# taz.de -- Kunst-Ausstellung in Hamburg: Vertraut uns einfach! | |
> Die Ausstellung „Political Affairs“ im Hamburger Kunstverein beschäftigt | |
> sich mit Kunst und Sprache. Das tut sie anspielungsreich, witzig, | |
> verwirrend. | |
Bild: „Du kommst hier nicht rein“, sagt Bonvicinis Arbeit mit freundlicher … | |
HAMBURG taz | Im Treppenhaus des Hamburger Kunstvereins blinken bunte | |
Buchstaben. Mit dem Slogan „Trust Women“ fordert Andrea Bowers, auf | |
weibliche Erfahrungswerte zu vertrauen. Aber auf den zweiten Blick fällt | |
auf, dass der kommerziell inszenierte Text trotz aller Buntheit schäbig | |
daherkommt: Die Buchstaben sind aus billigem Karton, die Leuchtdioden grob | |
verkabelt. | |
Ursprünglich stand „Trust Women“ (2018) in direkter Verbindung zu Bowers’ | |
Arbeit „Open Secret (Part One)“, das Beschuldigungen im Zuge der | |
[1][#MeToo-Bewegung] dokumentierte. In Hamburg ist die Installation der | |
Einstieg zur Ausstellung „Political Affairs. Language is not innocent“, als | |
Einfordern eines Vertrauens, das seltsam kontextfrei bleibt: Ohne „Open | |
Secret (Part One)“ weiß man nicht so recht, wofür man hier eigentlich | |
Vertrauen schenken soll. | |
Andrea Bowers’ Beitrag ist ein hübscher Beginn für „Political Affairs“, | |
eine Ausstellung, die die Berliner Künstlerin Monica Bonvicini und die | |
Kunstvereins-Chefin Bettina Steinbrügge in Zusammenarbeit mit Jason Dodge | |
als Bestandsaufnahme der politischen Gegenwartskunst unter besonderer | |
Berücksichtigung des Elements Sprache kuratiert haben. | |
Was ein durchaus vermessener Anspruch ist: Gerade mal 20 künstlerische | |
Positionen versammelt das Projekt, wirklich allumfassend kann der Versuch, | |
„kritische Sprache in […] kreativen Arbeiten einzusetzen“, so nicht | |
untersucht werden, insbesondere wenn die Ausstellung auch noch | |
Produktionsmethoden hinterfragen und Sprache von Politik, Massenmedien, | |
Kino und Literatur integrieren will. | |
## Fehler oder Fußangel | |
Bonvicini und Steinbrügge retten sich, indem sie den Umweg über die Ironie | |
gehen: Vertraut uns einfach, so kann man Bowers’ Installation im | |
Treppenhaus auch lesen, das mit dem Gesamtüberblick bekommen wir schon hin. | |
Spoiler: Dass die Ausstellung das nicht hinbekommt, wissen die Kuratorinnen | |
selbst. | |
Das gesamte obere Geschoss des Kunstvereins wird mit einer für diesen Ort | |
überraschend traditionellen Hängung bespielt (im Erdgeschoss ist derweil | |
eine Einzelpräsentation der Münchner Künstlerin Cana Bilir-Meier zu sehen), | |
freilich gibt es keine Beschilderung – man muss sich mittels eines | |
Floorplans orientieren, und ein kleiner Reader informiert hinreichend über | |
die ausgestellten Arbeiten. | |
Allerdings ist der abgedruckte Plan inkorrekt, was ein nachträglich | |
eingefügter Aufkleber auch betont: „Don’t trust the floorplan“. Ganz klar | |
wird nicht, ob das schlicht ein editorischer Fehler ist oder eine Fußangel, | |
die Bowers’ „Trust women“-Eröffnung raffiniert hinterfragt; in jedem Fall | |
entspricht der Aufkleber aber der von Bonvicini und Steinbrügge gepflegten | |
Widerhakenästhetik, die mehr auf künstlerische Verwandtschaften setzt als | |
auf vorgegebene Wege. | |
Auf der Suche nach solchen Verwandtschaften findet man zwei weitere | |
Arbeiten in Leuchtschriftästhetik: Einmal Elmgreen & Dragsets | |
2011er-Installation „AIDS is Good Business for Some“, das blinkend zunächst | |
den ersten Teil des Satzes erleuchten lässt, als zynische Feier der | |
Immunschwächekrankheit, die durch das Aufleuchten des zweiten Teils zur | |
Kritik an der profitorientierten Pharmaindustrie wird. Elmgreen & Dragset | |
machen hier eine Art Antiwerbung, allerdings, indem sie Elemente der | |
Werbeästhetik durchaus affirmativ kopieren: künstlerische Überrumpelung, | |
einfache Botschaft, Wortwitz. | |
## Bezüge-Overkill | |
Die dritte Leuchtschrift stammt von Bonvicini selbst, und sie konstatiert | |
knapp: „Not for you“ (2006). Die Glühbirnen auf einer Stahlkonstruktion | |
wirken weit weniger brüllend als die blinkenden Affektmaschinerien von | |
Elmgreen & Dragset, ein böser Glamour wohnt Bonvicinis Beitrag inne, der | |
von Ausschlussmechanismen erzählt, von Architektur, | |
Geschlechterverhältnissen, Macht. „Du kommst hier nicht rein“, sagt diese | |
Arbeit mit freundlicher Souveränität, und sie meint damit sowohl die | |
Vorstandsetage wie die engere Kunstelite. | |
Solche Ausschlussmechanismen ziehen sich auch durch andere Exponate in | |
„Political Affairs“. Karo Akpokieres Bildergeschichte „Stephanie“ zeich… | |
in melancholischer Eindeutigkeit ein alltagsrassistisches Erlebnis nach. | |
Freilich wirken die comicartigen Blätter in ihrem eher literarischen | |
Zugriff irritierend. Doch das ist eine Spur, die Bonvicini und Steinbrügge | |
mit ihrem Konzept weiterverfolgen: Literatur etwa ist grundsätzlich ein | |
wichtiges Element der Ausstellung, das zum Beispiel in Daniela Comanis | |
„Neurscheinungen, hrsg. von Daniela Comani“ (2008) zu sehen ist. | |
Comani überschreibt hier Weltliteratur unter feministischen Vorzeichen, aus | |
Melvilles „Moby Dick“ wird „Moby Pussy“, aus Cervantes’ „Don Quixot… | |
Quixote“. Oder Claire Fontaines „Brickbats“, Ziegelsteine, die mit | |
Buchcovern versehen sind und so als wuchtige Drohungen in der gesamten | |
Ausstellung rumliegen, Hannah Arendts „Eichmann in Jerusalem“ etwa oder | |
Nancy Isenbergs „White Trash“. | |
Manchmal verliert dieser Bezüge-Overkill den inhaltlichen Fokus und man | |
weiß nicht mehr so recht, wo hier der Link zur Sprache als zentraler | |
politischer Aspekt sein soll. Und dann steht man vor George Brechts | |
„Paradox Shirt“ (1989), auf dessen Vorderseite „On my Back is a Lie“ st… | |
und auf der Rückseite „On my Chest is the Truth“, und angesichts dieses | |
kleinen Brainfucks wird klar, dass diese kluge, hintergründige, in ihrer | |
Konventionalität zutiefst unkonventionelle Ausstellung nicht zuletzt auch | |
das ist: ein böser Spaß. | |
25 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] /Ein-Jahr-MeToo/!5538032 | |
## AUTOREN | |
Falk Schreiber | |
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