# taz.de -- Depression im Spitzensport: Der Klub der kranken Athleten | |
> Schwimm-Olympiasieger Michael Phelps hat eine TV-Dokumentation gedreht. | |
> Das Thema: seine Depression und das Sportsystem. | |
Bild: Heute schaut Michael Phelps kritisch auf seine Karriere zurück | |
Man sollte annehmen, dass Michael Phelps heute ein glücklicher Mensch ist. | |
Er hat auf eine 16 Jahre lange Karriere als erfolgreichster Olympionik | |
aller Zeiten zurückzublicken, er hat viele Werbemillionen gescheffelt und | |
lebt jetzt als 35 Jahre alter Schwimmrentner mit seiner Familie unter der | |
Sonne von Arizona. | |
In der von ihm produzierten TV-Dokumentation [1][„The Weight of Gold“], die | |
gerade in den USA angelaufen ist, zeigt Phelps die düstere Wahrheit hinter | |
der glänzenden Fassade. Phelps war Zeit seiner Laufbahn zutiefst | |
unglücklich. Bis zum Tiefpunkt im 2014, in dem er [2][am Rand des Suizids] | |
stand. Seine 23 Olympiamedaillen kann er heute nur mit äußerst | |
zwiespältigen Gefühlen betrachten. | |
Er berichtet mit beklemmender Offenheit, wie es alle vier Jahre nach den | |
Olympischen Spielen war, nachdem die Ehrungen und Talkshows vorbei waren | |
und er alleine in seiner Wohnung saß. Er berichtet von der unheimlichen | |
Leere, die ihn dann beschlich und den Fragen, die ihn dann quälten. Soll | |
ich mich wirklich noch einmal vier Jahre lang dieser Knochenmühle | |
unterziehen? Ist es das wert? Und vor allem: Was soll ich sonst tun? Wer | |
bin ich denn außerhalb des Schwimmbades? | |
Phelps hat seinen Tiefpunkt 2014 durch langfristige Therapie überwunden, | |
die noch heute sein Leben begleitet. Er ist 2016 noch einmal zu Olympia | |
gefahren, um bewusst Abschied zu nehmen und um den schwierigen Übergang in | |
das Leben danach vorzubereiten. Und er versucht seither psychische Probleme | |
unter Spitzensportlern zu entstigmatisieren und das öffentliche Bewusstsein | |
dafür zu schärfen. | |
Die neue Dokumentation geht jedoch noch um einige Schritte weiter: Es ist | |
eine bittere Anklage eines grausamen Sportsystems, das seine Protagonisten | |
krank macht. | |
## Bode Miller, Katie Uhlaender, Speedy Pederson | |
Phelps lässt in dem einstündigen Film ein halbes Dutzend amerikanischer | |
Olympioniken zu Wort kommen, die alle, wie er, mit schweren seelischen | |
Problemen zu ringen hatten. „Du begreifst irgendwann“, sagt etwa der | |
Skifahrer [3][Bode Miller], „dass das Ganze ein Fließband von immer neuen | |
Athleten ist.“ Man werde aufgebaut und gehätschelt, so Miller, wenn man | |
jung und talentiert ist, weil man dem Verband Medaillen liefern kann. Man | |
ist auf den Titelseiten und kommt sich unersetzlich vor. Doch so bald man | |
seinen Zenit erreicht habe, wartet schon der nächste, der deinen Platz | |
einnimmt. | |
Eine der bittersten Geschichten ist die von Katie Uhlaender. Unter Tränen | |
erzählt die Skeletonfahrerin, wie ihr Trainer sie nicht von einer | |
Wettkampf-Tournee entlassen wollte, als ihr Vater im Sterben lag. Von ihren | |
Medaillen hing zu viel ab – die Förderung des Verbandes, die Anstellung der | |
Trainer, das gesamte olympische Skeleton-Programm. Ihre Entlohnung dafür? | |
Ein monatliches Stipendium von 1.700 Dollar. | |
Und dann sind da die Geschichten derer, die es nicht geschafft haben. Der | |
Freestyle-Skifahrer Speedy Pederson etwa, der eines Abends im Jahr 2011 zu | |
einem Parkplatz an einem Skilift in Utah fuhr und sich erschoss, nachdem er | |
bei der Polizei angerufen hatte, damit seine Leiche abgeholt wird. Oder die | |
des Bobfahrers Steven Holcomb, der in dem Film über seine Depression | |
spricht und der im Winter 2017 im olympischen Trainingszentrum in Colorado | |
an einer Überdosis Tabletten und Alkohol starb. | |
Phelps bezeichnet das Problem der schweren Depression unter | |
Hochleistungssportlern als systematisch. „Ich denke, dass rund 80 Prozent | |
von uns an irgendeinem Zeitpunkt unseres Leben mit Depression zu kämpfen | |
haben.“ Die Krise wird durch die lebenslange extreme Konzentration auf das | |
eine Ziel ausgelöst. Die Entwicklung anderer Interessen und Fähigkeiten und | |
auch sozialer Kontakte fällt dabei unter den Tisch. „Ich habe alles, was | |
mich von meinem Ziel ablenkt, als Hindernis angesehen“, sagt die | |
Eiskunstläuferin Gracie Gold in dem Michael-Phelps-Film. | |
Das Thema ist nicht auf die USA begrenzt. Auch in Deutschland wird seit | |
Jahren darum gekämpft, Sportlern Lebenshilfe außerhalb der Arenen und | |
Trainingszentren zukommen zu lassen. Es gibt zwar nun Beratungsstellen des | |
DOSB und der Fachverbände. Doch dass der erfolgreichste Olympionik aller | |
Zeiten jetzt für das Thema wirbt, dürfte eine Diskussion in Gang bringen. | |
4 Aug 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=LzGdIh3ciSk | |
[2] /Kolumne-Psycho/!5477653/ | |
[3] https://time.com/8866/did-bode-miller-delay-grieving-his-brothers-death/ | |
## AUTOREN | |
Sebastian Moll | |
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