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# taz.de -- Kolumne Pressschlag: Pro und Kontrazeptiva
> Die 800-m-Olympiasiegerin Caster Semenya verliert vorm Sportgericht CAS,
> aber nur halb. Die Rechte Intersexueller werden berücksichtigt. Gut so!
Bild: Hat vor Gericht verloren und zugleich gewonnen: Caster Semenya
Caster Semenya hat über 800 Meter alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt,
beispielsweise Gold bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Am
Mittwoch hat die südafrikanische Läuferin allerdings verloren. Vor dem
Internationalen Sportgerichtshof CAS.
Die Zweirundenläuferin, 28, wollte gegen eine Regel des internationalen
Leichtathletikverbandes IAAF vorgehen, der intersexuellen Athletinnen eine
Hormontherapie auferlegt, damit deren hohe Testosteronwerte sinken. Semenya
fand diese Regel „diskriminierend, unnötig, unzuverlässig und
unverhältnismäßig“.
Drei Sportrichter aus Lausanne befanden, dass die Regel in der Tat
diskriminierend sei, diese Diskriminierung aber nach gründlicher Prüfung
„ein notwendiges, angemessenes und verhältnismäßiges Mittel“ sei, damit …
Leichtathletikverband seine „Integrität“ waren könne, wie es die Juristen
etwas verschwurbelt ausdrückten. Im Grunde geht es darum, nicht an der
binären Logik der Wettkämpfe zu rütteln: Männer laufen gegen Männer und
Frauen gegen Frauen. Das soll so bleiben, und nicht wenige
Leichtathletikfans werden beruhigt aufatmen, dass es beim Althergebrachten
bleibt.
Aber just an diesem Punkt wird es kompliziert, weil Semenya sich nicht
eindeutig zuordnen lässt. Phänotypisch ist sie eher weiblich, karyotypisch,
von ihrer chromosomalen Ausstattung her, ist sie XY, also ein Mann. Ihr
Körper produziert zu viel vom männlichen Sexualhormon Testosteron. Frauen
kommen normalerweise mit weniger als 2 Nanomol pro Liter aus, Männer liegen
zwischen 7,7 und 29,4 nmol/l. Es ist unzweifelhaft, dass Testosteron wie
ein Leistungsbooster wirkt, allen sophistischen Anstrengungen der
Semenya-Verteidiger zum Trotz.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Südafrikanerin sieben Sekunden
auf 800 Meter verlöre, würde sie ihr Hormonlevel wie gefordert unter 5
nmol/L drücken. Sie wäre keine Spitzenläuferin mehr, sondern eine unter
vielen. Aber ließe sich auf diese Weise Chancengleichheit herstellen, zumal
Semenya nicht die einzige erfolgreiche intersexuelle Läuferin über 800
Meter ist und die hinterher japsende XX-Konkurrenz doch leicht verstimmt
ist ob der Dominanz von Semenya und Co?
## Recht auf Teilhabe
Die Richter schlugen sich zwar auf die Seite der IAAF, aber sie äußerten
auch ihre Bedenken, und das gleich dreifach. Zunächst wiesen sie darauf
hin, dass es für die Betroffenen schwierig sein könnte, den Hormonspiel
konstant auf niedrigem Niveau zu halten. Die Frage ist ja: Was passiert,
wenn Semenya in dieser Zeit mit einem Wert von 6 nmol/l erwischt wird?
Unter Punkt zwei empfahlen die Richter eine Aussetzung der IAAF-Regel für
Läuferinnen auf der 1.500-Meter-Strecke und auf der Meile (1.852 m), weil
hier angeblich noch unklar sei, ob intersexuelle Athletinnen einen Vorteil
hätten. Und schließlich müsste beobachtet werden, wie gut die Läuferinnen
mit den Hormongaben klarkommen, ob Nebenwirkungen auftreten.
Der Hormonspiegel lässt sich mit handelsüblichen Kontrazeptiva regeln, aber
auch das stellt keinen geringen Eingriff in die, wenn man so will,
„Integrität“ des Körpers der Athletinnen dar. Letztlich stehen sich hier
verschiedene, und in ihrer Gewichtung fast gleich starke Pros und Contras
gegenüber: Die Athletinnen pochen auf ihr Recht auf Teilhabe, auf die
Unversehrtheit des Körpers und ihr Rollenverständnis als Frau, die IAAF
sieht die Chancengleichheit in Gefahr, fokussiert sich auf eine
„Diskriminierung“ der „normalen“ Läuferinnen und pocht auf Erhaltung d…
Dualität Mann–Frau.
Das Urteil des CAS ist salomonisch. Es besagt: Der sportliche Wettkampf
kann wie bisher stattfinden, aber die Rechte der Intersexuellen müssen
besondere Berücksichtigung finden. Die IAAF-Regel ist also nach diesem
Urteil nicht in Stein gemeißelt, sondern quasi fluide. In regelmäßigen
Abständen sollte sie evaluiert werden. Das ist auch eine gute Nachricht für
die bislang Distanzierten. Sie können darauf hoffen, jetzt über 800 Meter
öfter mal aufs Podium zu steigen.
1 May 2019
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
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