# taz.de -- Musiker Michael Rother: Gondelnde Sounds vom anderen Stern | |
> Michael Rother war Mitbegründer der Krautrockbands Neu! und Harmonia. | |
> Eine Retrospektive würdigt nun sein Soloschaffen. | |
Bild: Könnte sich zurücklehnen, will aber noch nicht aufhören: Musiklegende … | |
Das Einmaleins des Musikjournalismus besagt, dass man mit Superlativen | |
vorsichtig sein sollte. Bei dem Künstler Michael Rother und einer Vita, die | |
hierzulande kaum jemand anderes vorweisen kann, fällt einem das allerdings | |
recht schwer. Fakt ist: Der Gitarrist darf gerne als eine der | |
einflussreichsten Persönlichkeiten der hiesigen Popgeschichte bezeichnet | |
werden. | |
Dergleichen wird man dennoch selten in Musikshow-TV-Sendungen erfahren, die | |
sich mit wenig einfallsreichen Titeln wie „Die Besten …“ schmücken. Im | |
Schatten von KünstlerInnen wie Nina Hagen, Udo Lindenberg oder Herbert | |
Grönemeyer strahlt der Stern Rothers dafür umso heller. | |
Anteil daran hat der Letztgenannte. Herbert Grönemeyer ist zu verdanken, | |
dass glücklicherweise immer mehr Menschen auch in Deutschland wissen, wie | |
bedeutsam die von Rother mitgegründeten Bands Neu! und [1][Harmonia] sowie | |
das Solowerk Rothers wirklich waren und weiterhin sind. Ein großer Teil | |
dieser Veröffentlichungen sind auf Grönemeyers Label Grönland Records | |
veröffentlicht und Rothers Solowerk bekommt dort nun auch die längst | |
fällige Würdigung in Form eines Box-Sets. | |
Die Karriere des Hamburger Künstlers Rother fußt – wie so häufig – auf | |
glücklichen Zufällen und einem „zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. In | |
der Hansestadt geboren, lebte Michael Rother mal in München, mal im | |
pakistanischen Karachi. Erst als Jugendlicher sorgte der Job seines Vaters | |
als Koordinator bei der Lufthansa dafür, dass sich die Familie in | |
Düsseldorf niederließ. | |
## Zur Demo und dann ins Kraftwerk-Studio | |
Dort ging Rother, wie viele Gleichaltrige, mit 18 auf die Straße; es war | |
Zeit zum Demonstrieren. Statt auf dem Polizeirevier landete Michael Rother | |
damals, 1968, plötzlich im Studio einer noch weitestgehend unbekannten | |
Band: Kraftwerk. Nach einer kurzen Karriere als Bühnenmusiker für die Band | |
tat Rother sich mit dem Kraftwerk-Drummer Klaus Dinger zusammen: Neu! waren | |
geboren; ihr Debütalbum „Neu“ mit dem zur Kunstgröße gewordenen | |
ikonografischen gesprühten Schriftzug wurde sogleich zum Underground-Hit. | |
Während Dinger den klassischsten aller Krautrock-Beats, den Motorik, | |
erfand, umspielte Rother auf Songs wie „HalloGallo“ oder „Negativland“ | |
diesen mit verzerrten Gitarrenhooks. „Ich wollte mich vom Blues abwenden. | |
Es ging darum, etwas Neues zu erschaffen“, erzählt Rother nahe seines | |
Wohnortes auf dem Weserschlösschen in Bevern. „Wir waren unzufrieden mit | |
den Amerikanern. Wir gingen gegen den Vietnam-Krieg auf die Straße und | |
wollten uns entsprechend auch von der US-dominierten Popmusik lösen.“ | |
Ein Gespräch mit Michael Rother gleicht einer Zeitreise. Es gibt Haupt- und | |
Nebenerzählungen, auf die Geschichte zum Ende von Neu! folgen Anekdoten zum | |
Touren, zu Fahrten über die Transitwege der DDR oder zu Reisen nach Japan. | |
Auch wenn Rother mittlerweile auf die 70 zugeht, wirkt es nie wie „Opa, der | |
vom Krieg erzählt“, bei ihm spricht eine – mitunter nicht-chronologische �… | |
Geschichte des deutschen Krautrock. Es geht darum, wie der englische | |
Radio-DJ John Peel den Begriff selbst erfand, der tatsächlich bedeutende | |
Künstler wie Neu! und Can mit mittelklassigen Prog-Gruppen, die meist in | |
Vergessenheit geraten sollten, zusammenfasste. | |
Peel saß jedoch einem Irrtum auf: So toll es war, dass die Kinder derer, | |
die noch zweieinhalb Jahrzehnte zuvor England bombardierten, mittlerweile | |
Gitarren statt Waffen in die Hand nahmen, war gerade das „Deutsche“ am | |
„Kraut“ (bis dahin noch verächtlich gemeint) sicherlich das | |
Uninteressanteste am ganzen Hype. Doch waren die englischen Alliierten | |
immer noch fasziniert von der maschinenhaften Art: sowohl der Kriegsführung | |
als auch der Musikproduktion. | |
## Neu! scheiterte auf bewundernswerte Art | |
Neu! war aber gut, obwohl das Duo [2][gezielt „unamerikanische“ Musik | |
erschaffen wollte] und damit auf sehr bewundernswerte Art und Weise | |
scheiterte. Das Gleiche darf für die häufig mit „Kraut“ verwechselte | |
„Kosmische Musik“ gelten. Dieser wand sich Rother bald mit Harmonia zu. | |
Dieser Zusammenschluss aus Rother und Cluster, einem Duo, das wiederum aus | |
den Musikern Hans-Joachim Roedelius und Dieter Möbius bestand, war damals | |
genauso wenig erfolgreich, wie es schon Neu! war. | |
So zukunftsweisend die Ambient-Kompositionen noch heute wirken, so wenig | |
zielführend erschienen sie den Beteiligten damals. „Roedelius und Möbius | |
waren Anhänger der Improvisation, ich wollte jedoch Struktur | |
zurückerobern.“ Für Rother, der Mitte der siebziger Jahre Düsseldorf | |
Richtung Weserbergland verlassen hatte, wurde es wichtiger, zielloses | |
Spielen hinter sich zu lassen. „Es gab ein einstündiges Konzert. 55 Minuten | |
spielten wir umeinander herum, fanden uns nicht. Doch die letzten fünf | |
Minuten waren grandios, da waren wir zusammen. Diesen Zustand wollte ich | |
konservieren.“ | |
Mit Mitte 20 entschied sich Michael Rother für eine Solo-Karriere. Diesen | |
Lebensabschnitt fängt das Box-Set ein. „Flammende Herzen“, sein Debütalbu… | |
bildet den Auftakt. Zusammen mit Can-Schlagzeuger Jaki Liebezeit | |
eingespielt und produziert von Conny Plank, stellt es sein erstes | |
kommerziell erfolgreiches Werk dar. In unvergleichlicher Geschwindigkeit | |
verkauften sich die Tonträger, schon schnell erreichte Rother Gold-Status. | |
Durch Peter Kerns gleichnamigen Film, der die Musik von Rother einfach zum | |
Soundtrack machte, wurde der Erfolg weiter befeuert. Während „draußen“ der | |
deutsche Herbst 1977 auf seinen Höhepunkt zusteuerte, fand Rothers | |
„innerliche“ romantische Musik ihre Anhänger. Die Wut früherer Tage war | |
einer seltsam gondelnden Heimeligkeit, einer Suche nach den Wurzeln der | |
Stücke gewichen. Nicht ohne Grund trägt „Flammende Herzen“ den Namen einer | |
heimischen Pflanze. Stücke wie „Feuerland“, mit seinen leicht verzerrten | |
Gitarrensaitenanschlägen, vermitteln sogleich auch Weite, Westernstimmung – | |
die USA und ihre Routen durch Ebenen und Berge schlagen hier doch durch. | |
## Eigenwillige konstruierte Kompositionen | |
Die konstruierten Kompositionen klingen dennoch sehr eigenwillig, fast | |
schon wie „leichte Musik“ (englisch Soft Adult Contemporary). Dieser | |
Eindruck soll sich noch verstärken auf den Nachfolgern. Dies zeigt die Box, | |
die die ersten vier Alben Rothers vereint, vortrefflich. „Sterntaler“, | |
„Katzenmusik“ und „Fernwärme“ sind klassische Beispiele einer | |
New-Age-Ästhetik – leicht sentimentale und gleichsam kosmisch-futuristische | |
Musik voller strahlender Momente und Camping-Kitsch. | |
Rother entschied sich Anfang der Achtziger für die Anschaffung eines | |
Fairlight-Systems, eines der ersten computergesteuerten Produktionssysteme, | |
das Sampling und Sequenzing vereint und Großvater heutiger digitaler | |
Audio-Workstations ist. Losgelöst von Produzenten, Drummern, von äußeren | |
Einflüssen („Ich hörte eigentlich keine Musik anderer“), fand Rother zu | |
sich selbst. Die neuen digitalen Möglichkeiten erschufen einen Spielraum | |
für lange Experimente. Mit dem Erfolg der ersten vier Soloalben musste er | |
sich auch keine Gedanken mehr ums Geld machen. Es wohnt diesem Moment der | |
Karriere eine Dringlichkeit inne, die auf späteren Alben von virtuosen | |
Experimenten verdrängt wird. | |
Das es auch anders geht, zeigt sich auf den beiden Special-Releases, die | |
ebenfalls Teil des Box-Sets sind: die beiden Film-Soundtracks für „Houston“ | |
(Regie: Bastian Günther, 2013) und „The Robbers“ (Pol Cruchten, Frank | |
Hoffmann, 2015). Dementsprechend wirken die Soundtracks weniger eigenwillig | |
denn eigenartig; in seiner besten Bedeutung. | |
Vor allen Dingen die Vertonung von Schillers „Räuber“-Verfilmung klingt | |
extraordinär. Hier hört man Techno-Anklänge, dort Trance, dann wieder | |
Drones, auf sehr Rother-eske Art inszeniert. Gerade für alte und neue Fans | |
dürften die beiden Soundtrack-Arbeiten besonderen Wert besitzen, sind sie | |
doch in der Lage die Gesamtkarriere und die, vielen Kooperationen | |
aufzurufen und zu inkorporieren. | |
## Absurt, dass dieser Schatz fast verloren schien | |
Wenn man das Booklet dieser Box in der Hand hält, das in Hochglanz die Vita | |
Rothers einfängt, wirkt es absurd, dass dieser Schatz fast verloren schien. | |
Während in den letzten Jahren Krautrock allerorten wiederentdeckt wurde und | |
zu einem der wichtigsten Referenzorte popmusikalischer Entwicklungen in | |
Deutschland, aber vor allen Dingen auch in Japan, England und den USA | |
wurde, war davon in den späten Achtzigern und durch die Neunziger hindurch | |
wenig zu spüren. | |
Das lag unter anderem an den ausdauernden Streitigkeiten zwischen Rother | |
und seinem ehemaligen Bandkollegen Dinger (gestorben 2009), die | |
Neuveröffentlichungen von Neu!-Alben verunmöglichten, bis (da isser wieder) | |
Grönemeyer dies in die Hand nahm. Während in England ein vorsichtiges | |
Revival begann, unter anderem beeinflusst durch das Buch „Krautrocksampler“ | |
(1995) des englischen Musikers Julian Cope, krähte in Deutschland noch kein | |
Hahn danach. | |
Erst der Filmemacher Anton Corbijn, Grönemeyers Nachbar in London, machte | |
diesen auf die reichhaltige Musikhistorie aufmerksam. Nach einer | |
Intervention und Einzelgesprächen kam es zum Vertragsabschluss und der | |
umfeierten Neuauflage. Es folgten neue Kooperationen als Hallogallo2010 | |
(mit Steve Shelley von Sonic Youth am Schlagzeug), mit den Berliner | |
Neo-Krautern Camera und noch einigen weiteren. Und hätte man nicht den | |
Eindruck, dass [3][Rother selbst noch lange nicht genug hat vom | |
Musizieren], würde man ihm viel Glück beim Ausruhen wünschen. Doch davon | |
scheint die unbekannteste aller deutschen Musiklegenden noch weit entfernt. | |
27 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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