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# taz.de -- Die Wahrheit: Das Liebesaus
> Tagebuch einer Beschwerdeführerin: „Wer will schon zu der
> Wutbürger-Spaßbremse werden, die man mit 20 selbst gehasst hat. Die
> traurige Wahrheit: Ich.“
Hallo Berlin! Alle mal herhören, heute ist mein Beschwerdetag! Einmal so
richtig abmotzen soll ja Verspannungen lösen, ich fang jetzt einfach mal
mit euch an, verehrte Berliner Verkehrsbetriebe, liebe BVG.
Seit ich vor Jahren deinem zärtlichen „Weil wir Dich lieben“- Werben erlag,
bin ich verkehrsmoralisch ganz weit vorn, aber wie das so ist mit der
Liebe, nach einer gewissen Zeit weicht der verklärte dem ungetrübten Blick.
Eben noch glitt ich aufgehoben in Deiner oft burschikosen aber halbwegs
schützenden Umarmung durch Berliner Erlebniswelten. Und vor nicht allzu
langer Zeit gab ich unterhaltsame Geschichten der Kategorie „Oma erzählt
vom Krieg“ zum besten: „Leute, gestern wieder in der U 8, ich so eingekeilt
zwischen Spanien, USA, Polen und dem hinteren Ural. Alle super drauf,
Europa wächst mit Bier begossen zusammen!“ Als nächstes übte ich mich in
Verständnis Marke „Hey, die sind jung, die woll’n ja nur spielen, haben wir
ja früher auch“, blabla. Wer will schon zu der Wutbürger-Spaßbremse werden,
die man mit 20 selbst gehasst hat.
Die traurige Wahrheit lautet: Ich. Und zwar spätestens seit mein ÖPNV sich
nachts zur ÖDZ, einer Öffentlichen Delirium-Zone verwandelt. Am Kreuzberger
Südstern auf der Treppe zur U 7 brüllen mit irgendwelchen chemischen
Substanzen abgefüllte Gestalten aufeinander ein, auf dem Bahnsteig reicht
die Anzahl mitgebrachter Spirituosen aus, um den gesamten Kiez lahmzulegen.
Proportional zur Zahl abgeklapperter Haltestellen steigt der Promillepegel,
am Mehringdamm entert ein spanisch-englisch lallendes Paar den gut
gefüllten Wagen und betankt sich abwechselnd aus einer XXL-Flasche
Jägermeister. An der Konstanzerstraße zeigen sie erste
Auflösungserscheinungen, Spanien sackt zusammen, England starrt glasig ins
Leere, der Wagenrest tut weiter das, was heute unter „feiern“ läuft und
wirkt dabei so ausgelassen wie die Gestalten in Gorkis Nachtasyl.
Der Einzige, der sich außer mir noch als halbwegs bei Sinnen erweist, ist
ein Radfahrer. Angesichts des unter unseren Füßen zu einem breiten Delta
anschwellenden bräunlichen Rinnsals werfen wir uns geistesgegenwärtig aus
der Flugbahn und entgehen so dem Nachschlag, den ein besoffener Hüne vom
Sitz nebenan in unsere Richtung abfeuert.
Berlin, du kotzt mich an. Aber ich versprech Dir, ab heute wird
zurückgekotzt! BVG, ich hab fertig, ich habe Dich zurückgeliebt, aber du
gehst fremd und feierst Orgien mit internationalen Ballermanntruppen, statt
unsere Romanze zu pflegen.
An dieser Stelle ein solidarischer Gruß ans Reinigungspersonal, das es
bestimmt toll findet, für die Freiheit von Komasäufern vergorene
Mageninhalte und Ausscheidungen der Kategorie Sonstiges aufwischen zu
dürfen.
Berlin hat ja reichlich Wasser, ich kauf jetzt ein Kanu und entdecke beim
nächtlichen Nachhausepaddeln neue Erlebniswelten.
23 May 2019
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
BVG
U-Bahn
Alkohol
Bretagne
Berlin
Fasten
Spandau
taz.gazete
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