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# taz.de -- Sozialdemokratin über den Heimatbegriff: „Kein unschuldiges Wort…
> Im Bundestag befasst sich Karen Taylor mit Menschenrechten. Ein Gespräch
> über Kolonialismus, geschützte Räume und die Macht von Quoten.
Bild: „Heimat bezeichnet bloß die Rückbesinnung auf ein Deutschland, das es…
taz: Frau Taylor, Sie nehmen an diesem Wochenende an der Konferenz
„Heimatphantasien“ in Hamburg teil. Wie stehen Sie zu dem Begriff „Heimat…
Karen Taylor: Ich finde es in Ordnung, wenn das Wort im Privaten gebraucht
wird. Wenn Leute zum Beispiel sagen: „Ich fahre am Wochenende in die
Heimat“, weil sie nicht aus Berlin stammen. Aber im politischen Kontext ist
er problematisch. Ich habe mich sehr geärgert, als ich im Bundestag
mitbekommen habe, dass das Innenministerium [1][umbenannt wird in
Ministerium des Innern für Bau und Heimat.]
Weshalb?
Weil so getan wird, als wäre Heimat ein unschuldiges, unbeflecktes Wort.
Und das ist es nicht. Im Idealfall hätte man im Vorfeld erst mal
diskutieren können, was der Begriff überhaupt soll. Aber das ist nicht
passiert. Erst nachdem die Umbenennung bekannt wurde, hat Horst Seehofer
gesagt, unter Heimat verstehe er schöne Landschaften und Vielfalt. [2][Aber
wenn wir uns Seehofers Politik im Bezug auf Geflüchtete anschauen], kann
von Vielfalt ja nicht die Rede sein.
Geht es bei dem Heimatbegriff also vorrangig um Ausgrenzung?
Ja, das kann man so sagen. Denn Heimat bezeichnet bloß die Rückbesinnung
auf ein Deutschland, das es so nie gegeben hat. Es ist ja keine Tatsache,
dass Deutschland immer weiß gewesen ist, dass es keine Migration und nur
eine Religion gegeben hat. Nur weil es jetzt eine größere Veränderung in
der Demografie gibt, entsteht die Sehnsucht nach einem Staat, in dem alle
gleich aussehen. Diese Sehnsucht zeigt aber, dass gerade Menschen
integriert werden müssten, die in der Integrationsdebatte normalerweise
immer auf die anderen Leute zeigen.
Kann es ein alternatives Konzept geben, das Zugehörigkeit für möglichst
viele Menschen schafft?
Normalerweise verdrehe ich immer die Augen, wenn sich jemand bei allem auf
das Grundgesetz beruft. Aber hier finde ich es tatsächlich sehr passend. Im
Grundgesetz steht schwarz auf weiß, dass Deutschland vielfältig ist und
jeder Mensch dieselben Grundrechte hat. Diese Werte sollten eine
Gesellschaft zusammenhalten.
Und wenn das nicht reicht?
Dann muss die Politik handeln und ehrlich genug sein, den Bürger*innen zu
vermitteln, dass Deutschland nicht für immer so bleiben kann, wie es ist.
Alles andere wäre eine Lüge.
Sie engagieren sich für postkoloniale Erinnerungskultur in Deutschland.
Inwiefern hängt die deutsche Kolonialgeschichte mit dem Heimatbegriff
zusammen?
Das eine ist von dem anderen nicht zu trennen. Die Idee von Heimat diente
unter anderem dazu, den vermeintlich „edlen“ Deutschen vom „barbarischen,
tierähnlichen“ Afrikaner in den deutschen Kolonien abzugrenzen. Dieses
Denken, diese Selbstüberhöhung führte [3][zum ersten Völkermord an den
Herero und Nama] in „Deutsch-Südwestafrika“, dem heutigen Namibia.
Ist auch das fehlende Wissen um deutschen Kolonialismus innerhalb der
Bevölkerung Grund dafür, dass der Heimatbegriff einfach so stehen gelassen
wird?
Oh ja. Seit über 300 Jahren leben Schwarze Menschen in Deutschland und sind
etwa ins Berliner Stadtbild eingeschrieben. Und dennoch behaupten Leute,
Deutschland habe nie Kolonien gehabt und habe niemanden versklavt. Es gibt
Heimatmuseen in Deutschland, in denen afrikanische Raubkunst ausgestellt
wird, vor allem aus Kamerun und Togo. Diese gehören paradoxerweise zur
deutschen Kultur und können dementsprechend nicht zurückgegeben werden.
Aber den Menschen wiederum, die aus diesen Regionen kommen, wird kein
Zutritt zu diesem Land gewährt. Und wenn sie schon lange hier leben,
gehören sie eben dennoch nicht zur Heimat.
Neben Ihrer Arbeit als Referentin der SPD im Bundestag sind Sie auch
politische Referentin des Vereins Each One Teach One e. V., eines
Community-Projekts in Berlin-Wedding von Schwarzen Menschen für Schwarze
Menschen. Wie ist dieser Verein entstanden?
Unser Verein ist durch das Engagement Schwarzer, vor allem
literaturbegeisterter Frauen entstanden, die uns ihr Archiv an
afrodiasporischer Literatur vermacht haben. Neben unserer Bibliothek mit
knapp 7.000 Werken gibt es zwar auch Formate, die sich generell an den Kiez
richten, aber vor allem machen wir Projekte, die ausschließlich für
Schwarze Menschen sind. Dazu zählen etwa Nachhilfe, Jugendsupport und eine
Beratungsstelle für Erfahrungen mit Anti-Schwarzen-Rassismus. Wir haben den
Bedarf gesehen, weil es zwar einige Angebote für Menschen mit sogenanntem
„Migrationshintergrund“ gibt, aber kaum etwas, das sich explizit an
Schwarze Menschen richtet.
Gerät der Verein auch in Kritik für diese explizite Ansprache Schwarzer
Menschen?
Ja, leider werden wir regelmäßig dafür angegriffen, mit Hassnachrichten und
vielen Anrufen. Es gab einen größeren Backlash, als wir ein eigenes
Screening des Films „Black Panther“ als Schwarzes Event für die Community
angekündigt haben. Viele Leute meinten daraufhin: „Wie könnt ihr mir
verbieten, dorthin zu kommen, nur weil ich nicht Schwarz bin? Das ist
rassistisch!“
Wie gehen Sie mit diesen Vorwürfen um?
Mit Gesprächen. Zum Beispiel erklären wir, dass es sich bei „Schwarz“ um
eine Selbstbezeichnung handelt. Wir würden also niemals an der Tür stehen
und sagen: „Du kommst nicht rein, du bist nicht Schwarz genug!“ Darum geht
es nicht. Wir wollen nicht Menschen ausgrenzen, sondern einen geschützten
Raum für Schwarze Menschen schaffen, den es bisher so nicht gegeben hat.
Bei Frauengruppentreffen wird auch akzeptiert, dass Männer da nichts zu
suchen haben. Und zwar nicht, weil diese Frauen Männerhasser sind, sondern
weil sie einen geschützten Raum brauchen, wo sie ihre Erfahrungen mit
Gewalt und Diskriminierung verarbeiten und gemeinsame Visionen für die
Zukunft entwickeln können. Und genauso etwas braucht die Schwarze Community
eben auch.
Wie haben Sie eigentlich [4][die #MeTwo-Aktion in den sozialen Medien]
wahrgenommen, wo viele Menschen ihre Rassismuserfahrungen in Deutschland
öffentlich machten?
An sich fand ich es sehr gut, dass diese Diskussion so medienwirksam
geführt wurde. So ging der Rassismusdiskurs endlich über die üblichen
Kreise hinaus und erreichte den Mainstream. Mich hat nur ein bisschen
gestört, dass es zu sehr abgekupfert war von der #MeToo-Debatte und somit
dem Thema Sexismus Raum geklaut hat. Vielleicht hätte es einen anderen,
unabhängigen Hashtag geben müssen.
Aber wäre es nicht ideal, einfach beide Diskurse zusammenzubringen, also
intersektional zu betrachten?
Auf jeden Fall. Ich selber kann mich als Schwarze Frau auch gar nicht für
das eine oder andere entscheiden. Aber ich fürchte, wir sind in Deutschland
noch nicht so weit. Ich sehe häufig die Gefahr, dass das Ganze miteinander
vermengt wird, und nicht mehr klar ist: Hier geht es auch um Rassismus. Ich
verkenne überhaupt nicht, dass Frauen immer noch einen weiten Weg vor sich
haben, was Gleichberechtigung angeht. Aber gegen Sexismus ist bislang viel
mehr getan worden als gegen Rassismus.
Meinen Sie auf gesetzlicher Ebene?
Ja. Gerade in Berlin haben wir ein Landesgleichstellungsgesetz, wo es klare
Zielmarken gibt für die Gleichberechtigung von Frauen im öffentlichen
Dienst. Aber unser Partizipations- und Integrationsgesetz spricht dann eher
davon, dass Menschen mit Migrationshintergrund sich „bemühen“ müssen, um
ein gleichwertiges Mitglied der Gesellschaft zu sein. Wenn man das in Bezug
auf Frauen so formulieren würde, wäre der Aufschrei groß – und zu Recht!
Wären Sie prinzipiell für eine Quote?
Bei diesem Thema spreche ich mit zwei unterschiedlichen Hüten. Als
Aktivistin würde ich sagen: Wir brauchen sofort überall eine Quote! Weil es
da nicht um Bevorzugung geht, sondern um das Ausgleichen von Nachteilen.
Aber als Mensch, die in einer Partei ist, weiß ich: Es geht um Mehrheiten.
Und selbst bei der Frauenquote schreien alle auf. Für eine Quote für
Menschen of Color und Schwarze Menschen wird so schnell keine Mehrheit
zusammenkommen. Leider.
Aber Sie glauben, die Idee wäre praktisch umsetzbar?
Ja, auf jeden Fall. Ich denke, eine Grundvoraussetzung wäre es, eine
Zählung vorzunehmen, die zeigen müsste, wie es denn zur Zeit um
Minderheiten in Deutschland steht. Gerade im Bezug auf Schwarze Menschen
können wir gar nicht genau sagen, wie viele es aktuell sind, wegen der
unterschiedlichen Hintergründe. Und dann müsste eine realistische Quote
angesetzt werden, um Fakten zu schaffen. Gerade gab es eine Befragung der
NGO Citizens For Europe in den Führungsetagen im öffentlichen Dienst in
Berlin. Da kam heraus, dass 97 Prozent der Personen dort weiß sind. Auf die
Frage, ob fehlende Diversität ein Problem ist, antworteten sie mehrheitlich
mit Ja. Auf die Frage wiederum, ob sie sich selbst als Teil des Problems
sehen, antworteten die meisten mit Nein – obwohl sie ja letztendlich die
Personen sind, die bei Neueinstellungen mitentscheiden. Eine
vorgeschriebene Quote könnte also Veränderungen in der Personalstruktur
herbeiführen.
17 Aug 2018
## LINKS
[1] /Innenministerium-wird-ausgeweitet/!5483263
[2] /Seehofer-erschwert-Fluechtlingshilfe/!5524661
[3] /Herero--und-Nama-Konferenz-in-Hamburg/!5496926
[4] /Kolumne-Liebeserklaerung/!5520202
## AUTOREN
Fatma Aydemir
## TAGS
Heimat
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Große Koalition
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