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# taz.de -- Die Wahrheit: Im Einheitsurwald
> Tagebuch einer Tierfreundin: Die Tiere übernehmen endgültig die Stadt!
> Der Asphalt-Dschungel gehört Fledermäusen und Maulwürfen.
Bild: Sie sind überall und sie sind gerüstet: Kampfhund in voller Montur
Mit der Zeitung platzte die Nachricht ins Frühstück: Der Berliner
Mietendeckel hat das Einheitsdenkmal erreicht, der Bau unserer Volkswippe
kann vorerst nicht begonnen werden. Schuld ist einmal nicht die
Bausenatorin, irgendein gestalterisch verwirrter Bezirksstadtrat oder –
glaubt man der gefühlten Trillion von Artikeln und TV-Sendungen – die eher
mäßige Einheitseuphorie, sondern die Fledermaus, die sich im Sockel der
zukünftigen Begegnungsspielwiese scharenweise verschanzt hat.
Trotz ausgeklügelter Vorsichtsmaßnahmen und des Einbaus klitzekleiner
Fledermaustüren, durch die sie zwar raus-, aber nicht mehr reinkommen, ist
es den kleinen Rackern gelungen, es sich für den Winter gemütlich zu
machen.
Man möchte den possierlichen Tierchen ein anerkennendes „Alles richtig
gemacht!“ zurufen. Übrigens ein Ausdruck, der sich gerade ähnlich sinnfrei
im Sprachalltag etabliert wie das omnipräsente Wörtchen „genau“. Das nur …
Rande. Wie auch immer, wer jetzt unbedingt politischen Selbstmord begehen
möchte, dem sei empfohlen, die Fledermaus-Winterruhe zu stören.
Auch in den Radionachrichten regierte die Tierwelt. Die Morddrohungen gegen
Cem Özdemir und Claudia Roth fanden gerade noch Erwähnung, der Mangel an
Ladestationen für E-Autos wurde kurz gestreift, und schon war man wieder
im Dunkeln, diesmal unter der Erde. Der europäische Maulwurf ist das Tier
des Jahres 2020, erfuhr ich.
Meine Begeisterung blieb gedämpft, da mein eingebauter Seismograf für
Antidiskriminierung feinfühlig einen Verstoß gegen die Gleichbehandlung der
nichteuropäischen Maulwürfe registrierte. Was ist mit den afrikanischen,
den neuseeländischen, den amerikanischen Talpidae? Wo sollen die ihre
kleinen Schaufeln wetzen? Werden sie sich unterm Atlantik zu uns
rüberbuddeln und mit den illegal eingeflogenen West-Nil-Virus-Mücken
verbrüdern? Wie reagiert Seehofer?
In New York prognostizierte vor Jahren mal eine Studie, was passiert, wenn
man aufhört, den New Yorker Central Park zu pflegen. Überraschung! Laut der
beteiligten Wissenschaftler muss man im Prinzip nur mal kurz aufs Klo
gehen, bis die Pflanzenwelt über Bänke, Treppen, Brunnen, Begrenzungsmauern
und Avenues die Fassaden hoch und über die Dächer wuchert. Das Ergebnis war
anschaulich bebildert und sah aus wie Angkor Wat.
Es kommt der Tag, da werden Maulwürfe, Fledermäuse und allerlei anderes
Getier auf der Wippe schaukeln und inmitten eines schönen Urwalds
Einheitspartys feiern. Doch es folgt Heulen und Zähneklappern, denn ein
erbarmungsloser Verdrängungskampf um das knapper werdende Immobilienangebot
wird in der sich rasant vermehrenden Tierwelt ausbrechen. Aber wie sagte
schon Werner Herzog in einem Dokumentarfilm über „Fitzcarraldo“ in seinem
unnachahmlichen bayerischen Englisch: „The Tschangel is murderous and
obscene!“
7 Nov 2019
## AUTOREN
Pia Frankenberg
## TAGS
Städte
Einheitswippe
Tiere
Deutsche Einheit
W. C. Fields
Brille
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Tiere
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Bretagne
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