| # taz.de -- Porträt einer geflüchteten Jesidin: Ein Kampf ums Überleben | |
| > Wie Badeeah Hassan Ahmed im Irak vom IS entführt, in Syrien als Sklavin | |
| > gehalten wurde und nach Deutschland floh: Davon erzählt ihr Buch. | |
| Bild: Heute lebt Badeeah Hassan Ahmed mit ihrem Mann in Deutschland | |
| Bevor Badeeah Hassan Ahmed als Geisel verschleppt wurde, glaubte sie noch, | |
| dass die Amerikaner zu Hilfe kommen würden, sollte der [1][IS ihr | |
| jesidisches Dorf Kocho im Nordwesten des Irak angreifen]. Im August 2014 | |
| wurde sie gemeinsam mit sechs Frauen und vier Kindern in einen Transporter | |
| gepackt und ins mehr als 500 Kilometer entfernte syrische Aleppo gefahren. | |
| Dort stellte sich ihr ein Mann als Übersetzer vor für „al-Amriki“ – den | |
| Amerikaner. Doch er war nicht da, um sie zu retten. Der in den USA geborene | |
| IS-General kaufte sie stattdessen als Sklavin. | |
| Nach ihrer Flucht aus Syrien wurde Badeeah von der Internationalen | |
| Organisation für Migration in die USA geflogen, um über den Genozid an den | |
| Jesiden zu sprechen. Dort wurde ihr klar, dass ihre Geschichte nicht nur | |
| wichtig ist, um die Situation der jesidischen Frauen und Kinder zu | |
| verstehen, sondern auch, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass viele | |
| IS-Kämpfer Bürger westlicher Staaten, inklusive der USA, waren. „Ich | |
| wollte, dass die amerikanische Gesellschaft versteht, dass nicht immer nur | |
| die Anderen die Täter sind“, sagt die 24-Jährige an einem Sommerabend in | |
| einer Stadt in Baden-Württemberg. | |
| In malerischer Nachbarschaft lebt Badeeah mit ihrem Ehemann, dem jüngsten | |
| Bruder und der ältesten Schwester in einer kleinen Wohnung. Sonnenlicht | |
| flutet das sparsam möblierte Wohnzimmer, als Badeeah sich, ganz in Schwarz | |
| gekleidet, auf dem Teppich zum Gespräch setzt. Für die kommende Stunde | |
| sitzt ihr 23-jähriger Mann auf einem Stuhl in einer Ecke mit sichtbaren | |
| Stolz in seinem Blick. „Er hat den Irak verlassen und ist für mich hierher | |
| gekommen“, erklärt sie, während beide kichern. | |
| ## Ihre Erfahrungen verarbeitete sie beim Schreiben | |
| Die beiden haben in Deutschland geheiratet, nachdem ihrer Sandkastenliebe | |
| Ahmed, sechs Monate nach ihr 2015 endlich die Flucht aus dem Irak gelungen | |
| war. Ihr erstes Kind ist auf dem Weg. „Es ist ein Mädchen und wir nennen | |
| sie Mileva, wie Albert Einsteins Frau“, sagt Badeeah grinsend. Wenn die | |
| Tochter geboren ist, wird Badeeah ihr Geschichten von Kocho vor dem | |
| IS-Angriff erzählen und von ihrem Leben in Deutschland. Die traumatische | |
| Erfahrung ihrer Geiselnahme entschied sie, in einem Buch aufzuarbeiten: „A | |
| Cave in the Clouds: A Young Woman’s Escape from ISIS“, das Buch ist bisher | |
| noch nicht in deutscher Sprache erhältlich. | |
| Geschrieben zusammen mit Susan Elizabeth McClelland, hatte das Buch einen | |
| kathartischen Effekt für Badeeah. Sie war erst 19 Jahre alt, als der IS in | |
| Kocho einmarschierte und sie zum Opfer des Menschenhandels machte. Als die | |
| Wochen zu Monaten wurden, war ihr zweijähriger Neffe Eivan der einzige | |
| Halt. Sie gab ihn als ihren Sohn aus, um ihren Wert als Sklavin niedriger | |
| zu halten. Nach mehreren misslungenen Fluchtversuchen aus dem Haus | |
| al-Amrikis wurde ihr der Junge weggenommen, um verkauft zu werden. Da sie | |
| nichts mehr zu verlieren hatte, habe sie al-Amriki in die Augen gesehen und | |
| ihm vorgeworfen, dass sein Handeln den islamischen Lehren widerspräche. | |
| „Unter meinem Blick schien er in sich zusammenzusinken, und ich sah ihn als | |
| verlorenen kleinen Jungen“, schreibt Badeeah. Das erste Mal hatte sie | |
| Kontrolle über ihn. | |
| Dieser rebellische Akt zahlte sich aus und Eivan kam wieder zu ihr. Einige | |
| Tage später brach sie erfolgreich aus dem Haus aus, gemeinsam mit Eivan und | |
| einer weiteren jesidischen Gefangenen. In der Hoffnung, so auszusehen wie | |
| muslimische Ehefrauen auf einer Shoppingtour, suchten sie Hilfe bei einem | |
| Einheimischen auf der Straße und trafen schließlich den Schleuser Nezar. | |
| Der half ihnen, in den Irak zu entkommen. Badeeah war in ständiger Angst, | |
| dass al-Amriki sie aufspüren würde. Was sie vorantrieb, waren ihre | |
| Kindheitserinnerungen und eine tiefe Verwurzelung in ihrer Religion, die | |
| vom IS so strategisch angegriffen worden war. | |
| Die Jesiden sind eine ethnisch-religiöse Minderheit im Nahen Osten, deren | |
| größter Teil im Norden des Irak lebt. Ihre monotheistische Religion | |
| integriert Lehren und Glauben verschiedenster Religionen, wie das | |
| gnostische Christentum, das Judentum, den islamischen Sufismus und den | |
| Zoroastrismus. Wegen ihres sehr eigenwilligen Glaubensgerüsts sind Jesiden | |
| schon oft als „Teufelsanbeter“ bezeichnet worden. [2][Ab 2014 griff der IS | |
| sie gezielt an] und übte mit Sklaverei und Menschenhandel systematisch | |
| sexuelle Gewalt gegen jesidische Frauen aus. Badeeah gehört zu den wenigen | |
| Jesidinnen, die öffentlich über ihre Erlebnisse sprechen. | |
| Ihr Buch soll Frauen Mut machen | |
| Mit ihrem Buch möchte sie nicht nur jesidische, sondern alle Frauen | |
| stärken, die von Kriegen und bewaffneten Konflikten betroffen sind. „Ich | |
| wollte zeigen, dass wir überleben und kämpfen können“, sagt Badeeah. Ihr | |
| Leben in Deutschland hat keine Ähnlichkeit mit dem im Irak. Hier lebt sie | |
| etwas außerhalb der Stadt in einem Sozialbau. Sie hat Deutsch gelernt und | |
| plant, einen Pflegeberuf zu erlernen. „Im Irak war es mir nicht erlaubt, | |
| Medizin zu studieren, also habe ich gefragt, was ich hier tun kann“, sagt | |
| sie. | |
| Nach der Flucht aus Aleppo wurde Badeeah Asyl in den Vereinigten Staaten | |
| angeboten. Das lehnte sie ab, da die Familie nicht dort leben wollte. „Für | |
| sie war es zu weit weg von zu Hause“, erinnert sie sich. Außerdem hätte das | |
| Land sie ständig an den amerikanischen IS-Täter erinnert. Stattdessen | |
| entschied sie sich, nach Baden-Württemberg zu kommen. Vielen jesidischen | |
| Frauen wurde in Deutschland Asyl angeboten, zum Teil sogar eine | |
| Unterbringung an extra geschützten Orten. | |
| Badeeahs fünf Schwestern haben sich in verschiedenen Ecken des südlichen | |
| Bundeslandes niedergelassen und einer der fünf Brüder lebt mit ihr. Von den | |
| anderen vier Brüdern und den Eltern hat sie nichts mehr gehört, seit sie | |
| den Irak verlassen hat. „Ich weiß nicht einmal ob sie zusammen entkommen | |
| konnten“, sagt sie niedergeschlagen. Versucht sie vier Jahre später noch | |
| immer, die Familie zu finden? „Am Anfang habe ich auf eine Nachricht | |
| gewartet, vielleicht waren sie ja irgendwo untergekommen. Aber schließlich | |
| fand ich mich beim Besuch eines Massengrabes im Irak wieder – und das war | |
| es dann für mich“ | |
| Um ihr Trauma und Trennungsängste zu bewältigen, befand sich Badeeah in | |
| ihren ersten drei Monaten in Deutschland in einer intensiven Therapie. Mit | |
| dabei war eine Übersetzerin für Kurdisch, ihre Muttersprache. Noch immer | |
| fühlt sie sich unwohl, wenn sie in Deutschland syrische Flüchtlinge | |
| arabisch sprechen hört. Sie versteht jedoch, dass der IS nicht den Islam | |
| repräsentiert. „Von Freunden und den Leuten, die vor dem Krieg um uns herum | |
| lebten, habe ich gelernt, dass der Islam nicht vorschreibt, Menschen zu | |
| töten oder Müttern ihre Kinder wegzunehmen“, sagt sie. „Für mich ist der | |
| Islam der, den ich kennenlernte, als ich aufwuchs“. | |
| ## Badeeah will in Deutschland bleiben | |
| [3][IS-Kämpfer konvertierten Jesidinnen oft unter Zwang zum Islam], indem | |
| sie sie heirateten. Die Anerkennung der Kinder aus diesen Ehen und | |
| Vergewaltigungen war eine umstrittene Angelegenheit in der abgeschlossenen | |
| Gemeinschaft der Jesiden. Vielen der Frauen blieb nichts anderes als der | |
| Gang ins Exil. In ihrem Buch beschreibt Badeeah die Angst vor der Rückkehr, | |
| nachdem al-Amriki ihr Angst wegen der möglichen Ablehnung in der eigenen | |
| Gemeinschaft gemacht hatte. Von ihrer Familie jedoch wurde Badeeah | |
| willkommen geheißen. Sie praktiziert ihre Religion heute ohne | |
| Einschränkungen. Ihr Neffe Eivan ist jetzt sieben Jahre alt, spricht | |
| Deutsch und lebt in einem anderen Teil Baden-Württembergs mit ihrer | |
| Schwester. | |
| Badeeah weiß, dass ihr Kind in Baden-Württemberg in eine viel sicherere | |
| Welt geboren wird. Sie hat keine Pläne, in den Irak zurückzukehren, selbst | |
| wenn sich die politische Situation stabilisieren sollte. In ihrer | |
| Gefangenschaft erinnerte sie sich der Worte ihrer Mutter: „Geh immer zum | |
| Licht. Lass die Dunkelheit nicht herein. Halte dich an die Liebe, so dass | |
| die Dunkelheit am Ende vertrieben wird.“ Genau das tut sie weiterhin, lange | |
| nachdem ihr Albtraum zu Ende ist. | |
| [4][Der Text] erschien zuerst in der englischsprachigen Tageszeitung „The | |
| Hindu“ in Indien. Übersetzung ins Deutsche von Daniél Kretschmar. | |
| 3 Aug 2019 | |
| ## LINKS | |
| [1] /IS-Terror-im-Nordirak/!5035356 | |
| [2] https://www.zeit.de/politik/ausland/2014-08/irak-jesiden-rettung | |
| [3] https://www.sueddeutsche.de/politik/jesidinnen-in-der-gewalt-des-is-verschl… | |
| [4] https://www.thehindu.com/news/international/kidnapped-and-sold-as-a-slave-t… | |
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