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# taz.de -- Kolumne Psycho: Meditation überm Mailordner
> Manche Menschen halten es kaum aus, ungelesene Mails einfach so
> stehenzulassen. Warum nur? Ein Plädoyer gegen den Papierkorbzwang.
Bild: 842 ungelesene Mails? Harmlos
Nur ein Satz: 11.439 ungelesene Mails.
Na, was macht das mit Ihnen? Spüren Sie schon ein Zucken im Zeigefinger?
Verstehe. Sie wollen priorisieren. Die guten ins Töpfchen, die schlechten
ins Kröpfchen. Ein paar in diesen Ordner, ein paar in jenen. Widerstehen
Sie dem Reflex. Atmen Sie weiter. Gut. Ich verrate Ihnen was: Ich habe gar
keine Mailordner. Also, außer einem. Er heißt Posteingang. Bitte setzen Sie
sich wieder hin.
Mittlerweile sind es übrigens 11.448 Mails. Nicht weil ich so langsam
schreibe, sondern weil ich so viele Nachrichten bekomme. Newsletter,
Pressemitteilungen, Angebote, Gutscheine, Empfehlungen, Umfragen, Anfragen,
Liebesbriefe. Das Letzte ist gelogen, aber es sind trotzdem mindestens 30
am Tag. Klar habe ich den Ton ausgestellt, ich bin ja nicht wahnsinnig. 99
Prozent der Mails klicke ich gar nicht erst an. Unwichtig.
11.453. Warum ich die unwichtigen Mails nicht direkt lösche, damit sie da
sind, wo sie hingehören: in den Papierkorb? Meine Güte, Sie schwitzen ja.
Öffnen Sie doch mal ein Fenster. Nicht im Browser, herrjeh. Es ist so:
Mails löschen macht viel zu viel Arbeit. Nein, ich bin nicht faul, aber für
so was habe ich wirklich zu wenig Zeit. Und Muße. Und Langeweile.
11.459. Sicher, ich könnte auch einfach alle Newsletter abbestellen. Einen
Samstag opfern, Material sichten, fertig. Diese Befriedigung! Besser als
nach der Steuererklärung. Will ich aber gar nicht. Nur weil heute etwas
unwichtig ist, heißt das ja nicht, dass ich es morgen nicht ganz dringend
lesen möchte. Wenn ich mal Zeit habe. Oder Muße. Oder Langeweile.
## Server zu klein
Ach ja, ganz vergessen: Ich habe auch noch einen zweiten E-Mail-Account.
Für die Arbeit. Ungelesene Mails dort bis vor kurzem: 38.576.
Fast wäre das Konto gesperrt geworden, Server zu klein. Tse. Die Warnmail
vom Webmaster ging irgendwie unter, hatte wohl einen zu diskreten Betreff.
Habe dann von hinten her einfach in drei Schüben gelöscht. Etwas
unbefriedigend zwar, aber ging immerhin schnell. Jetzt sind es wieder
3.901. Tendenz steigend.
Doch, doch, ich bin ein großer Fan von Minimalismus. Ist ja auch Trend
grade. Was denken Sie denn, um was es in den ganzen Newslettern geht?
Ausmisten. Ballast abwerfen. Clean werden. Ich habe mir sogar Videos
angeschaut, in denen Marie Kondo zeigt, wie man Unterhosen richtig faltet.
Und Socken rollt. Wegen Platzsparen und so. Habe nur leider nicht die
passenden Schubladen. Jetzt ist es hempeliger als vorher, alles ein großer
Unterhosen-Socken-Haufen auf dem Boden vor dem Bett. Manchmal finde ich
dazwischen auch eine Mail, die ich nie gesucht habe.
Sie verstehen also sicher, warum ich dem Aufräumen etwas kritisch
gegenüberstehe. Ich konzentriere mich eben lieber auf das Wesentliche, die
Unordnung blende ich einfach aus. Ja, das kann nicht jeder. Darauf bin ich
auch ein bisschen stolz.
Und das Chaos in meinem Mailordner hat noch einen Vorteil. Im Gegensatz
dazu fühlt sich mein Kopf richtig aufgeräumt an. Wie mein Therapeut mal
sagte: Man muss nur darauf achten, mit wem man sich vergleicht.
14 Jun 2017
## AUTOREN
Franziska Seyboldt
## TAGS
Psycho
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