# taz.de -- Grünen-Politikerin über Organspenden: „Ein zentrales Element vo… | |
> Der Gesetzentwurf mit Widerspruchslösung ist ein Eingriff in das | |
> Selbstbestimmungsrecht, sagt die Grünen-Politikerin Kirsten | |
> Kappert-Gonther. | |
Bild: Ist die Widerspruchslösung der Weg zu mehr Organspenden? | |
taz: Frau Kappert-Gonther, haben Sie einen [1][Organspendeausweis]? | |
Kirsten Kappert-Gonther: Ja, und da steht drauf, dass ich im Fall meines | |
Todes Spenderin sein will … | |
Aber warum treten Sie dann mit [2][Ihrem Gesetzentwurf] gegen den Vorschlag | |
von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn an, [3][der die Zahl der | |
Organspenden steigern] soll? | |
Ich bin für Organspende. Und es ist notwendig, die Zahl der realisierten | |
Organspenden in Deutschland zu verbessern: Rund 10.000 Menschen warten hier | |
auf ein Spende-Organ – und es stehen deutlich zu wenige zur Verfügung. | |
Aber? | |
Um die Organspenderate zu verbessern, sind zwei Dinge entscheidend: | |
Strukturen und Vertrauen. Die Strukturen in den Krankenhäusern [4][müssen | |
verbessert werden]. Die sind das A und O, und sind [5][im Frühjahr endlich | |
gesetzlich reformiert] worden. | |
Dann ist das ja kein Argument mehr gegen die Widerspruchslösung … | |
Das Gesetz zur Verbesserung der Strukturen kann aber nur Wirkung entfalten, | |
wenn, Punkt zwei, das Vertrauen der Bevölkerung ins Organspendenwesen hoch | |
ist. Das Vertrauen wird durch die Widerspruchsregelung gefährdet. | |
Entscheidender ist aber: Die Widerspruchsregelung ist ein Eingriff in das | |
Selbstbestimmungsrecht der Menschen. Den lehne ich ab. | |
Wieso, die Entscheidung wird doch aktiv eingeholt? | |
Nein. Der [6][Entwurf des Bundesgesundheitsministers] reduziert sogar die | |
Informationspflicht: In dieser zutiefst persönlichen Frage auf | |
Uninformiertheit zu setzen, finde ich unredlich. Das Fehlen einer Antwort | |
würde als Ja gewertet: Selbst wenn ich jemandem meinen Newsletter | |
zuschicken will, brauche ich dessen schriftliche Einwilligung, was ich | |
richtig finde. Aber: Wenn es darum geht, wer bestimmt über meinen Körper, | |
was geschieht mit meinen Organen nach meinem Tod, werfen wir diese Regeln | |
einfach über Bord? Das wäre absurd! Schweigen darf nicht Zustimmung | |
bedeuten, nicht in einer so persönlichen und tiefgreifenden Entscheidung | |
über die letzten Dinge des Lebens. | |
Ist das eine Frage der Menschenwürde oder der Entscheidungsfreiheit? | |
Das hängt miteinander zusammen: Die Selbstbestimmung über die letzten Dinge | |
ist ein zentrales Element von Würde. Sie ist auch ein ganz zentrales | |
Element von demokratischer Gesellschaft. | |
Allerdings sagt die ja: Organspende ist gut, und trotzdem gibt’ s zu wenig | |
Spenderausweise. Ist der Eingriff in die Entscheidungsfreiheit denn so | |
groß, wenn die Entscheidung latent gefallen ist, bloß nicht artikuliert | |
wurde? | |
So eine Entscheidung lässt sich nicht aus einem Konsens ableiten, sie muss | |
immer individuell getroffen werden. Es gibt Menschen, die sich zu | |
verschiedenen Zeiten ihres Lebens nicht entscheiden können. | |
Wer? | |
Das sind zum Beispiel Menschen in seelischen Krisen oder mit psychischen | |
Erkrankungen. Sie sind in der Regel in dieser Situation damit überfordert, | |
[7][sich mit der Frage der Organspende zu befassen]. Oder Menschen, die | |
extrem von ihrem Alltag beansprucht sind, durch die Suche nach einer | |
Wohnung, durch Kinderziehung. Es gibt sehr viele Gründe, warum man sich in | |
bestimmten Phasen des Lebens mit letzten Fragen nicht auseinandersetzen | |
kann. | |
Und die Betroffenen würden zur Verfügungsmasse? | |
Wenn die Widerspruchsregelung scharf gestellt wird, heißt das: Wer nicht | |
widersprochen hat, hat zugestimmt. Wer nicht imstande war, zu | |
widersprechen, [8][ist dann] potenzieller Organspender. Das halte ich für | |
unlauter. | |
Wenn die Widerspruchsregelung in 20 von 28 Staaten der EU gilt, warum soll | |
sie in Deutschland ein Problem sein? | |
Die Frage impliziert, dass die Widerspruchslösung die Organspendequote | |
erhöhen würde – und das ist nachweislich nicht der Fall, das hat eine | |
britische Studie gerade erst eindrucksvoll [9][gezeigt]. | |
Sie hätte gar nicht den erwünschten Effekt? | |
Nein, sie hat tatsächlich [10][keinen Einfluss] auf die realisierte | |
Organspenderate. Wir waren mit dem Gesundheitsausschuss in Spanien, um vom | |
Organspendeweltmeister zu lernen. | |
Der eine Widerspruchslösung hat! | |
Ja, auf dem Papier. | |
Aber? | |
Alle, mit denen wir gesprochen haben, sowohl der Direktor des größten | |
[11][Organspendezentrums] als auch die Fach-PolitikerInnen sowie die Chefin | |
der dortigen t[12][ransplantationsmedizinischen Organisation], Beatriz | |
Domínguez-Gil, haben uns mitgeteilt, dass die Widerspruchslösung zwar im | |
Gesetz verankert ist, aber nicht praktiziert wird. | |
Was heißt das? | |
Das bedeutet, keinem Menschen wird in Spanien im Todesfall ein Organ | |
entnommen, wenn nicht entweder eine ausdrückliche Erklärung vorliegt oder | |
die Angehörigen glaubhaft versichern können, dass es im Sinne des | |
Verstorbenen wäre, die Organe zu entnehmen. Das hat uns Professorin | |
Domínguez-Gil in interner Anhörung im Bundestag kürzlich noch einmal | |
ausdrücklich versichert. | |
Trotzdem müssen Sie doch am Missverhältnis zwischen der hohen Zahl derer, | |
die spenden wollen – und der kleinen Zahl, die das nur mit einem | |
Spenderausweis bekundet, ansetzen. Woher kommt das? | |
Dafür gibt es mehrere mögliche Gründe. Es fällt grundsätzlich schwer, sich | |
mit den Fragen des eigenen Tod auseinanderzusetzen. Keiner von uns weiß, | |
wie es ist, nach unserem Tod. Und die meisten haben wenig Vorstellung | |
davon, was Transplantationsmedizin bedeutet. Auch gibt es sicher eine | |
gewisse Trägheit, sich einen Organspendeausweis zu besorgen. Da setzt unser | |
Gesetzentwurf an. | |
Konkret? | |
Jeder Mensch, der einen Pass oder Perso beantragt oder verlängert, wird | |
direkt in der Behörde gebeten sich der Frage zu stellen, ob man | |
Organspender sein will. Dort findet keine Beratung statt. Dafür schaffen | |
wir die Möglichkeit der medizinischen Aufklärung: Hausärzte sollen | |
vertiefende Patientengespräche zum Thema Organspende anbieten und abrechnen | |
können. So werden mehr Menschen erreicht. Das wird die Lücke nicht komplett | |
schließen, aber deutlich verringern. | |
Und wenn ich nicht im neuen zentralen Digital-Register auftauchen will, | |
verfällt mein Spenderausweis? | |
Nein, und auch das ist ein entscheidender Vorteil unseres Vorschlags: Wir | |
sagen, es muss alles möglich sein. Der herkömmliche Organspendeausweis muss | |
weiterhin gelten, aber auch ein ganz normaler Zettel, auf dem steht, ob man | |
Spender sein will, oder nicht. | |
25 Jun 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://www.organspende-info.de/start.html | |
[2] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/O… | |
[3] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/O… | |
[4] https://link.springer.com/article/10.1007/s00120-019-0962-x | |
[5] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/G… | |
[6] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw26-de-organspende-6463… | |
[7] /!5582228/ | |
[8] /!5582070/ | |
[9] https://academic.oup.com/ndt/article/34/Supplement_1/gfz106.FP756/5515499 | |
[10] /!5536320/ | |
[11] https://www.personasque.es/trasplantes/salud/diagnostico/centros-referenci… | |
[12] http://www.ont.es/Paginas/default.aspx | |
## AUTOREN | |
Greta Schemmel | |
Benno Schirrmeister | |
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