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# taz.de -- Kolumne Zwischen Menschen: Im unsortierten Teil des Lebens
> Wenn man Gebrauchtes kauft, bekommt man eine Geschichte geschenkt. Diese
> hier führt über einen Keller zu einer Verzauberung.
Bild: Auf dem Weg nach unten: Keller erzählen viel über die dazugehörigen Me…
Ich folge einer Fremden in den Keller. Hinter uns fallen Eisentüren zu. Es
ist dunkel. „Also, das Megafon“, sagt die Frau. „Das gehört meinem Sohn,
aber ich verstecke es hier. Sein Vater hat es ihm gekauft. Einem
Fünfjährigen ein Megafon schenken! Schönen Dank auch! Kannst dir ja
vorstellen, was das für Lärm ist.“ Die Frau schließt eine Kellertür auf.
„Da wären wir.“ Vor uns liegt einer dieser Kellerräume, den die Menschen
nicht einrichten, sondern vollstopfen. Ich habe die Frau im Internet wegen
ihres Kleinanzeigen-Inserats kontaktiert. Jetzt platze ich in den
unsortierten Teil ihres Lebens.
Es heißt, dass der Keller das Unbewusste symbolisiere, dass sich in ihm die
Seele eines Menschen spiegelt. Kartons, Spielsachen, Möbel, eine Matratze,
stapeln sich hier. Die Frau beginnt zu suchen. Sie zerrt Kartons hervor,
schaut in Tüten, steigt über Möbel. „Ja, wo ist es denn?“, murmelt sie.
„Ich hatte es doch.“ Sie öffnet Schranktüren: „Es muss doch hier irgend…
sein.“ Ich stehe im Flur. Etwas hält mich davon ab, ihr genau zuzuschauen.
Die Suche in ihrem Keller fühlt sich privat an. Und nur sie kennt ja die
Ordnung ihres Chaos. „Das ist mir jetzt echt peinlich“, sagt sie. Dann
läuft sie hinaus zum Treppenaufgang.
„Schaatz“, ruft sie hinauf. „Weißt Du, wo das Megafon ist?“
„Da kommen welche wegen der Matratze“, tönt eine Männerstimme von oben.
„Ach so, die Matratze. Das auch noch“, sagt die Frau. „Aber das Megafon,
ist das in der Wohnung?“ „Das ist im Auto“, ruft der Mann. „Und wo ist …
Auto?“ „Bleib du mal da. Ich komme!“
Wir laufen die Treppe hinauf, eine andere Frau kommt uns im Treppenhaus
entgegen:
„Die Matratze“, fragt sie. „Kann man die eigentlich rollen? Unser Auto ist
klein.“
„Ihr habt Vorstellungen“, sagt die Frau und verschwindet dann mit ihr im
Keller. Ihr Mann kommt mir entgegen: „Ich habe zwei Fünfjährige in der
Wohnung“, sagt er: „Haben gerade Knete gegessen.“ Er grinst und läuft mit
mir in die Tiefgarage. Ich spüre, wie die Zeit verrinnt, und fühle
gleichzeitig etwas Echtes, Belebendes, so mittendrin im Lebensabenteuer
dieser Familie: das Geschenk der Geschichte, das man bekommt, wenn man
Gebrauchtes kauft.
Im Kofferraum liegt das Megafon: weiß, rot, glänzend. Der Mann schaltet es
an und hält es mir hin: „Sprechen sie rein“, sagt er. „Hallo“, sage ic…
Meine Stimme hallt durch die Tiefgarage, sonst verstärkt sich nichts. „Sie
müssen richtig reinsprechen“, sagt der Mann. „So: Hal-lo!“ Nichts passie…
„Hm, das muss doch gehen.“ Er drückt an den Knöpfen herum: „Vielleicht
liegt es an den Batterien. Komm, wir suchen mal welche in der Wohnung.“
## Der Sohn schaut mich böse an
Wir gehen hinauf, im Treppenhaus stemmt die Frau gerade mit der Käuferin
die Matratze aus dem Keller. In der Wohnung toben zwei kleine Jungs herum.
„Besser, wenn der Junge nicht das Megafon sieht“, sagt der Mann. „Wenn er
merkt, dass wir sein Spielzeug verkaufen, ist die Hölle los.“ Er sucht nach
Batterien und legt sie dann ins Megafon: „Hallo!“ Seine Stimme klingt
plötzlich laut und metallisch durch die Wohnung. Sofort kommen die Jungen
angelaufen: „Von wem ist das?“ „Das gehört der Frau“, sagt der Mann und
zeigt auf mich. Sein Sohn schaut mich böse an. „Du darfst jetzt noch ein
letztes Mal hineinsprechen“, sagt der Vater feierlich. Er hält ihm das
Megafon vor den Mund. „Hallo“, sagt der Junge. Dann rennt er wieder davon.
„Von den neuen Batterien lasse ich Ihnen eine drin“, sagt der Mann und holt
die restlichen wieder für sich hinaus. Ich gebe ihm das Geld, ich handle
nicht mehr den Preis, ich überlege nicht mehr, ob ich das Megafon nehmen
soll. Ich habe das Gefühl, wir beide haben uns den Abschluss dieses
Geschäfts jetzt verdient.
Am Abend klingelt mein Telefon. Die Frau aus dem Keller ist dran. Sie
scheint noch etwas ordnen, etwas klären zu wollen. „Ich wollte mich für das
Durcheinander eben entschuldigen“, sagt sie. „Du musst ja denken, dass wir
nicht mehr alle Tassen im Schrank haben.“ Und dann sagt sie den Satz, mit
dem sie ab jetzt das Megafon verzaubert. „Viel Glück für alles, was du
damit vorhast.“
28 Apr 2019
## AUTOREN
Christa Pfafferott
## TAGS
Familie
Einkaufen
Alltag
Chaos
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