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# taz.de -- Kolumne Psycho: Kein Grund zum Glücklichsein
> Wer erfolgreich ist, kann nicht depressiv sein. So denken zumindest
> einige Journalisten. Doch Suizidabsichten lassen sich nicht im Gesicht
> ablesen.
Bild: Michael Phelps küsst seine Goldmedaille, die er bei den Olympischen Spie…
Es gibt diese Tage, an denen ich in den Spiegel schaue und denke: „So ein
Pech aber auch, dass ich heute raus muss. Hoffentlich sieht mich keiner.“
Dann gehen meine Unzulänglichkeit und ich in Jogginghosen einkaufen, und
alle strahlen mich an und sind wahnsinnig nett. Ich kontrolliere dann immer
in irgendeinem Schaufenster, ob ich vielleicht Zahnpasta im Gesicht habe.
Habe ich aber nie. An anderen Tagen hingegen, an denen mein Konto gut
gedeckt ist, ich innerlich zehn Zentimeter größer und mit der
Gesamtsituation sehr zufrieden bin, werde ich vom Rest der Welt knallhart
ignoriert.
Ich habe keine plausible Erklärung für dieses Phänomen, aber es legt
zumindest die Vermutung nahe, dass das innere Befinden nicht zwangsläufig
mit der Außenwirkung übereinstimmt. Womit wir beim Thema Promis wären, oder
konkreter: Promis mit psychischen Problemen.
Die Welt begann etwa kürzlich [1][einen Text über den Schwimmer Michael
Phelps] mit dem Satz: „Auf den ersten Blick können viele Menschen nicht
verstehen, warum Michael Phelps einmal kurz davor war, Selbstmord zu
begehen.“ Auf den ersten Blick kann ich nicht verstehen, warum Journalisten
2018 immer noch solche Sätze schreiben. Auf den zweiten Blick übrigens auch
nicht. Aber Hauptsache, der Rest der Welt kann einem Menschen ansehen, ob
er Suizidabsichten hat oder nicht.
Nur: Woran macht man so etwas eigentlich fest? Ah, da steht es ja, im
zweiten Satz: „Der heute [2][32-jährige Amerikaner ist der erfolgreichste
Olympionike aller Zeiten], gewann 23 Goldmedaillen.“ Und Erfolg macht ja,
das ist schließlich hinlänglich bekannt, immun gegen Depressionen.
## Ruhm und Reichtum sind kein Glücksgarant
Deshalb wundert sich der Autor [3][eines Artikels auf n-tv.de] auch
darüber, dass die kürzlich [4][verstorbene Cranberries-Sängerin Dolores
O’Riordan] bei einem Treffen 2012 einen sehr unglücklichen Eindruck
gemacht habe. Denn schließlich „hätte die Sängerin allen Grund, glücklich
zu sein“. Warum noch mal? „Unzählige Möchtegern-Popstars recken sich ihr
Leben lang danach, ähnlich erfolgreich wie sie zu werden. O’Riordan, so
wird gemunkelt, ist eine der reichsten Frauen Irlands – wenn nicht sogar
die reichste.“
Vielleicht sind diese Sätze nur unüberlegte Floskeln, aber irgendwo haben
ja selbst die ihren Ursprung. Und der Vorwurf, der dabei mitschwingt,
lautet: Die haben doch alles, also sollen sie bitte aufhören, sich zu
beschweren. Aber wenn sich selbst nach einem Lottogewinn innerhalb eines
Jahres der ursprüngliche Glückszustand wiederherstellt, wie sollen Ruhm und
Reichtum dann lebenslange Garantien für Glück und psychische Gesundheit
sein?
Niemand sucht sich eine psychische Krankheit aus. [5][Niemand kann sie mit
bloßer Willenskraft eliminieren]. Und es ist auch völlig egal, ob man
Michael Phelps oder Dolores O’Riordan heißt – oder für den Rest der Welt
ein Niemand namens Lieschen Müller ist.
30 Jan 2018
## LINKS
[1] https://www.welt.de/sport/article172682687/Michael-Phelps-Ich-bin-dankbar-d…
[2] /!5329702
[3] https://www.n-tv.de/leute/musik/Dolores-O-Riordan-ungluecklich-im-Glueck-ar…
[4] /!5474723
[5] /!5462583/
## AUTOREN
Franziska Seyboldt
## TAGS
Suizid
Erfolg
Depression
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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