# taz.de -- Vergewaltigungen in Guatemala: Die Frauen haben keine Angst mehr | |
> In Guatemalas Bürgerkrieg wurden Frauen von Militärs vergewaltigt. 2016 | |
> gewannen erstmals Opfer vor Gericht. Die Entschädigung steht aber aus. | |
Bild: „Colectiva Jalok U“: die Frauen, die das Schweigen gebrochen haben | |
SEPUR ZARCO taz | Zwei Kilometer vom Marktplatz von Sepur Zarco entfernt | |
steht das windschiefe Haus von Demesia Yat. Die 64-jährige zierliche | |
Guatemaltekin lebt zusammen mit ihrem Mann in sehr einfachen Verhältnissen. | |
Aus Baumstämmen ist ihr wellblechgedecktes Haus zusammengezimmert. Aus | |
Weidenruten sind die Wände; sie wurden auf Dachlatten genagelt und enden in | |
der gestampften Erde. Eigentlich will sie irgendwann umziehen, auf das | |
große Areal direkt neben der Kirche und dem Marktflecken des kleinen Ortes. | |
Dorthin, wo sich früher der Militärposten befand. | |
Sepur Zarco liegt im Nordosten Guatemalas am Rande der Ölpalmenregion von | |
Izabal und ist fünf Fahrtstunden von Guatemala Stadt entfernt. Das | |
Militärcamp, das dort war, haben Demesia Yat und ihre Mitstreiterinnen in | |
traumatischer Erinnerung. „Dort haben wir unser Martyrium erlebt, wurden | |
festgehalten, vergewaltigt, mussten den Soldaten über Monate zu Diensten | |
sein. Das haben wir nach langem Schweigen angezeigt und seit dem Prozess | |
haben wir einen Anspruch auf das Areal“, sagt sie. Dort wollen sie sich mit | |
ihren Familien niederlassen und einen Ort der Erinnerung schaffen. | |
[1][Der Prozess war ein Wendepunkt] im Leben von Demesia Yat. Sie gehört | |
der Ethnie der Maya-Q’eqchi an, kann weder schreiben noch lesen und hat aus | |
Angst, wie viele andere Frauen auch, lange geschwiegen. „Erst mit der Klage | |
haben wir die Angst überwunden, das Schweigen gebrochen und unsere Würde | |
wiedererlangt. Das ist nicht nur für uns, sondern für alle Frauen in | |
Guatemala wichtig“, meint die Sprecherin des „Colectiva Jalok U“. | |
Zu diesem Kollektiv haben sich die missbrauchten Frauen der Region | |
zusammengeschlossen. Haupttäter waren zwei Militärangehörige, die sich zu | |
Beginn der 1980er Jahre wie Allmächtige aufführten: Leutnant Esteelmer | |
Reyes Girón und Militärkommissar Heriberto Valdez Asij. | |
## Das Unaussprechbare erinnern | |
Die beiden sind für die Ermordungen von mindestens sieben Männern, darunter | |
der damalige Ehemann von Demesia Yat, verantwortlich, aber auch für den | |
wiederholten Missbrauch und die monatelange sexuelle Versklavung von | |
mindestens fünfzehn Frauen aus der Umgebung von Sepur Zarco. | |
Die Frauen des Colectiva Jalok U haben sich 2011, mehr als zwanzig Jahre | |
nach den Taten, entschieden, auszusagen und Klage gegen ihre Peiniger zu | |
erheben. „Wir hatten Angst vor Vergeltung, die beiden Männer liefen hier in | |
der Region frei herum, waren einflussreich“, erinnert sich Demesia Yat. | |
Erst als andere Opfer der Militärgewalt nach Sepur Zarco gekommen seien und | |
ihre Erfahrung schilderten, hätten sie umgedacht. | |
Ihr fällt es bis heute schwer, sich an das „Unaussprechbare“ zu erinnern, | |
sie muss sich überwinden, dabei half der Kontakt zu den Psychologen der | |
Hilfsorganisation ECAP und später der zur Anwältin Paula Barrios. Erst die | |
Aussagen der Frauen führten schließlich im Februar 2016 zu dem | |
aufsehenerregenden Prozess. | |
Für viele guatemaltekische Frauen war der Sepur-Zarco-Prozess sogar | |
wichtiger als der gegen Ex-Diktator Efrain Rio Montt, weil er das Thema der | |
sexuellen Gewalt im Bürgerkrieg von 1960 bis 1996 zum ersten Mal in die | |
Öffentlichkeit trug. Dass zwei Militärangehörige wegen wiederholter | |
Vergewaltigung, sexueller Versklavung und mehrfachen vorsätzlichen Mordes | |
angeklagt wurden, war ein Novum in ganz Mittelamerika. | |
## Warten auf das Land | |
Als die beiden Angeklagten am 26. Februar 2016 von der Richterin Yassmín | |
Barrios und ihren beiden Kollegen einstimmig für schuldig befunden und zu | |
Haftstrafen von 120 Jahren beziehungsweise 240 Jahren verurteilt wurden, | |
war das eine Sensation und zugleich für viele Frauenorganisationen in | |
Mittel- und in Südamerika ein Hoffnungsschimmer. | |
„Mit dem Urteil hat sich für uns vieles geändert“, sagt Demesia Yat und | |
fährt sich über die graumelierten, zum Zopf zusammengebundenen Haare. | |
„Heute werden wir in der Gemeinde respektiert, nicht mehr als | |
Soldatenbräute diskriminiert. Das ist viel wert, aber wir warten weiterhin | |
auf die vollständige Umsetzung des Urteils. Uns fehlt noch das Wichtigste“, | |
sagt sie: das Areal der einstigen Militärbasis. | |
Sie ist es leid darauf zu warten, dass der guatemaltekische Staat die | |
Wiedergutmachungsleistungen erfüllt, zu denen er verurteilt wurde. Im | |
Urteil ist festgelegt, dass die Schulsituation sowie die | |
Gesundheitsversorgung in der Region verbessert und dass das Grundstück, auf | |
dem sich das Militärcamp befand, vom Staat gekauft werden muss. Es soll den | |
Opfern zugutekommen. | |
Auf dem Gebiet wollen die Opfer ein Sozialzentrum sowie einen Ort der | |
Erinnerung aufbauen, aber auch in den Häusern wohnen, die die Regierung | |
ihnen bauen muss. Das ist die einzige persönliche Entschädigung, die die | |
fünfzehn Frauen, von denen eine bereits vor Prozessbeginn verstarb, | |
verlangt haben. | |
## Regierung und Militärs sind eng verbandelt | |
Das Urteil hat zwar Bestand, jedoch haben längst nicht alle betroffenen | |
Frauen die Energie von Demesia Yat. Sie fährt weiterhin nach | |
Guatemala-Stadt, zeigt Präsenz und wird gemeinsam mit Anwältin Paula | |
Barrios und ihrem Team von der Frauenorganisation Mujeres tranformando el | |
Mundo (Frauen, die die Welt verändern) in den Ministerien vorstellig und | |
fordert die Umsetzung des Urteils ein. | |
Rosa Tuil, die direkt um die Ecke der Kirche von Sepur Zarco auf dem | |
Grundstück ihres Sohnes lebt, ist müde. „Wir stehen mit leeren Händen da. | |
Ich habe den Eindruck, dass die Regierung das Urteil nicht interessiert. | |
Vielleicht weil wir Maya, weil wir Indigene sind“, sagt sie genervt und | |
schüttelt den Kopf, so dass ihre langen Ohrringe ins Schwingen kommen. | |
Sie hat die letzten Fahrten nach Guatemala-Stadt nicht mehr mitgemacht, | |
weil sie weiß, dass die noch amtierende [2][Regierung] von Jimmy Morales | |
eng mit den Militärs verbandelt und [3][obendrein korrupt ist]. | |
Das Grundstück ist noch immer in Privatbesitz. Es wurde den Militärs im | |
Bürgerkrieg von einer Großgrundbesitzerfamilie zur Verfügung gestellt – | |
nicht zuletzt, um den Forderungen der Bevölkerung nach einer Landreform | |
entgegenzutreten. | |
## Korrupte Unternehmen und patriarchale Morde | |
Die Konzentration des Ackerlandes in den Händen weniger Familien war und | |
ist auch heute noch ein Kernproblem in Guatemala. Daran hat sich auch mit | |
dem Friedensvertrag von 1996, der den seit 1960 währenden, extrem blutigen | |
Konflikt beendete, kaum etwas geändert. | |
„Daran will auch Guatemalas Präsident Jimmy Morales, hinter dem das Militär | |
und ein erzkonservativer und korrupter Kreis von Unternehmern steht, nichts | |
ändern“, meint Paula Barrios, die Anwältin der „Großmütter von Sepur Za… | |
wie die Frauen in Anlehnung an die Mütter des Playa de Mayo aus Argentinien | |
in Guatemalas genannt werden. | |
„An den patriarchalen Strukturen hat sich nichts geändert. Im | |
Jahresdurchschnitt werden mehr als 700 Frauen in Guatemala ermordet – von | |
ihren Männern, von Vergewaltigern. Kaum eines dieser Verbrechen wird | |
aufgeklärt“, kritisiert Paula Barrios, Juristin und Frauenrechtlerin. | |
Aufgrund ihrer hartnäckigen Recherchen weiß sie mittlerweile, wem das | |
Grundstück gehört und was der Besitzer dafür haben will. „23 Millionen | |
Quetzales sind es, rund drei Millionen US-Dollar“. Geld, welches die | |
Ministerien in Guatemala-Stadt bisher nicht bewilligt haben. | |
Immerhin hatte das ständige Insistieren von Barrios und der Frauen um | |
Demesia Yat in drei anderen Punkten Erfolg. Sowohl die Grund- als auch die | |
weiterführende Schule in Sepur Zarco sind renoviert und erweitert worden. | |
Am Ortseingang steht zudem ein weißer Lkw-Anhänger: die mobile Klinik. | |
Es sind kleine Erfolge, die dazu beitragen, dass Demesia Yat weitermachen | |
will. „Zwar ist es unwürdig, wie die aktuelle Regierung mit uns umgeht, | |
aber ich habe gelernt, dass wir der nachwachsenden Generation ein Beispiel | |
sein müssen. Also kämpfe ich“, sagt sie. Dann blickt sie zu ihren drei | |
Enkelkindern, die gerade durch die Hintertür ins Haus kommen. Am 11. August | |
wird die Stichwahl um die Präsidentschaft in Guatemala stattfinden. Die | |
Chancen, dass eine progressive Regierung übernimmt, stehen nicht allzu gut. | |
9 Jul 2019 | |
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## AUTOREN | |
Knut Henkel | |
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