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# taz.de -- Horst Seehofer zu Tötung in Frankfurt: Der Rechtsstaat und die Gew…
> Der Innenminister bricht nach dem tödlichen Angriff auf ein Kind seinen
> Urlaub ab. Nun spricht er von Sicherheitsmaßnahmen und Werteverfall.
Bild: Nicht einfach zur Tagesordnung übergehen: Gedenken an das getötete Kind…
Berlin taz | Schnelle Erklärungsmuster greifen nicht im Fall der Gewalttat
von Frankfurt. Am Dienstagnachmittag äußert sich Bundesinnenminister Horst
Seehofer in Berlin zu den Vorgängen vom Montagmorgen. Der CSU-Politiker
sagt auf einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz: „Wir brauchen
dringend mehr Polizeipräsenz, auch die Bundespolizei braucht mehr Präsenz.“
Ihm gehe es nicht nur um den Fall am Frankfurter Bahnhof. „Wir haben seit
etlichen Tagen und Wochen schwerwiegende Delikte, die uns veranlassen zu
der Frage: Was ist der Grund? Das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung ist
sehr angespannt, solche Fälle wie gestern tragen dazu bei.“
Am Frankfurter Hauptbahnhof hatte am Montagmorgen ein Vierzigjähriger
[1][ein acht Jahre altes Kind und seine Mutter vor einen einfahrenden
Intercity-Express gestoßen]. Das Kind ist verstorben, die Frau hat
überlebt. Eine weitere von dem Mann attackierte Person, eine 78 Jahre alte
Frau, konnte sich in Sicherheit bringen. Der Täter wurde kurze Zeit nach
der Tat festgenommen.
Der Chef der Bundespolizei, Dieter Romann, der neben Horst Seehofer sitzt,
referiert, was über den Täter bekannt ist. Der eritreische Staatsangehörige
lebt seit 2006 in der Schweiz, er ist dort verheiratet und hat drei Kinder.
In der Schweiz hat er ein Bleiberecht; er hatte Arbeit und galt als gut
integriert. Polizeilicherseits sei er am Donnerstag vergangener Woche
auffällig geworden: Er hatte eine Nachbarin bedroht, sie gewürgt und in
ihrer Wohnung eingesperrt. Danach war er geflüchtet. Die Schweizer Polizei
hatte ihn zur Fahndung ausgeschrieben.
Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft Frankfurt hatte zuvor mitgeteilt,
dass der Mann bei seiner Festnahme weder betrunken war noch unter
Drogeneinfluss gestanden habe, dass der Hergang der Tat aber dafür spreche,
„dass man an eine psychische Erkrankung denkt“. Tatsächlich teilte die
Kantonspolizei Zürich am Dienstag mit, dass der Mann sich vermutlich in
psychiatrischer Behandlung befunden habe.
## AfD schürt gezielt rassistische Stimmung
Das ist die Nachrichtenlage. Doch wie stets, wenn es um besonders
willkürliche und grausame Taten geht, ist das öffentliche Interesse groß.
Und noch größer, wenn rechte Bundestagsabgeordnete wie Alice Weidel die
Stimmung in den sozialen Medien aufheizen. Die Fraktionsvorsitzende der AfD
hatte unmittelbar nach der Tat getwittert: „Schützt endlich die Bürger
unseres Landes – statt der grenzenlosen Willkommenskultur!“
Vier Wochen vor den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen, bei denen
die AfD gezielt rassistische Stimmung schürt, wird die Trauer über den Tod
eines Kindes maximal ausgebeutet.
Inzwischen weiß man, dass es sich bei dem Täter um einen aus dem
Nachbarland legal eingereisten Mann gehandelt hat. Auf diese Feststellung
legt auch der Bundesinnenminister großen Wert. „Der Mann ist legal in die
Bundesrepublik eingereist, ich sehe aufenthaltsrechtlich keinen
Änderungsbedarf.“
Gleichwohl: „Nach einem solchen Mord kann man nicht einfach zur
Tagesordnung übergehen.“ Wiederholt spricht Horst Seehofer von einer
„Werteerosion“ in der Gesellschaft. „Wir haben einiges erlebt in den
letzten Tagen und Wochen. Wenn fünfzig Jugendliche in Bayern glauben, sie
müssen eine Polizeiwache angreifen oder in einem Düsseldorfer Schwimmbad
Randale organisiert wird – das sind Dinge, die einen Werteverfall in
unserer Gesellschaft zeigen.“ Die Folge sei ein abnehmendes
Sicherheitsgefühl der BürgerInnen. Die Botschaft des Bundesinnenministers
lautet: Wir klären die Taten rückhaltlos auf und wenden für die Bestrafung
rechtsstaatliche Mittel an. Zudem werde die Bundesregierung Maßnahmen
ergreifen, um die Bevölkerung besser vor Straftaten zu schützen.
## Bahnhöfe sichern ist eine „komplexe Aufgabe“
Zum einen kündigt Seehofer eine größere Polizeipräsenz an Bahnhöfen an und
äußert sich optimistisch, dafür die nötigen Mittel aus dem Finanzressort zu
erhalten, Geld dürfe keine Rolle spielen. Er erneuert auch seine Forderung
nach einer stärkeren Videoüberwachung im öffentlichen Raum. Seehofer
betont, es handele sich um eine „komplexe Aufgabe“, weil es in Deutschland
[2][rund 5.600 Bahnhöfe mit völlig unterschiedlichen Strukturen] gebe.
Ausführlich geht der Innenminister auf Vorwürfe gegen die
Sicherheitsbehörden und das Innenministerium ein, vor allem rechte Gewalt
und Terror nicht ernst zu nehmen. „Von politischer Seite will ich sagen:
Uns sind Terror und Extremismus, gerade der rechte, nicht gleichgültig. Wir
bekämpfen diesen Bereich mit allen Mitteln des Rechtsstaates.“ Für die Zeit
nach seinem Urlaub kündigt er eine Reihe von Maßnahmen und Verboten an.
„Wir verfolgen Rechtsextremismus mit aller Härte, aber verfolgen Delikte
von Zuwanderern ebenso hart.“ Wegen der wachsenden Zahl antisemitischer
Straftaten in Deutschland plane er für die nächste Zeit eine Konferenz mit
Fachleuten und jüdischen VertreterInnen.
Bevor er auf Fragen von JournalistInnen eingeht, gibt er Holger Münch das
Wort. Auch der Präsident des Bundeskriminalamts spricht von einem
abnehmenden Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung, einer Polarisierung und
der Zunahme von Übergriffen. Münch nennt beispielhaft Drohungen gegen
Moscheen, Sprengsätze und Übergriffe auf LokalpolitikerInnen sowie den Mord
an dem hessischen CDU-Politiker Walter Lübcke Anfang Juni.
Der BKA-Chef kündigt dagegen drei Strategien an: die Durchsetzung der
Sicherheit im öffentlichen Raum, konsequentes Vorgehen gegen
StraftäterInnen sowie das Ahnden von Hass und Hetze, vor allem von rechts.
Der Innenminister sitzt neben ihm und nickt ein ums andere Mal.
## SPD bleibt seltsam still
Die im Bundestag vertretenen Parteien reagieren unterschiedlich auf die
Gewalttat von Frankfurt. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin
Göring-Eckardt erklärte: „Aus furchtbaren Taten und Leid dürfen nicht Hass
und Hetze entstehen. Ruhe, Vernunft und Besonnenheit sind angesagt und, wie
es gestern in Frankfurt geschah: Hilfe, Solidarität, Mitgefühl und
Zusammenstehen.“
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae fordert eine
umfassende Aufklärung. „Erst wenn alle Tatsachen auf dem Tisch liegen, sind
die rechtlichen Konsequenzen zu ziehen. Vorschnelle Bewertungen verbieten
sich.“
Seltsam still blieb es seitens der SPD-Bundestagsfraktion. Der
sozialdemokratische Oberbürgermeister von Frankfurt hatte sich noch am
Montag tief betroffen von der Tragödie in seiner Stadt geäußert. Die Tat
widerspreche „allem, wofür Frankfurt steht“, erklärte Feldmann via Twitte…
„Wir Frankfurter stehen zusammen, wir haken uns unter, wir helfen selbstlos
Menschen, wir retten sie aus der Not und sind füreinander da.“
30 Jul 2019
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## AUTOREN
Anja Maier
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