nicht
so viel ändern. Umgang mit CO2: Das muss sektorübergreifend, nämlich über
den jeweiligen Brennstoff gesteuert werden. Dabei geht es auch um
Verteilungsfragen, etwa darum, ob die privaten Konsumenten die Industrie
subventionieren. Dann brauchen wir ein Anreizsystem, damit neue
Kraftwerkskapazitäten in den Markt kommen, das heißt, es muss ein Investor
einen stabilen Preis bekommen für die Bereitstellung des Kraftwerks. Und
wir müssen die Genehmigungsverfahren überarbeiten, damit erneuerbare
Energien, Wind und Solar, gebaut und die Anlagen amortisiert werden. Dafür
brauchen wir einen neuen Interessenausgleich zwischen Raum- und Naturschutz
auf der einen Seite und Klimaschutz sowie Versorgungssicherheitsinteressen
auf der anderen Seite.
Das klingt jetzt etwas ungemütlich.
In Zukunft wird Strom auch für Wärmeerzeugung und individuelle Mobilität
genutzt werden. Strom ist der Rohstoff der Zukunft. Deshalb geht es um
Kompromisse zugunsten des Klimaschutzes. Nur müssen wir dann auch über
angemessene Kompensationen reden, damit die Lasten nicht einseitig verteilt
werden.
14 Aug 2019
## AUTOREN
Roland Schaeffer
## TAGS
Energiewende
Kohlekraftwerke
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Klima
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