| # taz.de -- Autor über Guatemalas Bürgerkrieg: „Die Kontinuität ist schmer… | |
| > Vor über 20 Jahren endete die große Repression in Guatemala. Arnoldo | |
| > Gálvez Suárez beschreibt die Zeit in seinem neuen Roman. | |
| Bild: Arnoldo Gálvez Suárez interessiert, wie die Militärelite in Guatemala … | |
| taz am wochenende: Arnoldo Gálvez Suárez, in Ihrer Erzählung trifft | |
| Alberto, ein junger Fotograf, im Supermarkt Mercedes Lima, eine ehemalige | |
| Studentin seines Vaters wieder. Fünfundzwanzig Jahren zuvor war der | |
| Universitätsprofessor ermordet worden. Nach der zufälligen Begegnung | |
| beginnt der Sohn der Frau zu folgen. Er will mehr über den Tod des Vaters | |
| erfahren. Zu welchem Kapitel der Geschichte Guatemalas führen seine | |
| Nachforschungen? | |
| Arnoldo Gálvez Suárez: Zu Beginn des Bürgerkriegs stand die staatliche | |
| Universität San Carlos de Guatemala im Zentrum der brodelnden politischen | |
| Ereignisse. Viele Professoren und Studenten wurden ermordet. Als | |
| Geschichtsprofessor wird Albertos Vater Zeuge der Ereignisse. Er blieb | |
| nicht völlig stumm und unbeteiligt, aber war doch eher distanziert. Ab 1989 | |
| regierte in Guatemala wieder eine zivile Regierung. Doch die Vormundschaft | |
| der Militärs war weiterhin deutlich spürbar. 1989, in dem Jahr, in dem der | |
| Konflikt bereits an Intensität verloren hat, stirbt der Professor. Ein | |
| Toter mehr in der Masse der an der Universität Ermordeten. Fünfundzwanzig | |
| Jahre später wird der Sohn feststellen, dass es so nicht war. | |
| Was erhofft Alberto durch Mercedes Lima zu finden? | |
| Der Tod des Vaters liegt für den Sohn unter einem Berg des Schweigens | |
| begraben. Das Leben der Eltern bleibt für uns häufig ein Rätsel. Das ist | |
| paradox, verbringen wir doch einen wichtigen Abschnitt gemeinsam. Aber über | |
| das Leben, das sie vor unserer Geburt geführt haben, erfahren wir nur | |
| anhand der Anekdoten, die sie oder andere uns erzählen. | |
| Im Grunde das Schlüsselthema Ihres Romans? | |
| Ich habe an das Leben meines eigenen Vaters in Guatemala und meine | |
| Beziehung zu ihm gedacht. Ich suchte nach dem eigenen Ort in der | |
| Geschichte. Ich fragte mich, ob es sein kann, dass die Vergangenheit einen | |
| so bestimmenden Platz in deinem Leben einnimmt, so dass sie fast | |
| gleichzeitig stattzufinden scheint? Eine traditionelle Erzählung entwickelt | |
| sich in chronologischer Kontinuität, in dem Buch wollte ich aber beide | |
| Geschichten parallel erzählen. | |
| Die Geschichte des Vaters und des Sohns wechseln zwischen Vergangenheit und | |
| Gegenwart. Wie sieht die Realität Guatemalas aus, in der Alberto lebt? | |
| Die heutige ist natürlich eine ganz andere als die des Vaters. Ich | |
| versuche, die Unterschiede durch die Struktur einer simultanen Erzählung | |
| herauszuarbeiten. Auch damit wir die historische Kontinuität erkennen | |
| können, die aus den Zeiten brutalsten Autoritarismus und politischer Gewalt | |
| herrührt. Diese Gewalt hat sich nach und nach in eine entpolitisierte | |
| verwandelt, wie wir sie heute in Guatemala erleben. Eine absurde Gewalt, | |
| die in den urbanen Zentren herrscht, die mit Drogenhandel und | |
| Bandenkriminalität einhergeht. | |
| Worin sehen Sie weitere Folgen des Bürgerkriegs? | |
| Ich glaube, in der Versuchung, Konflikte oder Streitigkeiten, egal welcher | |
| Art und wo auch immer, zuerst mit Gewalt lösen zu wollen. | |
| Mit den verschiedenen Protagonisten des Romans entwerfen Sie ein komplexes | |
| Bild der guatemaltekischen Gesellschaft. Etwa mit Leo, dem Betreiber eines | |
| Musiklokals, der eine undurchsichtige Figur in Ihrer Geschichte ist. | |
| Leo ist ziemlich widersprüchlich. Er ist in Geschäfte verstrickt, von denen | |
| wir wenig wissen, aber das Schlimmste annehmen. Für Guatemala ist er eine | |
| bezeichnende Figur. Wie viele andere floh er in den Jahren der Gewalt in | |
| die USA und baute sich dort eine Existenz auf. Man weiß nicht viel über | |
| ihn, auch ich selber nicht, für mich als Autor wäre es sonst schwierig | |
| geworden, die Figur so zweideutig anzulegen. Wir erfahren nur, dass Leo aus | |
| den USA ausgewiesen wird und diese Art Verein gründet, der als Anlaufstelle | |
| und Netzwerk für die zwangsweise aus den USA zurückgekehrten Guatemalteken | |
| fungiert. | |
| Und es gibt Mercedes Limas Onkel und Cousin – beide Angehörige des | |
| Militärs. | |
| Mich interessiert, wie die Militärelite in Guatemala so lange Macht ausüben | |
| konnte. Aber auch, wie man in ihren Familien lebte, welche Beziehungen und | |
| Vertrautheiten man pflegte. Mercedes Limas Verwandte gehören seit | |
| Generationen zum guatemaltekischen Militär. Sie sind in dem Roman ein | |
| Beispiel für eine Schicht, über die man wenig weiß. | |
| „Von einem Ufer zum anderen erstreckt sich immer ein Körper“ – dieses Zi… | |
| des mexikanischen Schriftstellers Octavio Paz haben Sie Ihrem Buch | |
| vorangestellt und übernehmen das Motiv der menschlichen Brücke in Ihrer | |
| Erzählung. Was verbinden Sie damit? | |
| Das Bild erlaubt mir eine nicht rationale, sondern vielmehr poetische | |
| Überlegung anzustellen. Für den Moment schafft Mercedes Lima eine Brücke, | |
| die temporär zwanzig Jahre des Schweigens, des Zweifelns und des Schmerzes | |
| schließt. Es ist ihr Körper, der Vater und Sohn miteinander verbindet. Sie | |
| ist die Brücke zwischen den beiden Geschichten. | |
| Obwohl Mercedes Lima für die Entwicklung der Geschichte zentral ist, wirkt | |
| sie als Figur im Roman doch überraschend passiv. Warum? | |
| Mercedes Lima kontrastiert durch ihren unerklärten inneren Antrieb die | |
| Charaktere der beiden anderen Frauen des Roman – Regina und Luisa, | |
| Partnerinnen von Vater und Sohn. Ohne dass man ihre Persönlichkeit so | |
| vollständig erfasst. Doch bei beiden Männern gibt es eine absolute Ignoranz | |
| und Unwissenheit gegenüber ihren Frauen. Sie wissen nicht, wer sie sind. | |
| Deren Innenleben erahnt man nur mit Mühe. | |
| Das heißt: Auch eine Generation später hat sich da gesellschaftlich nichts | |
| geändert? | |
| Das Verhältnis von Vater und Sohn zu ihren jeweiligen Partnerinnen ist | |
| absolut identisch. Diese Kontinuität ist schmerzhaft. Die Beziehungen | |
| zwischen Männern und Frauen sind oftmals gewalttätig und verletzend, davon | |
| wollte ich sprechen. In einem Land wie Guatemala ist solch ein Umgang in | |
| jeder Art von Beziehung möglich. Manchmal ist die Gewalt kaum sichtbar, | |
| manchmal sehr explizit. | |
| Gibt es heute, zwanzig Jahre nach Ende des Bürgerkriegs in Guatemala, auf | |
| politischer Ebene eine Aussicht auf Versöhnung? | |
| Ohne Zweifel hat uns der Friedensprozess gezeigt, dass Dialog und | |
| Kompromiss möglich sind. Er hat zum Ende des Kriegs zwischen Staat und | |
| Guerilla und zur Unterzeichnung der Friedensvereinbarungen 1996 geführt. | |
| Vielleicht keine Versöhnung, aber eine minimale Einigung. Die | |
| Friedensvereinbarungen haben sich zwar nicht in einen Teil der politischen | |
| Agenda verwandelt, als Möglichkeit sind sie aber in Erinnerung geblieben. | |
| 23 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Eva-Christina Meier | |
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