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# taz.de -- „Fridays for Future“ beim EU-Gipfel: Raus aus der Komfortzone
> Im rumänischen Sibiu planen EU-Staatschefs die Politik der nächsten fünf
> Jahre. Europäische AktivistInnen sind angereist, um das Klimathema zu
> stärken.
Bild: „Fridays for Future“ – nicht nur wie hier in Sachsen-Anhalt, sonder…
Sibiu taz | „What do we want? Climate Justice! When do we want it? Now!“ –
„Un, deux, trois degrés: crime contre l’humanité!“ – „Es gibt kein …
auf Kohlebagger fahren!“ Fridays for Future hat sich an der Straße
postiert. Die Polizei regelt den Verkehr, Beamt*innen pusten in
Trillerpfeifen, an den jungen Menschen mit den Schildern und Transparenten
rauschen Autos vorbei: auch die der europäischen Staats- und
Regierungschef*innen. Es ist Donnerstag, und hier, im rumänischen Sibiu,
sollen die Leitlinien für die EU-Politik der nächsten fünf Jahre festgelegt
werden.
„Wir fühlen uns betrogen“, sagt die 23-jährige Luisa Neubauer von Fridays
for Future Berlin. „Wenn wir jedes Mal einen Euro bekommen hätten, als es
von der Politik hieß, es brauche europäische Lösungen, dann wären wir jetzt
reich.“ Konkrete Ergebnisse erwartet tatsächlich kaum jemand von der
Zusammenkunft in Sibiu. Im Entwurf der Gipfel-Erklärung kommt Klimaschutz
an letzter Stelle.
Um pünktlich nach Sibiu zu kommen, haben sich am Mittwochnachmittag in
München gut 50 Schüler*innen und Student*innen getroffen, von dort ging die
Initiative für die Protestfahrt aus; der jüngste von ihnen ist zwölf. Im
Bus sind sie die Nacht durchgefahren, mit Halt in Wien und Budapest, um
weitere Demonstrant*innen mitzunehmen. Bei Ankunft in Sibiu sind sie etwa
80 Leute aus Deutschland, Belgien, Österreich, Ungarn – und schließen sich
vor Ort mit etwa einem Dutzend rumänischer Aktivist*innen zusammen. Die
13-jährige Paula hatte die kürzeste Anfahrt, sie lebt in Sibiu.
„Die Politik sollte etwas tun für unsere Welt und unsere Zukunft“, sagt
Paula. „Und da sie das nicht tut, müssen wir uns Gehör verschaffen.“ Paula
engagiert sich bei Fridays for Future seit dem internationalen Schulstreik
im März, als in über 120 Ländern mehr als 2.000 Kundgebungen stattfanden,
zu denen etwa eine Million Menschen kamen. „In Rumänien gibt es zwar
Organisationen, die sich dafür einsetzen, dass keine Wälder gerodet
werden“, erklärt Paula. „Aber diese Mentalität ist noch selten, dass da
alle mitmachen würden.“ Sie wünscht sich, dass die Politik auch den
Kohleausstieg als Ziel für die nächsten fünf Jahre bestimmt. „Damit wir die
Klimaziele einhalten.“
## „Die Schule läuft nebenbei“
Ein Gipfel wie der in Sibiu findet alle fünf Jahre statt: Ziel ist, dass
sich die 28 Mitgliedsstaaten auf eine strategische Agenda einigen. An
diesen Leitlinien sollen sich die EU-Organe orientieren. Was in Sibiu
festgelegt wird, ist also eine Art Kompass für die Arbeit der EU von 2019
bis 2024. Im Vorfeld hatten sich mehr als 200 Bürgermeister*innen
europäischer Städte – unter anderem London, Athen, Paris und Stuttgart – …
einem offenen Brief dafür ausgesprochen, dass die EU bis 2050 klimaneutral
wird und dazu eine „langfristige Klimastrategie“ auf den Weg bringt. Das zu
erreichen, sei die „einzige realisierbare Option für die Zukunft Europas
und der Welt“. Bisher will die EU die Emissionen bis 2030 um mindestens 40
Prozent senken – im Vergleich zu 1990. Für die Einhaltung des Pariser
Abkommens reicht das nicht.
„Es wäre schön, wenn der eine oder andere Politiker, der hier vorbeifährt,
das Thema in den Kopf bekommt“, sagt der 18-jährige Bernhard aus Linz in
Oberösterreich. „Vielleicht denkt er dann bei einer Abstimmung an uns junge
Menschen. An die nächsten Generationen. Und dann geht vielleicht diese
Abstimmung wegen dieser Stimme für uns aus.“ Bernhard ist mit dem Zug bis
Wien gefahren und dort Mittwochnacht in den Bus aus München zugestiegen.
Seit Anfang März engagiert er sich bei Fridays for Future, seine ganze Zeit
stecke er dort hinein. „Die Schule läuft nebenbei.“ Was Österreich tut,
findet er zu wenig. „Wir ruhen uns aus auf unseren Lorbeeren: Wir haben
viel Wasserkraft, wegen der Berge. Aber unsere CO2-Emmissionen sind
gestiegen in den letzten Jahren. Trotz der Verpflichtung von Paris.“
Kurz vor dem Gipfel ist auch ein Bericht des Weltbiodiversitätsrates
(IPBES) erschienen. Bis zu einer Million Tier- und Pflanzenarten seien vom
Aussterben bedroht, warnt der Rat. „Der Klimawandel und die Biodiversität
erfordern es, tiefgreifende Modelle zu überprüfen, an die wir uns gewöhnt
haben“, sagte der französische Präsident Emmanuel Macron danach. Am Rande
eines Treffens mit dem niederländischen Regierungschef Mark Rutte am Montag
ließ er wissen, das Ziel sei „null Kohlenstoff bis 2050“. Und veranlasste
vor dem Gipfel, dass ein Text an alle Mitgliedsstaaten geschickt wurde, mit
dem Aufruf, Klimaschutz zur obersten Priorität zu erklären. So entstand der
„Klima-Klub“.
Wer den Aufruf unterschreibt, fordert sofortiges Handeln beim Klimaschutz,
damit „der Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft“ gerecht und
sozial ausgewogen umsetzbar ist. 28 Mitgliedsstaaten bilden die EU: Acht
haben unterschrieben. Belgien, Dänemark, Frankreich, Luxemburg,
Niederlande, Portugal, Spanien, Schweden. Deutschland nicht. Dort sei man
„aus internen Gründen“ nicht bereit gewesen, den Aufruf zu unterstützen,
heißt es aus Kreisen des französischen Präsidentenpalastes. Und auch: Man
habe den Text an die Mitgliedsstaaten geschickt, darauf hoffend, „dass sie
ihn vor oder nach Sibiu unterzeichnen“.
## Spontaner Stopp: nachts um zwei in Budapest
Nach Meinung der 17-jährigen Anuna sagt es wenig aus, dass Belgien den
Aufruf unterzeichnet hat. Wenn Luisa Neubauer die „deutsche Greta Thunberg“
ist, dann ist Anuna de Wever die belgische. Sie hat in Belgien die
Schulstreiks gestartet. Ja, ihr Land sei beim Klima Klub dabei. Nur: „Sie
sind bei vielem dabei. Auch beim Pariser Abkommen. Aber sie tun nichts“,
sagt de Wever. „Von 28 Mitgliedsstaaten sind wir auf dem 24. Platz. Die
letzten Monate auf der Straße haben wir immer wieder gehört, wir würden
unsere Ziele für 2020 einhalten. Jetzt sagt die Regierung, dass wir von
diesen Zielen meilenweit entfernt sind.“
Um nach Sibiu zu kommen, ist de Wever aus Antwerpen nach München gereist
und dort mit den anderen in den Bus gestiegen. „Ich hoffe, dass sie uns
hier sehen und verstehen, dass wir nicht einverstanden sind mit dem, was
sie tun, und dass wir kämpfen.“
Auch die Aktivisti*innen von Fridays for Future wollen in Sibiu einen
offenen Brief übergeben. 17.000 Menschen aus allen EU-Staaten hätten ihn
unterzeichnet, sagt Luisa Neubauer. „Ich glaube, aus Zypern war es nur
einer.“ Es ärgert sie, dass Deutschland blockiert und den Aufruf des Klima
Klubs nicht unterzeichnet. „Deutschland und die osteuropäischen Länder
fordern weniger hohe Ziele beim Klima.“ Das schockiert sie. „Manfred Weber
oder Angela Merkel sagen, ‚Wir machen total viel und wir geben uns Mühe‘.
In der Praxis sieht das ganz anders aus. In der Praxis blockieren sie.“
Auf dem Weg von München nach Sibiu hat der Bus einen spontanen Stopp
eingelegt: nachts um zwei in Budapest. Dort ist unter anderem die
16-jährige Rosanne zugestiegen. „In Ungarn taucht das Thema in der Presse
nicht auf“, sagt sie. „Ich denke, nur jeder Zehnte überhaupt weiß, wer
Greta Thunberg ist. Meine Geografie- und Biologielehrer wussten es nicht.
Ich habe es ihnen erzählt. In der Schule lernen wir Mülltrennung und dass
Kompost gut ist. Aber nicht viel mehr.“ Ein bisschen schwierig sei es schon
gewesen, von ihren Eltern die Erlaubnis zu bekommen. „Aber mir ist das hier
viel wichtiger als ein Tag Schule.“ Die meisten Menschen würden zu
kurzfristig denken, findet Rosanne. „Sie wollen nicht aus ihrer Komfortzone
treten und igeln sich lieber ein. Sie wollen nicht mitkriegen, was die
Zukunft bringt, weil es so bequemer ist.“
Im Park vor dem Sicherheitsbereich rund um den Gipfel konnte Fridays for
Future nicht wie geplant demonstrieren. Die Stadt Sibiu hat für diesen Ort
ein Demonstrationsverbot verhängt. Aber den offenen Brief haben sie
übergeben: an Macron und die acht anderen Staats- und Regierungschefs des
Klima Klubs. Der zählt am Donnerstagabend nämlich ein Mitglied mehr:
Lettland hat nun auch unterzeichnet.
Nach der Übergabe demonstriert Fridays for Future weiter, dann geht es
zurück mit dem Bus, über Budapest und Wien nach München: Um Freitagfrüh
pünktlich beim Schulstreik dabei zu sein.
9 May 2019
## AUTOREN
Anett Selle
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