# taz.de -- Debatte Ökologisch Aufräumen: Umweltschutz verhindert Ausmisten | |
> Wohnung ausmisten ist eine Lose-Lose-Situation. Wer verantwortlich | |
> wegschmeißt, steht vor sehr vielen Haufen und keiner davon macht | |
> glücklich. | |
Bild: Wer heute ausmistet, wird mit einem einzigen Müllsack nicht auskommen | |
Bei meiner besten Freundin aus Kinderzeiten funktionierte das mit dem | |
Ausmisten so: einen großen blauen Müllsack nehmen, mitten im Zimmer | |
platzieren, alles hineinbefördern, was sie nicht mehr haben wollte, | |
Müllsack zu, runter zum Hausmüll. Bei Bedarf wiederholen. Natürlich, | |
ökologisch zeitgemäß war das eigentlich schon in den 90ern nicht mehr. Doch | |
meine Freundin hatte damit alles richtig gemacht, was Aufräum- und | |
Ausmist-Gurus derzeit predigen: alles Aufzuräumende auf einen Haufen, jeden | |
Gegenstand nur ein einziges Mal in die Hand nehmen, Entscheidung finden | |
über Behalten oder Sich-Trennen, am besten mit der [1][Marie-Kondo]-Frage, | |
quasi dem Markenkern [2][der von Netflix bekannten Aufräum-Ikone]: „Macht | |
es dich glücklich?“ Und sollte es auf eine Trennung hinauslaufen, bloß | |
nicht damit anfangen, das alte Tagebuch noch einmal durchzublättern oder an | |
den Ohren des Stoffhasen zu riechen. Weg damit. | |
Die Wohnung könnte also ganz einfach ordentlich sein. Eigentlich. Keine | |
überquellenden Badezimmerablagen mit Kosmetikartikeln und dazwischen | |
Schachteln voller Haarklammern, angefangener Wimperntuschen und Papilotten. | |
Keine Schubladen, die sich nicht mehr schließen lassen dank sich stapelnden | |
Babybodys und alten, nur aus Nostalgie-Gründen aufgehobenen und längst zu | |
engen T-Shirts mit den Tourdaten von Bands, die auf Spotify schon gar nicht | |
mehr vertreten sind. Und keine Schubladen mit leeren Batterien, alten | |
Energiesparlampen und angerosteten Schrauben. Alles einfach in einen blauen | |
Müllsack. Doch wer heute ausmistet und dabei nicht Umwelt, Ressourcenschutz | |
und das Elektro- und Elektronikgerätegesetz komplett verdrängen will, der | |
wird mit einem großen blauen Müllsack nicht auskommen. Oh nein, nicht | |
annähernd. | |
Schauen wir zum Beispiel mal in ein Flurregal. Flurregale sind so | |
praktisch wie aufschlussreich, funktionieren sie doch gemeinhin als die | |
letzten Lagerstätten von Kram, der nicht mehr so richtig gebraucht wird, | |
aber auch nicht so richtig wegkann. Und was finden wir da? Nun, zum | |
Beispiel einen Handschuh. Der Winter ist fast vorbei, das Stück könnte also | |
eigentlich demnächst in die Waschmaschine und dann in den Kleiderschrank, | |
wo es, in perfektem Zustand, zwischen anderen farblich sortierten und | |
ordentlich gefalteten Winterkleidungsteilen übersommern würde. Auf dass man | |
sich mit Beginn der kühleren Temperaturen wieder täglich bei ihnen bedanke. | |
Andererseits: Der Bund ist schon ziemlich ausgeleiert, beim Radfahren zieht | |
so unnötig Kälte rein. Also vielleicht doch lieber in die Waschmaschine und | |
dann zur Kleiderkammer der Bahnhofsmission. Ist schließlich sonst noch gut: | |
kein Loch, nicht verschlissen. Aber auch dafür müsste noch der zweite | |
Handschuh her, und der, lassen Sie uns mal im Regal wühlen, der muss doch | |
hier irgendwo sein … nein, anscheinend nicht. Also doch in einen der | |
Container des Roten Kreuzes, damit Fußmatten oder Putzlappen daraus gemacht | |
werden können? Vertagen wir das besser auf später, vielleicht taucht der | |
zweite ja noch auf. | |
## Kann in die Tonne. Oder lieber doch nicht? | |
Also, nächstes Objekt: die Plastikverpackung einer Handcreme. Das ist | |
einfach, die kann in die gelbe Tonne. Wobei – die Tube ist noch ziemlich | |
voll. Wieso benutzt die niemand? Aha, mit Vanille-Honig-Caramel-Duft, das | |
dürfte es erklären. Noch fast voll in die gelbe Tonne, das geht wohl nicht. | |
Und einfach in den Restmüll – dann könnte man auch gleich an das Duale | |
System spenden. Nur die Verpackung in den Plastikmüll und die Tube vorher | |
ausdrücken? Ganz schöne Verschwendung. Und müsste die Verpackung selbst | |
nicht eigentlich sogar in den Abfallbehältern in der Drogerie entsorgt | |
werden? Da ist schließlich gar kein Grüner-Punkt-Logo drauf. | |
Also gut, dann eben die Notlösung: ab ins Bermudadreieck – die alte | |
Holzkiste auf den Briefkästen im Hausflur, in denen sich nicht mehr | |
benötigter, aber auch nicht des Entsorgens würdiger Kleinkrams sammelt. | |
Quasi das Flurregal der Hausgemeinschaft, aus dem dann die allermeisten | |
Sachen auf wundersame Art und Weise verschwinden. Ein Verschwinden, das | |
allerdings häufig dadurch zu erklären ist, dass ein Nachbar oder eine | |
Nachbarin den Inhalt einfach entnervt in den Restmüll kippt. So richtig | |
guten Gewissens ist das Bermudadreieck also nicht zu nutzen. Aber Handcreme | |
– da sollte sich doch jemand für finden. | |
Also nächstes Stück. Was ist das denn – ein Plastikstab? Ah, der | |
Laternenstab eines Sankt-Martins-Lampion. Leider elektrisch. Funktioniert | |
der noch? An, aus, an, aus, da leuchtet nichts. Vielleicht ist nur die | |
Batterie zu alt und das Teil lässt sich im nächsten Herbst nochmal | |
verwenden. Also mal schnell eine Batterie heraussuchen, da müsste doch noch | |
eine irgendwo hier rumfliegen, die war doch irgendwo, ach ja, genau, da | |
hinten. Alte Batterie raus, neue rein. An, aus, an. Immer noch nichts. | |
Batterie leer? Noch mal mit einer anderen neuen, direkt aus der Packung – | |
die Suche danach überspringen wir mal kurz –, aber immer noch nichts. Also | |
ist wohl der Stab kaputt. Aber zum Hausmüll kann der sicher nicht, mit | |
Kabeln und Schalter und der LED vorne. Wie entsorgt man so etwas? Mal | |
schnell im Internet gucken. Aha, Elektroschrott darf zum Elektronikmarkt | |
oder im Päckchen an einen Onlinehändler der Wahl, entsprechende | |
Retouren-Etiketten gibt es zum Runterladen. Immerhin, das ist doch mal | |
praktisch. Aber Wegschicken oder Abgeben, ohne gleichzeitig etwas neu zu | |
kaufen, geht nur bei einer Kantenlänge von maximal 25 Zentimetern. Hat | |
jemand gerade mal ein Maßband? | |
Das waren jetzt nur drei Objekte. Dazu kommen aber noch der Rest des | |
Flurregals, vielleicht ein weiteres, die Schränke in der Küche und der | |
Kleiderschrank im Schlafzimmer. Womöglich auch noch eine Kommode im | |
Wohnzimmer oder der kleine Schrank im Kinderzimmer. Also: eine ziemlich | |
große Menge Kram, über dessen weiteren Lebensweg zu entscheiden ist. Auf | |
jeden Fall landet man am Ende nicht wie bei Marie Kondo beim | |
„Macht-mich-glücklich-Haufen“ auf der einen und dem „Kann-weg-Haufen“ … | |
der anderen Seite. Vielmehr steht man vor einem knappen Dutzend Haufen: | |
verschenken an die Nachbarschaft, verkaufen auf eBay, verkaufen auf dem | |
Flohmarkt, mitnehmen zur Klamottentauschparty, ab in die Kleiderkammer, | |
beim Elektronikmarkt abgeben, zum Sperrmüll bringen, in die Altbatterienbox | |
im Supermarkt, zum Glascontainer an der Ecke, in die Plastik-, Papier- oder | |
Restmülltonne im Hof. Bis alle diese Haufen abgearbeitet wäre, verginge | |
geschätzt ein halbes Jahr. Bei Entsorgung in Teilzeit und optimistisch | |
gerechnet. Wer nicht gerade in Laufweite eines Recyclinghofs wohnt, braucht | |
zusätzlich einen fahrbaren Untersatz, um Sperriges loszuwerden. | |
## Macht es dich glücklich? | |
Dazu kommen noch die zahlreichen Fälle, in denen sich ein Objekt überhaupt | |
nicht in einer Tonne entsorgen lässt. Sondern erst einmal in seine | |
Bestandteile zerlegt werden muss: Plastik von Papier von Holz von Textil | |
trennen. Wozu das zu entsorgende Objekt ziemlich intensiv beachtet und | |
betrachtet werden muss, und je aufwendiger das wird, desto größer werden | |
auch die Zweifel: Vielleicht war das ja mit dem Wegwerfen doch keine so | |
gute Idee? War das Ding hier im Regal/Schrank/in der Kramkiste nicht doch | |
ganz gut aufgehoben und hat niemanden gestört? | |
Es ist eine Lose-lose-Situation: Bleibt der Kram im Regal, vermüllt auf | |
Dauer nicht nur die Wohnung. Auch die Rohstoffe bleiben im Regal. Das ist | |
bei Papier noch verhältnismäßig egal, aber bei der Summe von 124 Millionen | |
alten Mobiltelefonen, die Hochrechnungen zufolge hierzulande ungenutzt zu | |
Hause liegen, sammelt sich da einiges an wertvollen Metallen an. Wer | |
dagegen zum blauen Sack greift und standardmäßig alles in den Hausmüll | |
schmeißt, müsste vermutlich parallel das Auto abschaffen, um seine | |
Ökobilanz wieder auszugleichen. | |
Und will wirklich jemand regelmäßig seinen Jahresurlaub zum Ausmisten | |
(inklusive Entsorgen) nutzen, auch wenn das natürlich ökobilanzmäßig das | |
Beste wäre, schon des Zuhausebleibens wegen? Klar, einmal auf den Kopf | |
gestellt, alles Überflüssige herausgeschüttelt und den Rest neu, | |
übersichtlich und in Farbharmonie sortiert, fühlte sich die eigene Wohnung | |
auch ganz gut an. Wäre da nicht diese fiese, nagende Marie-Kondo-Frage: | |
Macht es dich glücklich? | |
14 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Svenja Bergt | |
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