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# taz.de -- Debatte Elternschaft und Ängste: Es muss nicht alles putzig sein
> Sie verniedlichen, um sich gegenseitig zu bestätigen. Junge Eltern
> sollten stattdessen über Ängste sprechen – und nach dem Spielplatz Bier
> trinken.
Bild: Die ganze Welt ist ein Spielplatz, warum sollten sich junge Eltern über …
Vor einiger Zeit stellte ich ein paar Kinderklamotten meines Sohnes, die
wir nicht mehr benötigten, auf der Internetplattform Mamikreisel zum
Verkauf. Der für [1][junge Väter nicht unbedingt einladende Name] der
Plattform war mir ziemlich egal.
Ich registrierte mich, wie meistens, unter meinem Onlinepseudonym „Maier
Hans“, freute mich, dass ich bei der Registrierung kein Geschlecht angeben
musste, und lud die Fotos der Kleidungsstücke hoch. Nach relativ kurzer
Zeit fand sich eine Käuferin.
Ich war zufrieden und zog in Erwägung, die Plattform auch weiterhin zu
nutzen. Wenig später bekam ich eine Nachricht mit der Bewertung durch die
Käuferin: „Super Mami! Gerne wieder! :-):-)“ Zuerst fand ich das lustig,
dann irritierend.
Weder war ich so naiv zu glauben, dass die Kommunikation auf
Internetverkaufsplattformen mit einer Face-to-face-Kommunikation
gleichzusetzen war, noch so verstiegen, dass mich die Missachtung meiner
Vaterschaft persönlich getroffen hätte. Dennoch sollte mich diese an Hans
Maier adressierte Mami-Bewertung noch länger beschäftigen.
Die Ansprache ging auf eigentümliche Weise völlig an mir vorbei. Und das
lag nicht daran, dass ich als Vater nicht wahrgenommen wurde (was ich aus
anderen Situationen nur zu gut kannte), sondern vielmehr an der Tatsache,
dass sich erwachsene Frauen plötzlich öffentlich als Mamis bezeichneten.
## Das Geblubber der Erwachsenen
Ich fühlte mich wie später in manchen Runden im Kindergarten oder auf dem
Spielplatz mit den Müttern anderer Kinder: beobachtet, aber nicht gesehen.
Ich stand mit im Kreis, versuchte meinen Teil zum Gespräch beizutragen, und
dennoch fühlte ich mich nicht als Person adressiert. Noch nicht einmal als
Vater. Ich war eben da und es war egal.
Später, als ich in solcher Gesellschaft etwas entspannter war, fragte ich
mich, ob die Kommunikation tatsächlich nur an mir vorbei geführt wurde oder
ob der entscheidende Punkt die Kommunikation selbst war. Kinder, auch sehr
kleine Kinder, kann man wunderbar mit einer persönlichen und ernst
nehmenden Sprache ansprechen.
Fragt man Experten, tut ihnen das sogar besser als die verniedlichende
Pseudokindersprache, die sich vom Spielplatzrand aus trefflich betrachten
lässt. Weitaus mehr beschäftigte mich jedoch meine Wahrnehmung, dass ein
ähnlich beliebiges Geblubber scheinbar auch unter den Erwachsenen Einzug
hielt.
Verhandeln um Einstiegsgemüse
Ich habe ein wenig gebraucht, bis ich verinnerlicht hatte, dass wenn eine
Mutter „Spieli“ zu mir sagt, sie den Spielplatz meint. Da wurde
verniedlicht, was das Zeug hielt. Jedes Klischee wurde gefeiert.
Produkttest bestätigt. Der immer gleiche Elterndiskurs aus den
einschlägigen Zeitschriften rauf und runter gedaddelt. Die Rettung des
Planeten wurde an der Frage verhandelt, ob nun Pastinake oder Karotte das
bessere Einstiegsgemüse sei.
Geriet versehentlich mal jemand einen Babyfinger breit abseits der mit
Flatterband gesicherten Trampelpfade, wurde dies sofort identifiziert und –
mit deutlichem Verständnis und noch deutlicherer Abgrenzung – wieder
eingefangen: Ah, das ist ja spannend, aber also bei uns … Ein heftig
zustimmendes Nicken der anderen aus der Runde beendete das Gespräch in
genau dem Moment, als ich zum ersten Mal an diesem Nachmittag vergaß, warum
ich überhaupt hier war.
## Wenn man den Kopf aus dem Rauschen zieht
Das Verniedlichen, das ständige sich gegenseitig Bestätigen, dass man ja
alles richtig mache, scheint wie ein Code zwischen Müttern und manchmal
auch Vätern, um dem anderen zu sagen: Wir sind in einer gemeinsamen
Peergroup, ich weiß, dass auch du alles Menschenmögliche opferst, damit
unsere Kinder optimal auf dieses bedrohliche Leben vorbereitet werden, und
natürlich haben wir in unserer aktuellen Lebensphase kaum Zeit für uns, und
dass wir uns dann auch noch Gedanken um Politik und Gesellschaft machen
sollen, das kann nun wirklich niemand erwarten, na ja, natürlich ist der
Klimawandel voll schlimm und unsere Beziehung, ne, also echt alles supi
:-).
Ein zuckersüßes Rauschen, in das alle hineinsprechen, um es am Rauschen zu
halten, von dem jedoch niemand mehr persönlich angesprochen wird. Der Deal
ist, dass niemand vom anderen zu viel wissen muss und niemand dem anderen
wehtut. Das schafft Sicherheit. Aber auch eine sehr stille Leere, wenn man
den Kopf aus diesem Rauschen herauszieht.
## Weber-Grill und Espressomaschine
Auf gelegentlichen Gartenpartys (die wegen der Kinder immer öfter gleich
nach dem Abendessen beendet wurden) oder bei Einladungen zum Pärchenessen
beschlich mich ein ähnliches Gefühl wie auf dem Spielplatz. Wieder fühlte
ich mich beobachtet, aber nicht gesehen.
Manche Paare waren nach Geburt des ersten Kindes schnell in die alten
Muster ihrer eigenen Eltern zurückgefallen, über die sie kurz vorher noch
gelacht hatten. Die Frau kümmerte sich von unserer Garderobe bis zum
Pipimachen unserer Kinder um nahezu alles, der Mann gab den Gastgeber, bot
uns kühle Getränke an und verbrachte ansonsten viel Zeit hinter seinem
Weber-Grill oder vor der blankpolierten Espressomaschine.
## Warum wir die Zweifel ausklammern
Andere Paare versuchten, ein sehr gleichberechtigtes Bild abzugeben. Wie
viele Grundsatzdiskussionen und Aushandlungsmarathons einer solchen locker
zur Schau getragenen Gleichberechtigung vorausgehen, das wissen meine Frau
und ich aus eigener Erfahrung nur zu gut.
Doch egal auf welcher Seite der Skala wir uns als Familien befinden, eines
haben viele von uns gemeinsam: das angestrengte Bemühen, sich zu
inszenieren. Oft als perfektionierte Hochglanzvariante der Familie, die wir
offenbar gerne sein möchten, wie atemberaubend individuell auch immer. Ein
Anspruch, an dem man – als Eltern wie auch als Kinder – praktisch nur
scheitern kann.
Natürlich sind wir unseren Gastgebern und neuen Bekannten per se
wohlgesinnt. Wir blättern also mit interessierter Miene in dem uns
hingestreckten Hochglanzprospekt und suchen nach Storys, über die es zu
reden lohnt. Wie das bei bunten Magazinen zu sein pflegt, führt dies in
aller Regel zu ohrenbetäubendem Smalltalk und sonst wenig.
Ausgeklammert bleiben die ureigenen Themen, die Zweifel, Ängste und
Unsicherheiten, die Hoffnungen und die Fragen, das Scheitern, die Visionen
und die Träume, kurz: all die Dinge, die das Leben erst zum Leben machen.
Und warum zum Teufel stehe ich dann am Weber-Grill und unterhalte mich
artig über fucking Weber-Grills?
## Spieli und Bier, bitte
Ich merke, wie nun auch ich selbst die anderen beobachte, aber niemanden
sehe. Die Familie auf ihrem [2][Ponyhof] hat drei, vier, fünf Individuen zu
einer Einheit verschmolzen, deren Oberfläche so glatt ist, dass man allzu
leicht abrutschen kann.
Fragt man: Wie geht es dir gerade?, bekommt man als Antwort: Uns geht es
gut. Fragt man: Auf was hast du mal wieder Lust?, heißt es: Die Kinder
fahren gerade gern Laufrad. Fragt man: Was hältst du von diesem oder jenem
Thema?, lautet die Antwort: Da habe ich vor Kurzem was dazu gelesen. Oder
einfach: Mit den Kindern kommen wir echt zu gar nichts mehr. Wollt ihr noch
einen alkoholfreien Caipi?
Liebe Mitmenschen gleichen Alters, vor wenigen Jahren wusste ich noch mehr
von euch und euren Leidenschaften. Ich spürte eure Offenheit für Neues und
eure Neugier auf das Leben. Manchmal auch dessen Gewicht.
Lasst uns wieder mehr miteinander reden, von Person zu Person. Lassen wir
uns aufeinander ein, ohne zu wissen, was am Ende dabei herauskommt.
[3][Fordert mich heraus, widersprecht mir.] Und dann gehen wir zusammen auf
den Spieli und hinterher noch auf ein Bier. Unsere Kinder sind schon mal
vorgegangen.
6 Jun 2019
## LINKS
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## AUTOREN
Tobias Wildner
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