# taz.de -- Rapperin über Frauen in Guatemala: „Gegen uns wird ein Krieg gef… | |
> Die guatemaltekische Rapperin Rebeca Lane ist ein Größe im Latino-Hiphop. | |
> Ein Gespräch über indigenen Feminismus. | |
Bild: Am Frauentag protestierten tausende Frauen gegen Femizide | |
taz: Frau Lane, Sie werden international dafür gefeiert, als Rapperin in | |
der männerdominierten HipHop-Szene mitzuhalten. Hat das in Zentralamerika | |
noch mal eine besondere Bedeutung? | |
Rebeca Lane: Feminismus und der Kampf für Frauenrechte sind für mich die | |
zentralen Themen, einfach weil Frausein in Zentralamerika bedeutet, in | |
einem permanenten Krieg zu leben. Mein Aktivismus hat viel damit zu tun, | |
über diese Dinge zu sprechen. Über die Situation in Zentralamerika. Und | |
auch über das Überleben allgemein – wir müssen nämlich Tag für Tag sehen, | |
wie wir überleben. | |
Wie meinen Sie das? | |
Nur ein Beispiel: Als junger Mensch in El Salvador zu leben, ist praktisch | |
ein Todesurteil, vor allem wenn man zur HipHop-Szene gehört. Allein in den | |
ersten vier Monaten dieses Jahres wurden in El Salvador fünf Compañeros aus | |
der HipHop-Szene ermordet. Noch immer existieren Diktaturen in | |
Zentralamerika. Nach all den Kriegen, die stattgefunden haben und immer | |
noch stattfinden, muss die Frage nach Gerechtigkeit gestellt werden. | |
Deswegen ist die Aufarbeitung der Vergangenheit in Zentralamerika ein so | |
wichtiges Thema. | |
Am 1. April verstarb Ríos Montt, der guatemaltekische Exdiktator. Der | |
Genozid an der indigenen Ixil-Bevölkerung in den achtziger Jahren bleibt | |
damit ungestraft. Was bedeutet das für die Gesellschaft Guatemalas? | |
In Guatemala gibt es ein Sprichwort: „Wie traurig, dass der Tod vor der | |
Gerechtigkeit kommt.“ Ich glaube nicht, dass sich mit dem Tod von Ríos | |
Montt viel verändern wird. Immer noch halten viele Menschen an der | |
Vorstellung fest, Männer wie er seien unsere Retter gewesen, weil sie | |
Guatemala angeblich vor dem Kommunismus bewahrt haben. Es gibt starke | |
rechte, militärische und antikommunistische Kräfte in Guatemala. Und es ist | |
besorgniserregend, dass wir nur eine kleine Minderheit sind, die sich für | |
die Aufarbeitung der Vergangenheit, für Wahrheitsfindung und Gerechtigkeit | |
einsetzt. | |
Was sind in diesem Kontext die konkreten Herausforderungen der | |
feministischen Bewegung? | |
Die größte Herausforderung sind die Femizide. Uns Frauen wird konstant und | |
systematisch das Leben genommen. Außerdem ist es schockierend, wie viele | |
Mädchen sexuellen Missbrauch erleben. Im Durchschnitt sind die Mädchen | |
zwischen sieben und zwölf Jahre alt, wenn sie zum ersten Mal sexuell | |
missbraucht werden. Und das Schlimmste daran ist, dass die meisten | |
Vergewaltigungen im eigenen Zuhause stattfinden. Es ist der Vater, der | |
Bruder, der Cousin, der Großvater. Als Frau ist es schwierig, in einem | |
solchen Umfeld zu überleben, weil ein Krieg gegen uns und unsere Körper | |
geführt wird, von klein auf. In unserer Region Feministin zu sein bedeutet, | |
sich vielen Gefahren auszusetzen. Und für all diese strukturellen Probleme | |
sind die Staaten verantwortlich. | |
Inwiefern? | |
Guatemala ist ein Land, in dem es keine Sexualerziehung gibt. Wenn man dort | |
versucht, Aufklärungsmaterial zu verbreiten, hat man direkt mit | |
juristischen Konsequenzen zu rechnen. Hier wird uns Frauen das Recht | |
genommen, uns zu informieren und selbst über unsere Körper zu bestimmen. In | |
El Salvador, Honduras und Nicaragua ist die Situation noch schlechter, dort | |
herrscht ein absolutes Abtreibungsverbot. | |
Sie setzten alldem etwas entgegen, indem Sie zum Beispiel HipHop-Workshops | |
für Frauen geben. Wie kann HipHop zum Empowerment von Mädchen und Frauen | |
beitragen? | |
Das Empowerment beginnt in dem Moment, wo du einer Frau einen Zettel und | |
einen Stift in die Hand drückst und sagst: „Erzähl mir von dir.“ Dann | |
entstehen diese kleinen Räume der Freiheit. Die Mädchen und Frauen erzählen | |
ihre Geschichten, teilen ihre Trauer, aber auch ihre Kämpfe und Stärken. | |
Ich gebe in meinen Workshops keinen „Feminismusunterricht“, sondern die | |
Frauen empowern sich gegenseitig. Das ist ein Schlüssel des HipHop. Viele | |
Rapperinnen haben so angefangen, ihre Geschichten zu erzählen, aufzustehen | |
und die Stimme zu erheben. | |
In Ihrem neuen Album „Obsidiana“ setzen Sie sich unter anderem mit dem | |
Feminismo Comunitario (dt.: kommunitärer Feminismus) auseinander – ein | |
Konzept, das hier in Europa kaum bekannt ist. Was steckt dahinter? | |
Das Besondere am Feminismo Comunitario hier in Zentralamerika ist, dass die | |
bestehenden Kämpfe um Territorien mit der Verteidigung des weiblichen | |
Körpers verbunden werden. Das ist indigenen Frauen zu verdanken, die seit | |
Langem gemeinsam mit ihren männlichen Compañeros im Kampf um Territorien, | |
Land und Flüsse organisiert sind. Sie haben eine Diskussion darüber | |
angestoßen, dass auch die Körper von Frauen einer ständigen Gefahr | |
ausgesetzt sind und ebenso als Territorium des Kampfes angesehen werden | |
müssen. Und sie setzten sich mit der Rolle der Frau in den verschiedenen | |
indigenen Gesellschaftsbildern Zentralamerikas, der Maya, Lenca und Xinca | |
auseinander. | |
Warum das? | |
Es wird oft so dargestellt, als sei der Machismo erst durch die | |
Kolonialisierung nach Lateinamerika gebracht worden. Es stimmt zwar, dass | |
Frauen vor der Kolonialisierung nicht das gleiche Ausmaß an Ausbeutung und | |
Unterdrückung erlebten, aber dennoch gab es auch in den früheren | |
Gesellschaftsformen patriarchale Strukturen. Es ist unglaublich mutig und | |
schwierig, diese Fragen aufzuwerfen – denn es bedeutet, jene Überzeugungen | |
und Traditionen herauszufordern, um deren Erhalt gleichzeitig gekämpft | |
wird. | |
Was verbindet Sie mit den Kämpfen dieser indigenen Frauen? | |
Ich bin selbst nicht Teil der Kämpfe des Feminismo Comunitario, da ich | |
nicht auf indigenem Territorium lebe. Ich komme aus der Stadt, wo ich mit | |
vielen Privilegien aufgewachsen bin. Ich hatte Zugang zur höheren Bildung | |
und wurde in meinem eigenen Land nie diskriminiert. Meine Verbindung zu den | |
indigenen Aktivistinnen ist, dass ich unglaublich viel von ihnen lernen | |
kann. Es ist eine Herausforderung, die Kämpfe indigener Frauen sichtbar zu | |
machen und sie zu unterstützen, ohne dass wir dabei das Wort an uns reißen | |
oder unsere Bedürfnisse über ihre stellen. Die indigenen Frauen Guatemalas | |
sind die Gruppe, die am stärksten diskriminiert wird. Daher versuche ich, | |
die Plattformen zu nutzen, zu denen ich Zugang habe, um ihre Themen | |
aufzugreifen. | |
Ist denn der Feminismo Comunitario mit westlichen Feminismen vergleichbar? | |
Der Feminismo Comunitario ist ganz anderen Fragen und Realitäten | |
ausgesetzt. Es geht nicht um individuelle Rechte und die gleiche Bezahlung | |
von Männern und Frauen, sondern ganz grundsätzlich um die Ablehnung der | |
kapitalistischen Ausbeutung und des Zwangs zur Entwicklung nach | |
europäischem Vorbild. Die Gemeinden sind ständig mit dem strukturellen | |
Rassismus vonseiten des Staates konfrontiert. Die Frage ist: Wie können | |
Frauen in diesem Kontext Kritik üben und feministische Forderungen stellen, | |
ohne, dass es zur Spaltung der Gemeinschaft führt? | |
Gibt es trotzdem Verbindungen zwischen den Kämpfen hier in Europa und Ihrem | |
Aktivismus in Zentralamerika? | |
Nicht wirklich. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass unsere Realitäten sehr | |
unterschiedlich sind. Hier in Europa geht es viel um Begriffe und | |
politische Korrektheit, und das erschwert manchmal das Verständnis für den | |
Kontext, aus dem ich komme und der komplex und sehr konfliktbehaftet ist. | |
Können Sie ein Beispiel nennen? | |
Ich erinnere mich an einen Vortrag, den ich in Spanien gehalten habe. Als | |
es darum ging, dass der weiße Feminismus nicht den Bedürfnissen aller | |
Frauen auf der Welt gerecht wird, rasteten die weißen Frauen total aus. Sie | |
konnten sich nicht vorstellen, dass alle Bücher, die sie gelesen hatten, | |
nichts wert sein sollten. Aber darum geht es gar nicht. Natürlich haben | |
diese Bücher ihren Wert – in dem Kontext, in dem sie geschrieben wurden. | |
Aber nicht alles steht in Büchern. Es ist sehr europäisch, dem rationalen | |
Wissen mehr Bedeutung zuzuschreiben als den Alltagserfahrungen der Frauen | |
um uns herum. Manchmal bringt es mehr, einander zuzuhören und Erfahrungen | |
zu teilen. Auch das ist sehr feministisch. | |
1 Jul 2018 | |
## AUTOREN | |
Julia Wasenmüller | |
Steffi Wassermann | |
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Guatemala | |
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