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# taz.de -- Kolumne Psycho: Sehen und gesehen werden
> Es ist eine Sache, Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht zu
> verurteilen. Eine völlig andere ist es, wirklich zu versuchen, sie zu
> verstehen.
Bild: Hallo, kannst du mich sehen?
Erinnern Sie sich noch an den Film „Nackt“ von Doris Dörrie? Gibt es jetzt
auch auf Netflix, 15 Jahre später. „Du siehst mich nicht“, sagt Nina Hoss
irgendwann zu Mehmet Kurtuluş, der ihren Mann spielt. Er widerspricht: „Ich
sehe dich an.“ Und Nina Hoss schreit: „Aber du SIEHST mich nicht!“
Nicht nur in der Liebe geht es darum, gesehen zu werden. Der Wunsch, von
seinem Gegenüber erkannt zu werden, wirklich erkannt, unter der ganzen
Schminke und der verspiegelten Sonnenbrille, spielt in jeder ernsthaften
zwischenmenschlichen Beziehung eine Rolle. Leider wird die Sehnsucht nach
tiefem Verständnis für das eigene Innenleben gerade bei Menschen mit
psychischen Erkrankungen oft nicht gestillt, dabei würde es ihnen enorm
helfen.
Aber klar: Ist halt so abstrakt, eine bipolare Störung. Und unter
[1][#DepressionHasNoFace] posten Betroffene haufenweise lachende Selfies,
wie soll man denn da noch durchblicken? Andererseits: Wie soll man sich
denn normal fühlen, wenn niemand nachvollziehen kann, was in einem vorgeht?
Mal abgesehen vielleicht vom Therapeuten und anderen Betroffenen.
Am Tag der seelischen Gesundheit vergangenen Dienstag konnte man das ganz
gut beobachten. Es geht bei solchen Gelegenheiten ja hauptsächlich um
Aufklärung und Entstigmatisierung, und das ist auch unglaublich wichtig und
richtig, aber letztendlich bestätigen sich diejenigen, die betroffen sind,
gegenseitig darin, [2][dass es okay ist, nicht okay zu sein], und ein paar
Deppen machen flache Witze.
## Dialog hilft beim Nachempfinden
Wo sind die anderen? Die plus Einsen, die Eltern, die Freunde, die Kinder,
die Kolleginnen? Diejenigen, die noch nie an ihrer eigenen Seele erfahren
haben, wie sich eine Depression anfühlt, und die trotzdem täglich
versuchen, uns zu verstehen? Die gibt es nämlich, zum Glück. Aber im
öffentlichen Diskurs sind sie – mit Ausnahmen wie Teresa Enke und Talinda
Bennington – meistens unsichtbar. Dabei ist genau dieses Verständnis bitter
nötig. Nur, wer gesehen wird, kann sichtbar sein.
Es ist eine Sache, Menschen mit psychischen Erkrankungen nicht zu
verurteilen oder abzulehnen. Und eine völlig andere, wirklich zu versuchen,
sie zu verstehen. Dazwischen liegen Sätze wie: „Es ist ja okay, dass du das
hast, aber gibt es gar kein anderes Thema mehr?“, „Lach doch mal“, „Rei…
dich halt mal zusammen“, „Ich akzeptiere deine Krankheit ja, aber ich kann
sie trotzdem nicht nachvollziehen“, „Ich verstehe das, ich habe auch
manchmal schlechte Tage“.
Um etwas nachvollziehen zu können, muss man gar nicht unbedingt selbst
betroffen sein – es braucht nur den Willen, einen Dialog zu führen, und die
Fähigkeit, zu abstrahieren und eigene Erfahrungen mit denen des Gegenübers
abzugleichen. Und, natürlich, ein Mindestmaß an Empathie. Besser ein
bisschen mehr. Kann man aber auch lernen.
[3][Laut einer neuen Studie] sind empathische Menschen übrigens besonders
anfällig für Depressionen – im Umkehrschluss dürfte es nicht allzu schwer
sein, einen Depressiven zu finden, der einem Nachhilfe im Mitfühlen gibt.
Wenn man denn will.
15 Oct 2017
## LINKS
[1] https://twitter.com/hashtag/depressionhasnoface?src=hash&lang=de
[2] https://twitter.com/brixxfailma/status/917909140290224129
[3] https://www.nature.com/articles/s41562-017-0207-1
## AUTOREN
Franziska Seyboldt
## TAGS
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