| # taz.de -- Rendsburger Arzt hilft IS-Opfern: „Da beginnt eine andere Realit�… | |
| > Arzt Martin Klopf reist mit seiner Frau in den Nordirak, um Jesiden zu | |
| > behandeln, die vor dem IS geflohen sind. Viele Orte sind nach wie vor | |
| > zerstört. | |
| Bild: Reisen auf eigene Faust in den Nordirak: Martin Klopf und seine Frau Ioana | |
| taz: Herr Klopf, Sie und Ihre Frau Ioana behandeln ehrenamtlich Geflüchtete | |
| im Nordirak – wie sieht so eine Sprechstunde aus? | |
| Martin Klopf: Also, es geht um die Region nahe der syrischen Grenze im | |
| Norden des Irak, [1][kurdisches Gebiet]. Hierher sind die Menschen vor dem | |
| IS geflohen. Anfangs waren wir in den offiziellen Flüchtlingscamps im | |
| Einsatz. Inzwischen richten wir unser Hauptaugenmerk auf eine Gruppe | |
| Jesiden, die sich auf ein Hochplateau im Shingal-Gebirge geflüchtet hat. | |
| Die Menschen leben seit fast fünf Jahren dort. Wir arbeiten wie in einer | |
| Anlaufpraxis, das heißt, wir behandeln ausschließlich akut. Dabei ergänzen | |
| wir uns gegenseitig – meine Frau als Kinderärztin verfügt über ein | |
| umfangreiches internistisches Wissen, und ich als HNO-Arzt kann Krankheiten | |
| eher chirurgisch beurteilen. Wir verwenden eigene Medikamente und haben | |
| einen Dolmetscher dabei. | |
| Wie werden Sie empfangen? | |
| Es bildet sich sofort eine Menschentraube um uns herum. Die Erwartungen | |
| sind mitunter extrem hoch: Einmal wurde uns ein Kind gezeigt, das von | |
| IS-Leuten in ein Flussbett gestoßen worden war und sich schwere | |
| Verletzungen am Kopf zugezogen hatte. Der Junge ist von den kurdischen | |
| Ärzten nach allen Regeln der Kunst behandelt worden, mehr konnten wir auch | |
| nicht tun. | |
| Wie kam es überhaupt zu Ihrem Engagement? | |
| Es begann mit einer E-Mail, die ich vom „Menschenrechtszentrum Cottbus“ | |
| erhalten habe – das ist ein Verein, der ein ehemaliges DDR-Gefängnis als | |
| Gedenkstätte betreibt und durch Bildungsarbeit unter anderem auf heutige | |
| Menschenrechtsverletzungen hinweist. Ich bin dort Mitglied. Die Leiterin | |
| fragte im Jahr 2015, wer einen Arzt kennt, der einen Medikamententransport | |
| in den Irak begleiten würde. Meine Frau und ich haben uns bereit erklärt, | |
| obwohl wir relativ wenig über die Lage wussten. Wir hatten nur Stichworte | |
| im Kopf: Kurden, IS, Krieg. | |
| Inzwischen hat sich das geändert – wie oft waren Sie dort? | |
| Mehr als zehnmal, zuletzt im Juni. Dieses Land hat uns nicht mehr | |
| losgelassen. Ich sage immer: Wir bringen zwar Hilfe dorthin, aber wir | |
| nehmen viel mehr mit nach Hause. Es ist so ein interessantes Land, | |
| kulturell, ethnisch und religiös vielschichtig. Die Region nur auf Krieg | |
| und Zerstörung zu reduzieren, wäre ungerecht. Aber was sich aktuell tut, | |
| ist schwer erträglich. Obwohl der Islamische Staat als besiegt gilt, leben | |
| weiterhin Hunderttausende Flüchtlinge in Zeltcamps oder auf dem Hochplateau | |
| Sardashte des Shingal-Gebirges. | |
| Wie bewegen Sie sich selbst durch das Gebiet? Sind Sie bei einer Gruppe wie | |
| Ärzte ohne Grenzen? | |
| Nein, wir machen das mehr oder weniger in Eigeninitiative. Ich leite in | |
| Rendsburg eine HNO-Praxis, meine Frau ist als Kinderärztin halbtags | |
| angestellt. Sie organisiert die Reisen und bereitet alles vor. Für die | |
| Einsätze im Nordirak nehmen wir uns frei. Wir sind auch schon über Ostern | |
| oder Weihnachten gefahren. | |
| Das heißt, Sie sind quasi auf sich gestellt? | |
| Alleine könnten wir das nicht bewältigen, schließlich dürfte man auch nicht | |
| privat in die Flüchtlingscamps. Wir werden vom „Menschenrechtszentrum | |
| Cottbus“ unterstützt, das Kontakte zu den Behörden und die Regierung der | |
| Autonomen Region Kurdistan herstellt, damit wir entsprechende Genehmigungen | |
| erhalten. | |
| Und wie verständigen Sie sich? | |
| Wir werden immer von einem Dolmetscher oder einer Dolmetscherin begleitet, | |
| die irakische Wurzeln haben und über kulturelle Grenzen hinweg vermitteln | |
| können. Wir versuchen auch, weitere Hilfe zu erhalten. Leider ist die | |
| Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung beschränkt. Eine | |
| Hilfsorganisation verwies darauf, dass ihre Statuten es in einem fünf Jahre | |
| anhaltenden Zustand nicht mehr erlauben zu helfen: Es läge kein | |
| Katastrophenfall vor. | |
| Aber was können die Flüchtlinge dafür, dass sie so lange im Elend leben | |
| müssen? Wie ist denn die Lage in den Camps? | |
| Da muss man unterscheiden: Die offiziellen Camps haben Hilfsorganisationen | |
| wie zum Beispiel der UNHCR gebaut. Das Ganze ist systematisch aufgezogen, | |
| mit Schotterstraßen, Sanitärbereichen und einem Betonsockel, sodass die | |
| Zelte bei Regen nicht im Wasser stehen. Inzwischen sind Teehäuser und | |
| Friseurstuben entstanden, einige Leute halten Hühner, jeder sucht sich eine | |
| Beschäftigung. Aber das ist keine Dauerlösung, weil es für die Menschen | |
| eine Katastrophe bedeutet, über lange Zeit ein Lagerleben führen zu müssen. | |
| Und außerhalb dieser Lager, etwa auf dem Hochplateau? | |
| Dort wird es im Sommer 50 Grad heiß, im Winter muss geheizt werden. Hier | |
| leben rund 20.000 Jesiden, darunter viele Frauen und Kinder. Sie haben sich | |
| ins Shingal-Gebirge geflüchtet, als das umliegende Land, traditionell | |
| Gebiet der Jesiden, 2014 vom IS umzingelt und überrannt wurde. [2][Wer sich | |
| nicht retten konnte, wurde getötet, versklavt, vergewaltigt.] Doch in den | |
| Bergen gibt es kaum Wasser, auch hier sind viele Menschen gestorben. | |
| Wie sieht es dort aus? | |
| Am Weg, der in die Berge hinauf führt, lagen noch 2017 die ausgebrannten | |
| Autowracks der Flüchtenden, die beschossen worden sind. Ohne Unterstützung | |
| durch die US-Luftwaffe wären noch mehr Menschen umgekommen. Vor allem aber | |
| haben die syrischen Kurden einen Fluchtkorridor freigekämpft, durch den die | |
| meisten Jesiden auf Kurdengebiet geflohen sind. Aber einige sind in den | |
| Bergen geblieben, teils weil sie hoffen, dass sie ihre Verwandten, die vom | |
| IS versklavt worden sind, von dort aus wiederfinden. | |
| [3][Inzwischen ist der IS aus dem Gebiet vertrieben] – warum kehren die | |
| Menschen nicht in ihre Städte zurück? | |
| Nehmen wir Shingal-Stadt, den zentralen Ort des Jesidengebiets. Dort lebten | |
| 2014 rund 80.000 Menschen. Es gab drei christliche Kirchen, von denen nur | |
| noch Trümmer stehen. Zugewanderte besetzen die Häuser, es mangelt an | |
| Infrastruktur und Grundversorgung. Hinzu kommt die ständige Bedrohung durch | |
| Islamisten, die sich frei unter die Bevölkerung mischen. | |
| Wie äußert sich das? | |
| Aktuell brennen oft die Felder von Rückkehrern – vieles spricht für | |
| Brandstiftung. Die Jesiden haben zu ihren früheren Nachbarn das Vertrauen | |
| verloren. Denn am Ende hat ihnen niemand geholfen, nur die syrischen Kurden | |
| haben damals eingegriffen. Ich will nicht politisch bewerten, welche Gruppe | |
| da welche Interessen hat – wir helfen als Ärzte. Aber zur Frage, ob die | |
| Menschen in ihre ehemaligen Dörfer zurückkehren, kann ich sagen, dass diese | |
| Orte nach wie vor zerstört sind. Für viele ist es aus dem Lager heraus | |
| gedanklich ein kleinerer Schritt, nach Europa oder Kanada auszuwandern, als | |
| zurückzukehren. | |
| Was müsste geschehen, was würden Sie sich wünschen? | |
| Man hat den Eindruck, dass die irakische Regierung nicht genug tut, damit | |
| die Menschen zurück können. Ich wünsche mir von der deutschen Regierung und | |
| internationalen Organisationen, dass die Jesiden dort nicht vergessen | |
| werden. Ja, es gibt Hilfe, aber sie kommt nicht immer allen gleichermaßen | |
| zugute. Die Menschen, mit denen wir oben auf dem Berg sprachen, haben uns | |
| Europäern mehr oder weniger Vorwürfe gemacht, einfach nur zuzusehen. Es war | |
| schon beschämend. Und einen Satz fand ich immer wieder bemerkenswert: „Wir | |
| wollen eigentlich keine Hilfe, wir wollen nur Sicherheit und in Ruhe | |
| gelassen werden.“ | |
| Haben Sie selbst gefährliche Situationen erlebt? | |
| Einmal gab es einen türkischen Luftangriff auf das Hochplateau, bei dem | |
| auch die Krankenstation zerstört worden ist. Wir waren zu diesem Zeitpunkt | |
| nicht da, aber der Raum, in dem wir einen Tag vorher geschlafen hatten, | |
| wurde zerstört. Aber mit so etwas haben wir vorher nicht gerechnet, und | |
| normalerweise fühlen wir uns sehr sicher. Wir haben immer einheimische | |
| Begleiter dabei. | |
| Das klingt jetzt sehr gelassen. Haben Sie keine Angst? | |
| Irgendwann wird es normal, sich dort zu bewegen. Man steigt hier ins | |
| Flugzeug und landet in einer Krisenregion. Das ist eine andere Welt, in der | |
| man sich eben an die Regeln halten muss. | |
| Man landet in einer Krisenregion, im Krieg – fängt das direkt am Flughafen | |
| an? | |
| Nein, keineswegs. Dohuk, unser Zielort, ist eine pulsierende Stadt mit | |
| 500.000 Einwohnern. Im Umkreis liegen die Camps. Wir werden meistens von | |
| einem Hotel in Dohuk heraus in diese Camps gefahren, aber zwischendurch | |
| haben wir, soweit die Zeit es erlaubte, ein sozusagen normales Leben | |
| geführt, haben Basare und Restaurants besucht und sind spazieren gegangen. | |
| Manche unserer Begleiter finden das gefährlich, aber wir empfinden die | |
| Menschen als sehr freundlich und hilfsbereit. Als Deutsche sind wir | |
| beliebt. Almanya gilt als Freund, und wir sind auch noch Ärzte, da gehen | |
| die Herzen auf. Polizisten, Soldaten, aber auch normale Leute auf der | |
| Straße finden es spannend, dass wir da sind. Die Menschen sind sehr | |
| neugierig. | |
| Und wie ist es außerhalb? | |
| Da beginnt dann eine andere Realität. In Shingal-Stadt lagen bei einem | |
| unserer letzten Besuche noch Leichen zwischen den Trümmern herum. Es gibt | |
| Massengräber, Flatterbänder halten die Schafe ab. Viele Tote sind nicht | |
| identifiziert, also wissen auch die Angehörigen nicht Bescheid – das ist | |
| schlimm für sie. Für uns waren Graffiti in den zerstörten Kirchen besonders | |
| erschreckend: Jemand hatte auf Deutsch islamistische Drohungen | |
| hingeschmiert. Vielleicht lässt sich die Handschrift einmal jemandem | |
| zuordnen. | |
| Wie geht es weiter, was planen Sie? | |
| Es wird immer schwerer, Medikamente mitzubringen, der Irak setzt | |
| bürokratische Hürden. Während wir anfangs um Medikamentenspenden gebeten | |
| haben, versuchen wir jetzt, Geld zu sammeln, um vor Ort alles einzukaufen – | |
| das stützt auch die dortige Wirtschaft. Unser Ziel ist nun, Hilfe zur | |
| Selbsthilfe zu geben. | |
| Das heißt? | |
| Wir bieten jungen Menschen, unter ihnen Frauen, die in IS-Gefangenschaft | |
| gewesen sind, Kurse in Erster Hilfe an. Im ersten Durchgang werden 50 | |
| Frauen geschult, Lehrerin ist eine junge Krankenpflegerin. Und wir haben | |
| für junge Mütter eine Erstausstattung an Schnullern, Fläschchen und | |
| Ähnlichem mitgebracht. Die Not ist groß, die Dinge werden dringend | |
| gebraucht. | |
| Haben Sie jemals bereut, sich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben? | |
| Nein. Bei allen Strapazen, unter freiem Himmel zu sitzen und mit Freunden | |
| unter dem Sternenhimmel gemeinsam zu essen, allein das ist alle Mühe wert. | |
| 15 Jul 2019 | |
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| Esther Geißlinger | |
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