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# taz.de -- Die Wahrheit: Französische Kreise
> Tagebuch einer Kurverin: Wer in der Bretagne urlaubt, steckt nicht nur in
> endlosen Kreisverkehren, sondern weiß auch klingende Namen neu zu
> schätzen.
Im schönen Frankreich hört es sich völlig normal an, wenn Kinder klangvolle
französische Namen tragen, wohingegen es recht exotisch anmutet, sobald ein
Vater wie neulich in Berlin seine Sprösslinge mit „Maurice, Amadeo, macht
mal hinne!“ zur Eile antreibt.
In Berliner Erziehungsstätten wird der Lehrermangel mit
bildungsbürgerlichem Ehrgeiz der Eltern wettgemacht, ich kenne jemanden,
der für die Namensfindung seiner fünf Töchter offenbar Konzertprogrammhefte
geplündert hat. Eine der armen Kleinen muss sich nun als Salome durch ihr
Leben schlagen, und man darf erleichtert sein, dass der Mann keinen Sohn
hat, dem wäre wohl Siegfried nicht erspart geblieben.
Als Kind wurde ich in Köln-Ehrenfeld mal Zeugin, wie ein Dickwanst im
Rippenhemd aus dem Fenster einer Mietskaserne nach seinem Augenstern
brüllte: „Marion-Yvonne, kumm us de Sood!“, was sich auf Hochdeutsch mit
„Raus aus der Gosse“ übersetzen lässt. Irgendwie ist mir das sympathischer
als „Nein, Cosima, du darfst den Tristan nicht hauen.“
Bei all den Namenswellen, die schon über mich hinweggespült sind, warte ich
gespannt, wann im Biomarkt wieder die ersten Sabines und Michaels, die seit
Langem mein Adressbuch füllen, die Dinkelregale verheeren. Apropos Wellen:
Frankreich, insbesondere die Bretagne, ist das Land der Bodenwellen und
Kreisverkehre. Sagenhaft, wie viele Schwellen in einem einzigen Ort verbaut
werden können, dagegen sind die Berliner Bergmannstraßen-Hinkelsteine
reinstes Pillepalle.
Zwischen Hafenbuchten und Austernbänken gehen Kreisverkehre ineinander
über, verschlingen sich zärtlich zu Elipsen und erinnern an die Dinger in
Wissenschaftsfilmen, die in vielfacher Vergrößerung unterm Mikroskop
herumzappelnd ständig ihre Form verändern. Übrigens ist die Brutzeit bei
französischen Kreisverkehren extrem kurz. Zwei in Wollust entbrannte
Kringel können über Nacht problemlos eine ganze Familie aus kleinen runden
Dingern produzieren, die schnell wachsend mit einem neuen Parcours
überraschen.
Auf der Strecke zwischen Provinzbahnhof und Ferienhaus, auf der ich beim
Shuttle meiner Gäste den Urlaub verbringe, habe ich den Kreisverkehren und
Pollern zum Zeitvertreib Namen gegeben. Da ist die ehrliche Nadine mit der
erkennbaren Wölbung, der heimtückisch abgeflachte Emile oder auch
Depardieu, der massige Klops am Ortsanfang mit vier Ausfahrten und üppig
bepflanzter Mittelinsel.
Wegen der eingeschränkten Reaktionszeit zwischen zwei Kreiseln hat der
französische Autofahrer das Blinken mehr oder weniger eingestellt, für
Fremde ein Segen, da man sich als blinkender Doch-nicht-Abbieger nicht mehr
als kreisverwirrter Touristenidiot outen muss. Überhaupt ist das
bretonische Leben angenehm entschleunigt, und auch für euch, Maurice und
Amadeo, werden auf dem Weg zum Bahnhof noch zwei Kreisverkehrchen wachsen.
Versprochen.
15 Aug 2019
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Bretagne
Verkehr
Vornamen
Städte
Turnen
Deutsche Bahn
Berlin
Flaneurin
BVG
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