| # taz.de -- Geschlechterkategorien beim Fußball: Aus der Zeit gefallen | |
| > Geschlechterfragen werden bei der Fifa altbacken behandelt. Payoshni | |
| > Mitra, Anwältin der Leichtathletin Caster Semenya, kritisiert das. | |
| Bild: Examiniert und gedemütigt: Genoveva Anonma im Duisburger Trikot | |
| Klar, bei einer Frauen-WM spielen Frauen Fußball. Um sicherzugehen, dass | |
| das auch wirklich so ist, ließ sich die Fifa vor dem Turnier von allen | |
| Verbänden bestätigen, dass keine Männer in den Teams sind. Auch der | |
| Deutsche Fußballbund hat dem Weltverband eine entsprechende Mitteilung | |
| zukommen lassen. Geschlechtertests hat der DFB dabei keine durchführen | |
| lassen. Er hat Bestätigungen der Frauenärztinnen der Spielerinnen | |
| eingeholt. Demnach sind Deutschlands Fußballerinnen alles Frauen. | |
| Die Fifa-Welt ist noch ganz einfach. Die Regeln, die sich der Verband 2011 | |
| gegeben hat, sind frei von jeder Definition, was eigentlich eine Frau | |
| ausmacht. Die Begriffe, mit denen der Internationale Leichtathletikverband | |
| hantiert, seit Athletinnen wie die südafrikanische Mittelstreckenläuferin | |
| Caster Semenya für ihr Startrecht bei den Frauen kämpft, fehlen in den | |
| Regularien der Fifa. | |
| ## Was fehlt: Intersex und Hyperandrogenismus | |
| Da gibt es nur Mann und Frau. Ein Begriff wie Intersex taucht ebenso wenig | |
| auf wie das Wort Hyperandrogenismus. Ein solcher wurde bei Caster Semenya | |
| festgestellt. In ihrem Körper sind mehr männliche Sexualhormone als in den | |
| Körpern, die vom Leichtathletikverband als Frauen bei Wettbewerben | |
| zugelassen sind. | |
| „Der Fußball ist hier nicht zeitgemäß“, sagt Payoshni Mitra, eine der | |
| Anwältinnen, die Caster Semenya im Kampf gegen die Regeln, die der | |
| Südafrikanerin Starts über Strecken von 400 bis 1.500 Meter verbieten, vor | |
| dem Internationalen Sportgerichtshof unterstützt. Schon der Titel des | |
| Fußballregelwerks ist für sie wie aus der Zeit gefallen: „Fifa Gender | |
| Verification“. | |
| Die Unterscheidung zwischen Gender und Sex, die sich eingebürgert hat und | |
| die der Internationale Leichtathletikverband pflegt, fehlt bei der Fifa. | |
| Dass Gender, das soziale Geschlecht, vorherbestimmt ist, würde in der | |
| Leichtathletik keiner mehr so sehen, sagt Mitra. Dort ist von „Sex | |
| Verification“ die Rede. | |
| Noch etwas stößt Mitra bei den Fifa-Regeln auf. „Die Zuständigkeit der | |
| nationalen Verbände bei der Bestimmung des Geschlechts ist etwas, gegen das | |
| wir in der Leichtathletik von Anfang an gekämpft haben“, sagt sie bei einer | |
| Veranstaltung von Fare Network in Paris, einer NGO, die sich für ein | |
| diskriminierungsfreies Umfeld im Fußball einsetzt. Damit spielt sie auf den | |
| Fall von Dutee Chand an, einer indischen Sprinterin, die mit 18 Jahren | |
| schon so schnell war, dass der indische Verband einen Geschlechtstest | |
| durchgeführt hat, ohne dass die Sportlerin das selbst gewusst hat. | |
| ## Unter Verdacht: Genoveva Anonma | |
| Als die Ergebnisse bekannt wurden, schloss man sie von Wettbewerben aus, | |
| ohne ihr zu sagen, weshalb. Als man ihr später mitteilte, sie sei keine | |
| Frau im leichtathletischen Sinn, begann ihr Kampf für die Rückerlangung des | |
| Startrechts. Die entwürdigende Prozedur hat den Internationalen | |
| Leichtathletikverband dazu bewogen, alle Fälle an sich zu ziehen. Als | |
| Anwältin von Dutee Chand ist Mitra dafür verantwortlich, dass sich die | |
| Sprinterin ihr Startrecht zurückerobert hat. | |
| Im Bereich des Fußballs weiß niemand so genau, wie die einzelnen Verbände | |
| die Geschlechtsüberprüfung vornehmen. Die Geschichte in dieser Hinsicht ist | |
| finster. Nachdem Äquatorialguinea 2008 den Afrika Cup gewonnen hatte, | |
| musste sich Genoveva Anonma, die das entscheidende Tor im Endspiel | |
| geschossen hatte, vor den Vertretern des Afrikanischen Fußballverbands und | |
| eigenen Verbandsvertretern nackt ausziehen. Sie hat es weggesteckt, bis vor | |
| der WM 2011 in Deutschland wieder Gerüchte aufgekommen sind, sie sei ein | |
| Mann. | |
| Der deutsche Boulevard fand Gefallen an diesem Verdachtsspiel, und in der | |
| Bild-Zeitung stand über Anonma: „Mann, Mann, was ist das für eine Frau!“ | |
| Und weil Vertreter der Fußballverbände von Nigeria und Südafrika vor der WM | |
| 2011 meinten, Anonma und zwei ihrer Teamkolleginnen seien Männer, kam die | |
| Fifa erst auf die Idee, die Regelüberprüfung von Athletinnen vor den | |
| Turnieren anzuordnen. | |
| Die Frage, wer unter Verdacht gerät, beschäftigt auch Mitra. Es gebe zwei | |
| maßgebliche Kriterien: auffällige Leistungen, besonders | |
| Leistungssteigerungen und das Aussehen/Auftreten. „Wer nicht einem gewissen | |
| Frauenbild entspricht, steht unter Verdacht.“ Nicht anders war es bei den | |
| Spielerinnen von Äquatorialguinea. So wurde die ghanaische Verteidigerin | |
| Diana Amkonah mit diesem Satz schon zu einer Kronzeugin: „Man muss nur auf | |
| dem Platz Körperkontakt mit ihnen haben, um zu wissen, dass sie Männer | |
| sind.“ | |
| ## Aktuell: kein Fall bekannt | |
| Sollte in einem der bei der WM teilnehmenden Teams der Verdacht aufkommen, | |
| eine Spielerin entspreche nicht der Fifa-Definition von Frau, dann haben | |
| sie die Möglichkeit, das zur Anzeige zu bringen. Der Verdacht muss | |
| begründet sein, es müssen Belege vorgelegt werden, steht im Regelwerk. Wie | |
| diese Belege auszusehen haben, ist nicht definiert. Sollte ein Protest | |
| jedoch angenommen werden, fände unter Aufsicht der Fifa ein Geschlechtstest | |
| statt. | |
| Danach müssen „der betreffende Spieler (sic!) und der Teamarzt dem | |
| Fifa-Chefarzt die erforderlichen Unterlagen für eine solche Untersuchung, | |
| wie Krankengeschichte, Geschlechtshormonwerte, Diagnosen, Behandlung und | |
| aktuelle Ergebnisse, vorlegen“. Im bisherigen Turnierverlauf sei noch kein | |
| derartiger Fall zur Anzeige gebracht worden, so ein Fifa-Sprecher auf | |
| taz-Anfrage. | |
| Bemerkenswert ist übrigens die Präambel der Geschlechtertestregelung des | |
| Weltverbands. Dort heißt es: „Androgene Hormone haben eine | |
| leistungsfördernde Wirkung – insbesondere auf Stärke, Kraft und | |
| Schnelligkeit. Diese kann im Fußball Vorteile bieten und den Ausgang eines | |
| Spiels beeinflussen.“ Ein interessanter Satz auch für alle jene, die | |
| behaupten, Doping bringe im Fußball nichts. | |
| 20 Jun 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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