| # taz.de -- Konferenz auf Hamburger Sommerfestival: Heimatphantasien, aber nich… | |
| > Der Begriff Heimat ist in aller Munde. Die Sehnsucht nach ihr nimmt | |
| > scheinbar zu. Das berunruhigt viele. Zu Unrecht? | |
| Bild: Ambivalenter Begriff: Seit kurzer Zeit ist das Bundesinnenministeriums au… | |
| Hamburg taz | Von rechts nach links, vom Duft nach Bratwurst bis zur Liebe | |
| zum eigenen Kiez oder der Verantwortung für die eigene Community. Alle | |
| reden wieder von Heimat, und das Innenministerium ist nun auch eines für: | |
| Heimat. Gefährliche “Heimatphantasien“ als Hintergrundrauschen eines | |
| Rechtsrucks? Oder alles halb so schlimm und in immer unübersichtlicheren | |
| Zeiten Ausdruck einer legitimen Sehnsucht nach einem Ort, an dem man sich | |
| zugehörig, anerkannt und sicher fühlt? | |
| Eine schnelle Antwort hatte niemand beim Themenschwerpunkt zur Renaissance | |
| von Heimat und Nation am Wochenende beim Sommerfestival auf Kampnagel. | |
| Weder die Politikwissenschaftlerin Naika Fourotan noch der Poptheoretiker | |
| Diedrich Diederichsen, der Migrationsforscher Mark Terkessidis, der | |
| Kulturwissenschaftler Klaus Theweleit oder die postkolonialen | |
| Theoretikerinnen Nikita Dhawan und María do Mar Castro Varela. | |
| Schnell wird auf den so divers besetzten Podien klar: Wie man zur Heimat | |
| steht, ist eine Frage von Position und Perspektive. Für Klaus Theweleit ist | |
| Heimat immer noch ein “Mordbegriff“, eigentlich sei doch Volksgemeinschaft | |
| gemeint: Wer will da dazugehören? Auch für Gabriele Kämper, Leiterin der | |
| Geschäftsstelle Gleichstellung des Berliner Senats, ist Heimat “kein | |
| progressiver Begriffsraum“. Für Schwarze Deutsche wie die | |
| SPD-Menschenrechtsreferentin Karen Taylor oder die Gender- und | |
| Islamwissenschaftlerin Soraya Hassoun aber stellt sich die Frage eben | |
| anders: Warum dürfen wir nicht dazugehören? Was müssen wir noch alles tun, | |
| dass wir als Gleiche anerkannt werden? | |
| Dass Heimat im Gegensatz zur Nation jedenfalls der unschärfere Begriff ist, | |
| darin waren sich alle einig: Heimat als Chiffre für alle möglichen | |
| Sehnsuchtsorte kann heute alles bedeuten, wo man sich wohl fühlt. Das | |
| meiste davon: nicht wirklich bedrohlich. Aber nun komme Heimat als | |
| nationales Konzept mit handfesten Konsequenzen zurück, sagt Kuratorin | |
| Margarita Tsomou zur Eröffnung. Spätestens die Erfindung des | |
| Heimatministeriums bringe beide Begriffe in eine “toxische Mischung“, weil | |
| die Umbenennung suggeriere, dass hier niemand ein Zuhause findet, für den | |
| es nicht immer schon authentisch Heimat gewesen sei. | |
| ## Heimat im Plural denken | |
| Mit dem Heimatbegriff aufgeladen und vermischt werde die Nation zur | |
| gefährlichen Gemengelage aus Ort und Gefühlslage, sagt auch Naika Foroutan. | |
| Das Innenministerium als Heimatministerium sei ein Ministerium der | |
| Ausgrenzung, sagt Karen Taylor. Durch die Gleichsetzung von Heimat und | |
| Nation bekomme die Debatte eine politische Definition, die auf der Lüge der | |
| Homogenität aufbaue, weil in den Narrationen Schwarze Menschen und andere | |
| Minderheiten nicht auftauchten. | |
| Aber wirklich neu sei die Situation auch nicht, betont Terkessidis: Wann | |
| sei der Begriff Heimat denn je weg gewesen? Und so ganz klar sei es auch | |
| nicht, ob es nun schlimmer geworden ist. Hat der Rassismus zugenommen oder | |
| die Aufmerksamkeit für ihn? Zwar habe es nie mehr Hass gegeben, aber auch | |
| nie mehr Mitsprachemöglichkeiten. Daraus ließe sich mehr machen als in den | |
| 90ern – wenn man endlich Abschied nähme vom Konzept der Integration und | |
| akzeptierte, dass Heimat sich in einer Realität gewordenen | |
| Einwanderungsgesellschaft längst nur noch im Plural denken lasse. | |
| Dass Alternativen ohne einen kritischen Blick auf die Verwobenheit von | |
| Nationenbildung, Kolonialismus, Migration und Geschlecht auf die | |
| Überschneidung von Diskriminierungsformen jedenfalls nicht zu haben sind, | |
| rückt der zweite Konferenztag in den Blick. Leitfragen dabei sind: Lässt | |
| sich die nationale Form praktisch unterlaufen? Lassen sich Impulse für ein | |
| Handeln jenseits des Nationalen finden? | |
| Interessant ist etwa, worauf der singapurische Künstler Ho Tzu Nyen dabei | |
| hinweist, dessen postkoloniale künstlerische Auseinandersetzung mit der | |
| Entstehung Südostasiens derzeit im Hamburger Kunstverein zu sehen ist: Im | |
| Hochland Zomia – einer Region, die nie durch Sprache, Religion oder | |
| politische Strukturen vereinheitlicht werden konnte – habe Heimat eine ganz | |
| andere Funktion. Dort sei die Verknüpfung von sozialen Strukturen und | |
| Räumen eine Kunst, die das Ziel verfolge, nicht von anderen regiert zu | |
| werden; eine Strategie der Selbstorganisation, die sich gegen die | |
| Entstehung jeglicher Staatlichkeit richte. | |
| Um gegenwärtige Versuche, soziale Selbstorganisation und Territorium | |
| jenseits traditioneller Grenzen in ein anderes Verhältnis zu bringen, ging | |
| es denn auch zum Abschluss – zum Beispiel anhand der staatenlosen | |
| Demokratie in Rojava im Norden Syriens, des Munizipalismus in Spanien und | |
| der transnationalen feministischen Proteste in Lateinamerika: ganz konkret | |
| gewordene, inklusive Heimatvorstellungen jenseits nationaler Rahmungen. Sie | |
| bieten viel Raum für nicht-toxische Heimatphantasien. | |
| 20 Aug 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Matthies | |
| Katherine Braun | |
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