# taz.de -- Konflikte zwischen Kurden und Arabern: Verbrannte Erde im Irak | |
> Im Irak gehen Tausende Hektar Ackerfläche in Flammen auf. Der IS zündet | |
> sie an, heißt es. Die Araber seien schuld, geht das Gerücht unter den | |
> Kurden. | |
Bild: Das Land brennt! Der Sohn von Bauer Hawez versucht zu löschen | |
PALKANA taz | Das Feuer frisst sich Meter um Meter durch das Land von | |
Farhad Anwar Hawez. Seit Stunden prügelt der Landwirt vergeblich mit grauen | |
Lumpen auf die Flammen ein. Schweiß rinnt ihm die Stirn hinunter, Asche | |
und Schmutz setzen sich auf seinen Kleidern fest, die Muskeln in seinen | |
Armen versagen. Feuerwehrleute kommen. Doch auch sie können den Brand nicht | |
löschen. | |
Es ist Hochsommer im Irak. Wie Hawez ergeht es in diesem Sommer etlichen | |
Landwirten. Ackerbrände haben die Region in einem bisher unbekannten Ausmaß | |
verwüstet. | |
Als Hawez am Nachmittag aufgibt, kann er seine Hände kaum noch zu Fäusten | |
ballen. „Meine Brüder und ich haben hier 3.500 Dunam“, sagt er. „Was dav… | |
noch übrig ist, wird jetzt auch noch verbrennen.“ Ein Dunam, umgerechnet | |
2.500 Quadratmeter, bezeichnet traditionell die Fläche Land, die ein Bauer | |
an einem Tag pflügen konnte. | |
Hawez’ Weidegras, das im Morgengrauen noch gelb in der Sonne leuchtete, | |
erinnert jetzt an schwarzes Nähgarn. Der Wirrwarr dieser Fäden reicht bis | |
zu den Hügeln, die den Horizont markieren – und darüber hinaus. | |
## Verheerende Folgen für die Bauern | |
Verlässliche Statistiken für das gesamte Land gibt es nicht. Aber allein | |
rund um Hawez’ Dorf Palkana ist nach Angaben eines regionalen | |
Bauernkomitees eine Fläche von mehr als 20 mal 20 Kilometern verbrannt. | |
Weizen, Gerste, Weidegras – die Folgen für die Landwirte sind verheerend. | |
Wie konnte es dazu kommen? Eine Spurensuche in den Gebieten, die besonders | |
heftig betroffen sind: dem sicherheitspolitischen Niemandsland zwischen der | |
Autonomen Region Kurdistan und der Einflusssphäre der irakischen | |
Zentralregierung. | |
Die Klimaanlage rauscht, auf einem Fernseher flimmern die Abendnachrichten. | |
Hawez hockt im Schneidersitz in seinem Wohnzimmer und massiert seine | |
geschundenen Hände. Jahrelang hätten die Weiden seinen 400 Schafen Gras | |
gespendet, sagt er, Gratisfutter vom September bis in den Februar. Jetzt | |
müsse er die Hälfte seiner Tiere verkaufen, um sich Futter leisten zu | |
können. „Ich bin traurig“, sagt er, „ich bin wütend.“ An eine natürl… | |
Ursache der Brände glaubt Hawez nicht. | |
Schon zu Beginn der Weizenernte im Mai drängte sich eine mögliche Ursache | |
der Brände auf: Der selbsternannte „Islamische Staat“ (IS) rief damals | |
seine Anhänger zu einer „Ernte“ mit Feuer auf. „Dies dürfte ein heißer | |
Sommer werden,“ hieß es im Propaganda-Newsletter al-Naba. „Ein heißer | |
Sommer, der die Geldbeutel und die Herzen der Ungläubigen verbrennen wird.“ | |
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Dschihadisten eine Strategie der | |
verbrannten Erde verfolgen. Setzen die Dschihadisten ein Zeichen, dass sie | |
noch nicht besiegt sind? | |
Der IS verfügt nicht mehr über eigenes Territorium. Doch mit geschätzt | |
15.000 Kämpfern ist er heute zahlenmäßig stärker als vor seinem großen | |
Aufbäumen. Sicherheitsexperten warnen: Die Kämpfer könnten sich neu | |
organisieren, wenn sich ihnen der passende Raum bietet. Dieser Raum | |
entwickelt sich in den Gouvernements Niniveh, Salah ad-Din, Diyala und | |
Kirkuk, in dem Hawez’ Heimatdorf Palkana liegt. Die irakische Armee hat | |
hier eine Serie von Operationen gestartet. Doch die Gegend ist | |
sicherheitspolitisches Niemandsland. Wer hier das Sagen hat, ist | |
umstritten. | |
Der Irak besteht de facto aus zwei Staaten: Den Großteil des Landes | |
kontrolliert die Zentralregierung in Bagdad mithilfe von Milizen. Im | |
Nordosten des Iraks herrschen hingegen Kurden in einer autonomen Region. | |
Sie arrangieren sich mal mehr, mal weniger gut miteinander. Immer wieder | |
aber sorgen die Gouvernements, die beide Seiten für sich beanspruchen, für | |
Streit. | |
## Im Verdacht: Männer des „Islamischen Staats“ | |
Auch Hawez hat die Geschichten vom IS gehört. In lokalen und sozialen | |
Medien gibt es seit Monaten Berichte. Und die Erzählungen ähneln sich: In | |
der Nacht kommen die Männer mit den langen Bärten und den kurzen Hosen. Sie | |
bedrohen Dorfbewohner und fordern Schutzgeld, damit sie ihre Felder | |
verschonen. Einige Bauern halten Lupen in die Kameras, die sie auf ihren | |
verkohlten Feldern gefunden haben – Zünder in der sengenden Sommerhitze. | |
Einige präsentieren improvisierte Sprengsätze. | |
Auch auf Hawez’ Feld in Palkana liegt ein Sprengkörper. Es handelt sich um | |
eine Mörsergranate. Doch sie ist nicht explodiert. Ein Blindgänger aus | |
vergangenen Kriegen, kein Zünder. Schutzgeld wollte von Hawez auch noch | |
niemand. Vieles deutet darauf hin, dass der IS eine gewichtige Rolle bei | |
den Ackerbränden in einigen Regionen des Iraks spielt. Wer nach Palkana | |
reist, ahnt, dass die Dschihadisten nur ein Teil der Antwort sind. | |
Wir – ein Übersetzer, ein Sergeant der irakischen Armee und der Reporter – | |
haben mehr als ein Dutzend Bewohner in Palkana und den umliegenden Dörfern | |
getroffen. Keiner machte den IS für die Ackerbrände verantwortlich. An die | |
harmloseste aller Version, nach der Kurzschlüsse die Ursache gewesen seien, | |
glaubten die meisten aber nicht. Ungeschickte Bauern? Zündelnde Kinder? Das | |
Ausmaß sei viel zu groß für Unfälle, heißt es. Der Klimawandel? | |
Temperaturen jenseits der 40 Grad seien hier nichts Neues. Die große | |
Mehrheit der überwiegend kurdischen Bauern macht im Gleichklang eine | |
Ursache aus: „Araber“. | |
Hawez lässt seinen Sohn Wasser und Ziegenmilch holen. Er kippt die Gläser | |
in großen Schlucken herunter. Warum habe er fast allein gegen die Flammen | |
auf den Feldern gekämpft? „Die Hälfte des Dorfs traut sich nicht mehr | |
raus“, sagt er. „Beim letzten Mal haben sie die Frauen verprügelt, die beim | |
Löschen geholfen haben.“ Mit „sie“ sind „die Araber“ gemeint. Hawez�… | |
ist im doppelten Sinne verbrannte Erde. | |
## Ethnische Konflikte in der Region Kirkuk | |
Der Irak ist eines der Länder, die auf dem Reißbrett einstiger | |
Kolonialmächte entstanden sind. Deshalb gibt es jetzt nicht nur das | |
sicherheitspolitische Niemandsland, in dem der IS erstarkt. Es gibt auch | |
ethnische Konflikte. Die Briten zwängten schiitische und sunnitische | |
Araber, Turkmenen, Jesiden und Kurden, unzählige Familien und Stämme in ein | |
Staatsgebiet. Als London den Irak in seine Unabhängigkeit entließ, war ihm | |
der Konflikt in die Wiege gelegt. Vor allem in Regionen wie dem | |
Gouvernement Kirkuk. Dort kommen viele Bevölkerungsgruppen zusammen, und | |
der Boden gibt mehr her als Weizen und Gerste. In Kirkuk gibt es einige der | |
wichtigsten Ölquellen des Landes. Kurden im Nordirak befürchten von jeher: | |
Ohne diese Region werden sie nie unabhängig. Araber sehen es seit je | |
ebenso. | |
Die Baath-Partei, der der einstige Diktator Saddam Hussein entsprang, ließ | |
im großen Stil kurdische Dörfer zerstören. Sie vertrieb Hunderttausende | |
Menschen. So schaffte sie Raum für die eigenen Leute. | |
Nach Husseins Sturz 2003 kehrten Tausende Kurden in ihre Dörfer zurück. Die | |
neue Verfassung sollte eigentlich klären, was mit den umstrittenen Gebieten | |
geschieht. Im Zentrum stand Artikel 140. Er sollte die Grundlage dafür | |
schaffen, dass die Bewohner über einen Anschluss an die Autonome Region | |
Kurdistan abstimmen. Doch das Referendum fand nie statt. Kurden und das | |
höchste irakische Gericht beharren auf der Wahl. Die Zentralregierung in | |
Bagdad dagegen hält die Bedingungen nicht für gegeben. Und Araber-Vertreter | |
in Kirkuk sagen schlicht: „Artikel 140 der Verfassung ist tot.“ Der alte | |
Konflikt besteht fort. | |
Zunächst sah es so aus, als würden Kurden ihn für sich entscheiden. Während | |
ihres erfolgreichen Kampfs gegen den IS dehnten sie ihr Einflussgebiet aus. | |
2017 wagte die Autonomieregierung Warnungen aus aller Welt zum Trotz einen | |
brachialen Schritt: Sie führte in Eigenregie ein Referendum durch – nicht | |
nur über die umstrittenen Gebiete, sondern über die Unabhängigkeit der | |
Region insgesamt. Doch der Traum des eigenen Staates erfüllte sich nicht. | |
Die Armee der Zentralregierung und ihre Verbündeten vertrieben die | |
kurdischen Streitkräfte aus Kirkuk. Das Gouvernement regiert seither ein | |
von Bagdad entsandter Araber. | |
## Kurdische Dorfbewohner beschuldigen „die Araber“ | |
Bauer Hawez erinnert sich lebhaft, was nach der Machtübernahme folgte: Am | |
27. Dezember 2017 rollten mehr als einhundert Autos in Palkana ein und mit | |
ihnen 500 Männer – Araber und Militärs. Sie verteilten Flugblätter. Darauf | |
wurden die Kurden aufgefordert, Palkana in 72 Stunden zu verlassen. Auf dem | |
Ultimatum stehen die Unterschriften eines Behördenvertreters und eines | |
hochrangigen Angehörigen der irakischen Streitkräfte. Eine Kopie liegt der | |
taz vor. Die Authentizität der Dokumente, die uns die Dorfbewohner | |
präsentieren, können wir allerdings nicht mit letzter Sicherheit | |
überprüfen. Ist das Ultimatum der Beweis dafür, dass eine neue Welle der | |
Arabisierung im Gange ist? Und stellen die Ackerbrände den Versuch dar, den | |
Widerstand dagegen zu brechen? | |
Hawez fährt über die staubigen Straßen Palkanas. Der Bauer will ein | |
mögliches Missverständnis ausschließen. Wenn von „Arabern“ die Rede sei, | |
meinten die Leute hier natürlich nicht alle Araber. Sie meinten nur die, | |
die Kurden mit Gewalt verdrängen wollten. An einer Kreuzung zeigt Hawez auf | |
ein einstöckiges Haus. „Da wohnt er“, sagt Hawez. Er meint Ali Hawaz. Der | |
Scheich ist ein einflussreicher Anführer des arabischen Schammar-Stammes. | |
Hawez sagt: „Alles hängt mit ihm zusammen.“ | |
Dorfbewohner haben uns einen Brief vorgelegt, in dem der Gouverneur von | |
Kirkuk dazu aufgefordert wird, den Schammar, die traditionell ein | |
Beduinenstamm sind, ein Leben in Palkana zu ermöglichen – wenn nötig mit | |
militärischer Unterstützung. Unterschrieben ist der Brief angeblich von Ali | |
Hawaz. Sicher ist: Ein halbes Dutzend Familien des Stammes haben sich in | |
Palkana niedergelassen. | |
Hawez fährt weiter. Schon im ersten Sommer, nachdem diese Familien | |
angekommen seien, sei die Zahl der Ackerbrände gestiegen, sagt er. Im | |
zweiten Jahr hätten sie ihren Höhepunkt erreicht. Sind Scheich Hawaz und | |
die Schammar die Brandstifter? Hawez glaubt an einen Pakt der Schammar mit | |
den Behörden. Das Feuer seines Feldes sei in der Nähe eines Checkpoints der | |
irakischen Armee entstanden, sagt er. „Die Soldaten haben gezündelt.“ | |
Hawez zeigt auf einen Geröllhaufen, der eine Straße unter sich begräbt. Die | |
Lebensgrundlage der Bauern zu zerstören sei nicht das einzige Mittel der | |
Araber, sich das Land der Kurden zu erpressen, sagt er. „Sie haben den Weg | |
zum Friedhof blockiert.“ Wer trotzdem hinkommt, stellt fest: Auch hier | |
brannte es. Die Szene erinnert an ein verfaultes Maul. Einige weiße | |
Marmorsteine ragen noch aus dem schwarzen Grund – darum herum stehen nur | |
noch braune Stumpen. | |
## Aussage steht gegen Aussage | |
Wir wollen an die Türen der Schammar-Familien klopfen, die Gegenseite | |
hören. Doch der Sergeant, der bei dieser Recherche für unsere Sicherheit | |
zuständig ist, rät ab. Einige Tage später sprechen wir Abu Saad am Telefon, | |
ein Mitglied der Schammar. „Wir haben großartige Beziehungen zu den | |
Kurden“, sagt er. „Die Ursache für die Feuer waren elektrische | |
Kurzschlüsse.“ Er wisse nichts von verprügelten Frauen oder versperrten | |
Straßen. Direkte Unterstützung von den Behörden habe sein Stamm auch nicht | |
bekommen. Saad erklärt, dass Schammar sich in den 1960er Jahren in Palkana | |
angesiedelt hätten. Die Kurden, denen das Land zuvor gehörte, seien dafür | |
entschädigt worden. „Die Häuser gehören den Familien.“ Es sei ihr gutes | |
Recht zurückzukommen. Den Kurden wirft er vor, es auf größere | |
Entschädigungen abgesehen zu haben. | |
Aussage gegen Aussage, klare Fronten zwischen Arabern und Kurden? Nicht | |
ganz. Mawlud Hassan Kerim, ein Kurde und einer der ältesten Männer der | |
Gegend, stützt Saads These: „Einige Kurden provozieren Probleme mit | |
Arabern, damit sie sich hier nicht niederlassen können.“ Und auch er deutet | |
an, dass es manch einem um Entschädigungen gehe. „Ich schwöre es bei Gott.�… | |
Hawez steht auf seinem Feld, von dem noch Rauch aufsteigt. Er streicht über | |
das, was von seinem Weidegras übrig ist, bis seine Hand voll ist mit den | |
Fasern, die an schwarzes Nähgarn erinnern. Hawez streitet nicht ab, dass | |
seine Familie bei früheren Vertreibungen entschädigt worden ist. Dann lacht | |
er ein merkwürdiges, abfälliges Lachen: „Wer verkauft schon das Land seiner | |
Vorväter?“, fragt er. „Als ob wir damals eine Wahl gehabt hätten!“ Was | |
hätte Saddam Hussein mit Verweigerern getan? | |
An seinen Vorwürfen gegen die Schammar hält Hawez fest. Doch er ahnt, es | |
könnte vergeblich sein. „Die Justiz ist immer auf ihrer Seite gewesen“, | |
sagt er. Und so, wie es die Dorfbewohner schildern, gilt das auch für die | |
Exekutive: Der zuständige Kommandeur der irakische Armee habe den Kurden | |
untersagt, ihre Felder zu bestellen, bis sie ihren Streit mit den Schammar | |
geklärt hätten. Hawez und die anderen Bauern Palkanas fürchten den nächste | |
Ernteausfall. Dafür muss nun nicht mal mehr die Erde brennen. | |
7 Sep 2019 | |
## AUTOREN | |
Issio Ehrich | |
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