# taz.de -- Organspende-Gesetzentwurf vorgestellt: Zwang zur Entscheidung | |
> Wer zu Lebzeiten nicht explizit widerspricht, soll automatisch zur | |
> potenziellen OrganspenderIn werden. Der Gesetzentwurf sorgt für | |
> Diskussion. | |
Bild: Ein fraktionsübergreifendes Bündnis für den Entwurf: Spahn, Lauterbach… | |
BERLIN taz | Die Kampfbegriffe stehen schon bereit: „Zwangsverpflichtung“, | |
„der Körper als Ersatzteillager“ – diese Worte fallen im Streit über die | |
Organspende und stellen die gegnerischen Positionen in ein ungünstiges | |
Licht. „Bitte titeln sie nichts mit ‚Zwang zur Organspende‘“, beschwor … | |
Abgeordnete Georg Nüßlein (CSU) am Montag die anwesenden JournalistInnen. | |
Nüßlein wusste, warum: [1][Eine Abgeordnetengruppe mit | |
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), dem SPD-Gesundheitspolitiker | |
Karl Lauterbach], Nüßlein und Petra Sitte (Linke) stellte am Montag einen | |
ersten Gesetzentwurf zur sogenannten doppelten „Widerspruchslösung“ für d… | |
Organspende vor. | |
Der Entwurf sei „die einzige Möglichkeit“, die Lücke zwischen den | |
Schwerkranken auf den Wartelisten für Spenderorgane und der geringen Zahl | |
der SpenderInnen zu schließen, erklärte Lauterbach. [2][Derzeit stehen rund | |
9.400 PatientInnen auf den Wartelisten] für ein Spenderorgan. Im | |
vergangenen Jahr spendeten aber nur 955 Menschen nach ihrem Tod Organe. | |
Laut dem Entwurf soll künftig prinzipiell jeder Erwachsene in Deutschland | |
ein Organspender sein, der zu Lebzeiten nicht einen gegenteiligen Wunsch | |
dokumentiert oder seinen Angehörigen gegenüber geäußert hat. Das „Nein“ | |
muss explizit in einem Register oder auf einem mitgeführten Spenderausweis | |
vermerkt sein. Liegt keine Ablehnung vor, können die Angehörigen im | |
Ernstfall noch gegen eine Organspende des Hirntoten entscheiden – aber nur, | |
wenn das dem Willen des Toten entspricht, den er oder sie irgendwann vorher | |
mal den Angehörigen gegenüber geäußert hat. Der Entwurf gilt daher als | |
„doppelte Widerspruchslösung“. | |
## Eintragen in einem Register beim Arzt | |
Er sieht die Einführung eines Registers vor, in dem jeder Bürger eintragen | |
lassen kann, ob er der Organentnahme widerspricht oder spenden will. Eine | |
solche Eintragung könne man voraussichtlich dann beim Arzt vornehmen | |
lassen, sagte Spahn am Montag. | |
Der entscheidende Punkt: Wer sich nicht äußert und wessen Widerspruch dann | |
auch nicht in einem Register gespeichert ist, von dem können die Ärzte etwa | |
nach einem Unfalltod bedenkenlos Organe entnehmen. Gab es gegenüber den | |
Angehörigen keine eindeutigen Äußerungen, können diese auch nicht der | |
Organentnahme widersprechen, nur weil sie selbst eine Entnahme bei dem | |
Hirntoten ablehnen. Verifizieren können die Ärzte allerdings nicht, ob die | |
Angaben der Angehörigen tatsächlich dem Willen des Toten folgen, räumten | |
die Abgeordneten ein. | |
Die unmittelbare Verknüpfung der Selbstbestimmung über den eigenen Körper | |
mit dem Leid von Schwerkranken stößt auf Kritik. Denn wer sich unsicher ist | |
in Fragen der Organspende, müsste sich künftig explizit als „Neinsager“ in | |
einem Register eintragen lassen, was möglicherweise auch moralische | |
Konflikte bei den Unentschlossenen aufwirft. | |
Zumal in der Diskussion um die „automatische“ Organspende als Hauptargument | |
immer das Leid der PatientInnen auf den Wartelisten ins Feld geführt wird. | |
Ziel der Einführung der doppelten Widerspruchslösung sei es, „mehr | |
Menschen, die auf eine Organ- oder Gewebespende angewiesen sind, die | |
Möglichkeit zu geben, ein oft lebensrettendes Organ zu erhalten“, heißt es | |
in dem Gesetzentwurf. | |
## Verpflichtung sich damit zu beschäftigen | |
Spahn betonte, die Widerspruchslösung sei keine „Organabgabepflicht“, aber | |
eine „Verpflichtung“, sich mit der Organspende zu beschäftigen. Er wies am | |
Montag daraufhin, dass in 20 von 28 EU-Staaten bereits die | |
Widerspruchslösung gelte. | |
Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, [3][lehnte die | |
Widerspruchslösung ab]. „Damit wird für mich der Körper nach dem Hirntod zu | |
einem Objekt der Sozialpflichtigkeit“, sagte der Theologieprofessor am | |
Montag im Deutschlandfunk. Der Vorstoß der Widerspruchslösung sei unnötig | |
und schädlich, da er Vertrauen beschädige und zu kaum mehr Effizienz bei | |
der Organspende führe. Grundsätzlich hält Dabrock aber Organspenden für | |
wichtig und gut, da sie ein „Akt der Solidarität mit schwerstkranken | |
Menschen seien“. | |
Eine Gruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbrock schlägt einen alternativen | |
Gesetzentwurf der Zustimmungslösung vor, der derzeit noch ausgearbeitet | |
wird. Laut diesem Entwurf soll es ein zentrales Register geben, in das | |
BürgerInnen mit ihrer Entscheidung für oder gegen eine Organspende | |
eingetragen werden. Wer sich nicht äußert und nicht eingetragen ist, gilt | |
aber nicht automatisch als OrganspenderIn. BürgerInnen sollen beim Antrag | |
auf einen Personalausweis gefragt werden, ob sie sich als Spender in das | |
Register eintragen lassen wollen oder nicht. | |
Dies erinnert an die USA, in der die Spenderzahlen deutlich höher sind als | |
in Deutschland. Dort wird beim Antrag oder der Verlängerung des | |
Führerscheins gefragt, ob man SpenderIn sein will. Bei einem Ja wird ein | |
„organ donor“ mit Herzchen in den Führerschein eingetragen. Fast die Hälf… | |
der US-AmerikanerInnen sind auf diese Weise potenzielle Organspender. In | |
Deutschland hingegen haben nur 36 Prozent der BürgerInnen einen | |
Organspendeausweis. | |
## Organspendeausweis oft nicht verfügbar | |
Dieser Ausweis wird keineswegs immer mitgeführt im Portemonnaie. Er sei oft | |
gar nicht verfügbar, wenn er gebraucht werde, bedauerte Lauterbach. Hat | |
beispielsweise ein hirntotes Unfallopfer das beige-orange Kärtchen nicht | |
bei sich, haben die Ärzte keine Berechtigung, ihm Organe zu entnehmen, es | |
sei denn, Angehörige stimmen zu. | |
Zu Organentnahmen kommt es auch oft deswegen nicht, weil Krankenhäuser | |
dabei ein Minusgeschäft machen, wenn etwa für die Entnahme Intensivbetten | |
freigeräumt werden müssen. [4][Ein Gesetz zur Verbesserung der | |
Zusammenarbeit und der Strukturen der Organspende (GZSO)] ist just am | |
Montag in Kraft getreten. Danach erhalten Krankenhäuser für die Entnahme | |
von Organen mehr Geld, sie sollen Transplantationsbeauftragte freistellen, | |
müssen aber auch ihre Verfahren verbessern, um zu mehr Organspenden zu | |
kommen. | |
Am Montag kam daher der Vorwurf, man hätte doch erst die praktischen | |
Verbesserungen durch dieses Gesetz abwarten können, bevor man einen | |
weiteren umstrittenen Gesetzentwurf mit einer doppelten Widerspruchslösung | |
präsentiere. Spahn widersprach, für die betroffenen PatientInnen könne jede | |
Wartezeit „zu viel sein“. | |
1 Apr 2019 | |
## LINKS | |
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[4] /Neues-Gesetz-zu-Organspenden/!5573536 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
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