# taz.de -- Kolumne Die Couchreporter: Marie Kondo kann uns nicht helfen | |
> Die Autorin eines Bestsellers übers Aufräumen hat jetzt eine eigene | |
> Serie. Die macht Spaß, dreht sich aber um das völlig falsche Problem. | |
Bild: Die Welt versinkt im Chaos und mittendrin chillt Marie Kondo | |
Am krassesten ist natürlich das Ehepaar in Folge zwei: Wendy und Ron | |
Akiyama. Die beiden stehen kurz vor der Rente – und ersticken in ihrem | |
Besitz. Zumindest fehlt dazu nicht viel, denn das Haus, eigentlich recht | |
groß, ist so zugestellt mit Kisten und Bergen voll Krempel, so zugehängt | |
mit Kleidung, dass man die Möbel darunter und die Wand dahinter oft nicht | |
erkennen kann. | |
Marie Kondo kann ihr Entzücken darüber kaum verbergen. Sie liebt Unordnung. | |
Denn in der Netflix-Serie „Tidying Up with Marie Kondo“ geht es ums | |
Aufräumen. Längst hat die Serie einen Mini-Hype erzeugt. Menschen rennen | |
durch ihre Wohnung und berühren sanft ihre Gegenstände. Aber es gibt ein | |
Problem: Marie Kondo kuriert nur Symptome. | |
„Hallo, ich bin Marie Kondo. Ich möchte durch Aufräumen Freude in die Welt | |
bringen“, heißt es zu Anfang jeder Folge. [1][Kondo hat einen Bestseller | |
geschrieben], die deutsche Version heißt „Magic Cleaning. Wie richtiges | |
Aufräumen Ihr Leben verändert“. In 27 Sprachen wurde das Buch der | |
mittlerweile in Amerika lebenden Japanerin übersetzt und weltweit sieben | |
Millionen Mal verkauft. Und nun eben diese Serie, in der Kondo Menschen | |
dabei hilft, auszumisten. | |
Das Prozedere ist immer das gleiche: Marie Kondo fährt vor, staunt über das | |
Haus, es folgt eine merkwürdig schrille Begrüßung. Dann ein kurzer | |
Rundgang, Kondo freut sich über die Unordnung („I love mess!“). Wenn sie | |
sich dann auf Knien sitzend in einer kurzen Meditation dem Haus vorgestellt | |
hat, geht es los. Nach der von ihr entwickelten KonMari-Methode wird | |
ausgemistet. In dieser Reihenfolge: Erst Kleidung, Bücher, Unterlagen, dann | |
„Komono“ (Vermischtes) und erst zuletzt Gegenstände, an denen man hängt. | |
Alle Teile werden auf einen Stapel getan, einzeln in die Hand genommen. | |
Entfachen sie dabei ein Glücksgefühl („does it spark joy“), dann bleiben | |
sie. Wenn nicht, dankt man ihnen und sortiert sie aus. | |
## Die eigentliche Katastrophe | |
Das klingt einfach. Nun ist es aber so, dass Dinge eben nicht nur Dinge und | |
Menschen keine eindimensionalen Wesen sind. So schwelen unter dem ganzen | |
Kram auch eine Menge innerer Konflikte. Und die gilt es, gleich mit zu | |
lösen. Da sind zum Beispiel die jungen Eltern, bei denen durch das Chaos in | |
der Wohnung eine aufkeimende Beziehungskrise sichtbar wird. Oder die Witwe, | |
die mit dem Aussortieren auch den Tod ihres Mannes verarbeiten muss. | |
Für Zuschauer:innen mit voyeuristischen Gelüsten ist diese Serie ein Fest. | |
Es macht Spaß, die unordentlichen Häuser der anderen Menschen anzugucken. | |
Es ist beruhigend, zu sehen, dass auch sie Teile ihres Lebens nicht im | |
Griff haben. Es ist rührend, wie sie sich den leicht esoterischen Methoden | |
Kondos langsam öffnen und mit jedem aufgeräumten Zimmer euphorischer | |
werden. Und mal ehrlich: Vorher-Nacher zieht immer. Dazu eine Marie Kondo, | |
die so grazil an dem Unrat vorbei wandelt und mit feinen Handbewegungen | |
Tipps zum Falten von Spannbettlaken oder dem Verstauen von Krawatten gibt: | |
toll. | |
Doch so schön die gelösten privaten Konflikte auch sind, die allem | |
zugrundeliegende gesellschaftliche Katastrophe wird nicht thematisiert: das | |
absurde Konsumverhalten des Menschen im Spätkapitalismus. Die Reflexion | |
dessen, welche Rolle das Kaufen spielt – für den einzelnen Menschen, aber | |
auch für Produzent*innen und Umwelt – bleibt aus. Als problematisch werden | |
lediglich die vollgemüllten Häuser wahrgenommen. Den Leuten einzureden, sie | |
sollen weniger kaufen, wäre ja auch unklug. Hielten sich alle dran, würde | |
Kondo schon mal weniger Bücher verkaufen. | |
17 Jan 2019 | |
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[1] /Kolumne-Psycho/!5415820 | |
## AUTOREN | |
Maike Brülls | |
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