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# taz.de -- Ausstellung zum 500. Todesjahr da Vincis: Leonardo, Baby
> Die Hamburger Kunsthalle zeigt den hauseigenen Leonardo-da-Vinci-Bestand.
> Und stellt einen Künstler vor, der die Konventionen verletzte.
Bild: Ausschnitt aus da Vincis „Aristoteles und Phyllis“ (um 1475)
Die Ausstellung ist winzig. Ein einziger, nicht besonders großer Raum, mit
Bildchen im Postkartenformat. Vier Zeichnungen Leonardo da Vincis aus dem
Bestand werden im Keller der Hamburger Kunsthalle anlässlich des 500.
Todesjahres Leonardos (1452–1519) präsentiert, plus ein paar mehr oder
weniger passenden Begleitwerken. „Leonardo da Vinci – die Zeichnungen im
Kupferstichkabinett“ ächzt unter dem Ansturm einer Publikumsausstellung und
ist dabei kein Großformat. Sondern eine Kabinettausstellung.
Geburtstage, Todestage, Jubiläen sind einerseits ein Geschenk für Museen:
Man kann hier verhältnismäßig einfach an Diskurse andocken, die aktuell
ohnehin geführt werden. Und andererseits eine Bürde, weil es schwierig ist,
ausreichend Werke zusammenzubekommen, wo landauf, landab zum gleichen Thema
kuratiert wird.
Man darf es der Hamburger Kunsthalle also nicht vorwerfen, dass sie mit den
hauseigenen Pfunden wuchert und die vier Leonardo-Zeichnungen aus den
Jahren 1475 bis 1505 zeigt, die im örtlichen Kupferstichkabinett lagern;
erstmals seit zehn Jahren werden die hochsensiblen Blätter gemeinsam
präsentiert. Außerdem schlingert die Kunsthalle nach dem Weggang von
Direktor Christoph Martin Vogtherr Richtung Potsdam spürbar in der sich
ausdifferenzierenden Hamburger Ausstellungsszene, das Riesenhaus benötigt
dringend einen Publikumserfolg. Einen Erfolg, den die Jubiläumsschau
liefern soll: Leonardo, Baby.
Immerhin ist die Ausstellung am richtigen Ort: Die Bedeutung der Hamburger
Kunsthalle fußt zu einem nicht geringen Teil auf den vier kleinen
Zeichnungen. Mitte des 19. Jahrhunderts hatte der Kaufmann Georg Ernst
Harzen der Stadt seine 25.000 Blätter starke Sammlung vermacht, unter der
Auflage, ein repräsentatives Ausstellungshaus zu bauen.
## Hochkarätige Schenkung
Teil dieser hochkarätigen Schenkung waren auch die vier schon damals
populären Leonardo-Zeichnungen, was Hamburg mit einem Schlag zum
Kunstzentrum machte – bis heute ist die Hansestadt bundesweit Spitze in
Bezug auf den Leonardo-Bestand, vor München mit drei sowie Weimar und Köln
mit jeweils einer Arbeit.
Mit ikonografischen Exponaten wie dem „Abendmahl“ (hängt in Mailand) und
der „Mona Lisa“ (hängt im Louvre) kann Hamburg natürlich nicht aufwarten …
die ausgestellten Zeichnungen sind Studien, bei denen die Urheberschaft
zwar geklärt ist, vieles aber im Dunkeln liegt. Dennoch lässt sich hier
beispielhaft zeigen, wie Leonardo zum Vorläufer der Moderne und zum bis
heute weltweit bekanntesten Künstler werden konnte: mit technischer
Innovation und inhaltlicher Unkonventionalität, auch in den Nebenprodukten.
Der „Kopf eines alten Mannes oder einer alten Frau im Profil“ (um
1495–1505) etwa ist von großem handwerklichen Reiz, weil der Künstler hier
den erst um 1500 aufgekommenen Rötelstift einsetzt. Inhaltlich erweist sich
Leonardo dabei als wahrscheinlich erster Künstler, der nicht nur Schönheit
darstellte (und so in der Konvention blieb), sondern explizit Hässliches
suchte, verwachsene Körper, Menschen jenseits des Ideals. Dabei ist das
Porträt aber keine Groteske, keine Denunziation der Porträtierten, sondern
erweist sich als zutiefst menschlicher Blick auf ein zutiefst menschliches
Sujet.
Auch Leonardos Studie zum Heiligen Sebastian (um 1478–1483) geht inhaltlich
neue Wege: Sie zeigt den Märtyrer nicht wie üblich im Zustand der
Verzückung, sondern als Leidenden, der sich am Pfahl windet. Man erkennt,
wie genau Leonardo den menschlichen Körper in Bewegung studiert hatte,
gleichzeitig entpuppt sich die Zeichnung hier als schnelle Technik, die
Ausprobieren, Fehler, Unfertiges verzeiht – dem Bild ist es egal, ob etwa
die Kniepartie des Heiligen nicht genau getroffen ist.
## Die Produktion besitzt ihren eigenen Wert
Anhand solcher Momente lässt sich ein Grundgedanke der Moderne
nachvollziehen: dass nämlich der Schöpfungsakt, also die Produktion, einen
eigenen Wert hat, der fast gleichwertig zum fertigen Produkt ist.
Die detailgenaue Darstellung des (meist männlichen) Körpers verweist hier
deutlich auf den homoerotischen Unterton in Leonardos Arbeit, ähnlich wie
in den zärtlichen Gesten, die die nackten Protagonisten in den „Studien zu
einer Anbetung der Hirten“ (um 1840) zeigen. Auch hier: eine Kunst, die den
Menschen als fehleranfälliges und unperfektes, aber auch als zu Liebe,
Zärtlichkeit und Empathie fähiges Wesen statt als Ideal präsentiert.
Am deutlichsten wird das in der ältesten der Hamburger Zeichnungen: Um 1475
hatte Leonardo eine Variation des im 15. Jahrhundert populären „Aristoteles
und Phyllis“-Motivs angefertigt, das den antiken Philosophen zeigt, wie er
sich aus der Umarmung der Geliebten windet, um zu seinen Studien zu
kriechen.
Vordergründig bildet auch Leonardo diese Szene ab, allerdings befinden sich
Aristoteles und Phyllis bei ihm nicht wie oft in einem Garten, sondern in
einem Innenraum, auf halbem Weg zwischen Bett und Schreibtisch – und der
Philosoph scheint angesichts seines skeptischen Blicks alles andere als
sicher zu sein, ob der Tisch tatsächlich der angemessene Ort für seinen
Lustgewinn ist. Auch hier beweist der Künstler sein Können im Bedienen der
Konvention, die durch minimale Verschiebungen eine neue Bedeutung erhält.
## Zu wenig Licht für die Details
Gehängt sind diese vier Zeichnungen im schummrigen Licht – mehr als 50 Lux
hält das empfindliche Papier nicht aus. Schade: Viele Feinheiten gehen so
verloren, die Qualität der schnellen, fiebrigen Zeichnung verschwimmt. Dass
es keine andere Möglichkeit gibt, die Arbeiten verlustfrei wenigstens
kurzzeitig gemeinsam zu erleben, ist da nur ein schwacher Trost.
Außerdem zeigt die Ausstellung ausschließlich den Künstler – Leonardos
technische Studien etwa oder seine naturphilosophische Arbeit hingegen
unterschlägt die Schau, bedingt durch die Unmöglichkeit, im Jubiläumsjahr
weitere Exponate zu erhalten. Heißt: Was hier zu sehen ist, ist nur ein
sehr eingeschränkter Aspekt eines Universalgenies.
Dass die Schau noch ein wenig mit Leonardo-Reproduktionen, Kopien und
Karikaturen aus dem eigenen Bestand erweitert wurde, ist ein nettes
Surplus, das freilich nicht verhehlen kann, dass hier eine qualitativ
interessante, quantitativ aber eher dünne Präsentation zur vollwertigen
Ausstellung aufgeblasen wird.
Eine Präsentation, die Leonardo in allen Facetten zeigt, ist für Hamburg
nicht stemmbar, also gibt es noch künstlerisch ansprechende Arbeiten wie
Clara Franks bis heute weitgehend unbekannte „Mona Lisa“-Radierung (um
1900), die zwar unverkennbar dem Jahrhundertwende-Hype um das Motiv
verhaftet, allerdings tatsächlich sehr genau gearbeitet ist.
## Die Lückenbüßer der Ausstellung
Und neben ihr steht dann Timoteo Vitis Federzeichnung „Leda mit dem Schwan“
(vor 1524), die zwar Begeisterung für den nackten Frauenkörper verrät, in
der Darstellung des Schwans allerdings in der groben Skizze verbleibt. Mehr
als die künstlerische Qualität der Originale bezeugen kann solch ein Bild
nicht.
Am Ende stehen Karikaturen: Auguste Bouquets Lithografie „Wahrlich,
wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich verraten“ (1832), die das
„Abendmahl“-Sujet ins Absurde wendet, mit weiblicher, barbusiger
Erlöserfigur. Was zwar künstlerisch nicht uninteressant ist, im
Ausstellungskontext allerdings nur einen Lückenbüßer abgibt – passt halt
irgendwie dazu, wobei man nicht so richtig versteht, wie genau.
Lückenbüßer jedenfalls sind bei dem Thema in Hamburg eine offene Wunde: Das
Gebäude der Kunsthalle flankieren Statuen großer Künstler. Diejenige
Leonardos freilich steht ein wenig im Abseits, an der Nordfassade,
abgewandt von Stadtzentrum und Alster. Leonardo da Vinci blickt in Hamburg
auf trostlose Bahnanlagen.
11 Jun 2019
## AUTOREN
Falk Schreiber
## TAGS
Leonardo da Vinci
Hamburger Kunsthalle
Kunsthalle Hamburg
Schwerpunkt #metoo
zeitgenössische Fotografie
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