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# taz.de -- Filmfestival Cannes Tag 9: Fehlende Körperteile
> Tarantino hat's wieder in Starbesetzung getan. Aber tut die seinem neuen
> Werk auch gut? Besser sind Trickfilme über Bären und eine Hand.
Bild: Noch lachen sie: Brad Pitt und Leonardo diCaprio
Immerhin: Geregnet hat es nicht. Zwei Stunden anstehen waren aber nötig, um
sicherzugehen, dass man noch einen Platz im Kino bekam. Wenn Tarantino in
Cannes ist, herrscht Ausnahmezustand. „Once Upon a Time … in Hollywood“ v…
Quentin Tarantino gehört mit zwei Stunden und vierzig Minuten Laufzeit zu
den längsten Beiträgen im Wettbewerb.
Viel darüber verraten soll die Presse nicht. Vor der Vorführung wurde eine
Bitte des Regisseurs verlesen, dass man seine Kritiken so schreiben möge,
dass sie dem zukünftigen Kinopublikum die Möglichkeit geben, den Film so
unvoreingenommen zu erleben wie man selbst. Was konsequenterweise hieße, an
dieser Stelle aufzuhören, überhaupt etwas dazu zu schreiben.
Oder man beschränkt sich auf die bekannten Dinge. Leonardo DiCaprio ist als
Rick Dalton zu erleben, ein Westernstar auf dem absteigenden Ast. Sein
Stuntman Cliff Booth (Brad Pitt) hat ebenfalls schon bessere Zeiten hinter
sich. Beide versuchen, aus ihren angeschrammten Karrieren das Beste zu
machen, was Tarantino mit der ihm eigenen Detailversessenheit und höchst
liebevoll nostalgisch ausgestaltet. Von klassischen Western-Sets bis hin zu
Bierdosen im alten Konserven-Look.
## Treffsichere Ironie
Seine größte Leistung ist dabei ja immer wieder, die eigenen Inspirationen
so aussehen zu lassen, als hätte er all das selbst erfunden, vor allem dank
der treffsicheren Ironie, mit der er das tut.Wie DiCaprio fast daran
verzweifelt, sein früheres Bild von sich selbst zugunsten seines aktuellen
Schauspieler-Ichs zu verabschieden, hätte eigentlich genügt, um einen
großen Film über das New Hollywood der sechziger Jahre zu machen.
Dass Tarantino diese Handlung mit dem Sharon-Tate-Mord durch die Manson
Family kurzschließt, wäre gar nicht nötig gewesen. Doch er wollte wohl um
jeden Preis Kunstblut-Farbakzente setzen und zugleich seine Korrekturen an
einem der dunkelsten Kapitel der Geschichte der Traumfabrik anbringen. Was
ihm nicht gut glückt.
Größere Freuden kann man mitunter bei Zeichentrickfilmen genießen. „La
famosa invasione degli orsi in Sicilia“ ist das Spielfilmdebüt des
italienischen Comiczeichners Lorenzo Mattotti (siehe taz vom 9. 1. 2018).
Dieser überführt den Kinderbuchklassiker gleichen Namens von Dino Buzzati
von 1945 zum ersten Mal ins Bewegtbild. Die Geschichte über eine
Bärenhorde, die sich aus Hunger in die Gefilde der Menschen vorwagt, hat
Mattotti mit schraffierten, extrem stilisierten Landschaften in einen
Fantasietrip aus gedämpften Farben verwandelt, der Erwachsene mindestens
genauso ansprechen dürfte wie Kinder. Eine wunderbare Abwechslung in der
Reihe „Un certain regard“.
## Orte der Erinnerung
Die Reihe „Semaine de la critique“ bietet ebenfalls einen bemerkenswerten
Zeichentrickfilm. „J’ai perdu mon corps“ des Franzosen Jérémy Clapin fo…
einer Hand, die, vom zugehörigen Körper abgetrennt, auf die Suche nach
ihrem verlorengegangenen „Rest“ geht. Auf den Stationen, die sie passiert,
lösen die einzelnen Orte Erinnerungen aus, Rückblenden auf das Leben des
Jungen Naoufel, Inhaber der Hand.
Eines Jungen, der es leichter hätte haben können, vom Schicksal jedoch
harsch getroffen wird. Migration und Außenseitertum werden in seiner
Geschichte im Bild der abhanden gekommenen Hand so elegant wie krass
verdichtet. Clapin wählt für diese surreale Idee einen realistischen, stark
flächigen Zeichenstil mit klaren Linien als Konturen. Hätte er nur nicht
diese aufdringlich sentimentale Musik hinzugenommen.
23 May 2019
## AUTOREN
Tim Caspar Boehme
## TAGS
Abgetrenntes Körperteil
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes
Quentin Tarantino
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DVD
Filmrezension
Schwerpunkt Filmfestspiele Cannes
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Kostümfilm
Österreich
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