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# taz.de -- Jubiläum der Filmreihe „Irrsinnig menschlich“: „Vielen ander…
> Sabine Ternes vom Verein „exPEERienced“ im Interview über die Filmreihe
> „Irrsinnig menschlich“, die sich mit psychischen Krankheiten befasst.
Bild: Protagonist Popey aus dem Film „Neben der Spur – Von der Depression a…
taz: Frau Ternes, was ist das Irrsinnige an Ihnen?
Sabine Ternes: Ich bin jetzt 58 Jahre alt, und über die Zeit hat sich das
Leben immer schwerer angefühlt. Das Irrsinnige an mir ist, dass ich
sozusagen am Leben verzweifelt bin. Ich wusste nicht mehr, wie ich das
alles auf die Reihe kriege, mein eigenes Leben mit all den Anforderungen,
die an mich gestellt werden.
Aber ist das nicht etwas, mit dem viele Menschen zu kämpfen haben?
Mir war dies nicht bewusst. Wenn ich meinen Freunden davon erzählt habe,
kam nur ein Schweigen. Ich dachte immer, warum bekommt jeder sein Leben auf
die Reihe, hat Zeit für Sport, Freunde, Arbeit, aber ich anscheinend nicht?
Ich habe mich immer anders gefühlt. Bis meine Tochter mich auf meine
Traurigkeit angesprochen hat. Als ich dann in die Klinik kam, fühlte ich
mich, als wäre ich zu Hause, weil ich so sein konnte, wie ich bin. Ich
brauchte es niemandem zu erklären, weil es allen ähnlich gegangen ist. Und
das war für mich dieser Aha-Moment, dass es vielen anderen genauso geht.
Ist es Ihnen deswegen wichtig, in einem Verein aktiv zu sein, der zu
Betroffenen unter anderem sagt: Ihr seid nicht allein?
Genau. Ich finde es ganz wichtig, dass diese betroffenen Menschen eine
Plattform haben. Oft ist es mir zu seicht heruntergebrochen zu sagen,
Achtsamkeit ist das, was helfen soll. Im Grunde geht es hierbei um die
Selbstfürsorge. Wenn es tiefer greift, das heißt, eine tiefer sitzende
Depression zum Beispiel, kann man das nicht durch Achtsamkeit heilen, dann
braucht man eine Therapie oder zuerst einen Ansprechpartner. Und wir können
erste Ansprechpartner sein, können begleiten und vermitteln.
Ist das Konsens im Verein?
Auch, aber nicht nur. Wir im Verein exPEERienced sind alles Menschen, die
selbst eine psychische oder seelische Beeinträchtigung erfahren haben und
dieses Wissen weitergeben möchten. Das ist unser Konzept: Wir sind
ExpertInnen aus Erfahrung. Aber es ist uns auch wichtig, dass die Arbeit
der GenesungsbegleiterInnen mehr öffentlich und bekannter werden.
Was ist ein Genesungsbegleiter?
Ein/e GenesungsbegleiterIn ist quasi das, was wir machen. Sie können durch
eigene Erfahrung den Menschen helfen, die noch mitten drinstecken.
GenesungsbegleiterInnen werden seit einigen Jahren verstärkt in Kliniken
sowie anderen Einrichtungen eingesetzt. Damit unterstützt man die
professionelle Seite und kann als GenesungsbegleiterIn neue Denkanstöße
geben. Das ist auch das besondere an der Filmreihe „Irrsinnig menschlich“,
die wir seit 2017 unterstützen. Am Ende eines Films gibt es immer eine
Podiumsdiskussion mit Angehörigen, ExpertInnen aus Erfahrung sowie
Fachleuten.
Apropos Filmreihe: Was sind das für Produktionen, die bei der Filmreihe
„Irrsinnig menschlich“ gezeigt werden?d
Die Filme zeigen verschiedene Krankheitsbilder. Im Programm des
diesjährigen Jubiläumsjahres werden zum Beispiel Produktionen über
Depression, Spielsucht und Zwangsunterbringung gezeigt. Dieses Jahr beginnt
die Filmreihe mit der Premiere der Dokumentation „Neben der Spur – Von der
Depression aus der Bahn geworfen“ (siehe Bild oben) von Andrea Rothenburg,
danach gibt es ein Gespräch mit dem Publikum. Es sind Filme, die die
BesucherInnen mit einem Thema konfrontieren, das sie zum Nachdenken anregt.
… und die Entstigmatisierung beginnt?
Genau. Eigentlich ist es das, wofür die Filmreihe steht und wir uns auch
als Verein einsetzen: eine Art Prävention und Sensibilisierung von und für
psychische und seelische Krankheiten. Oft wissen Betroffene nicht, wo sie
hingehen sollen. Als ich damals selbst nach einer Therapie suchte, war ich
völlig hilflos. Heute ist das ganz anders, da immer mehr Menschen auf
therapeutische Hilfe angewiesen sind. Deswegen ist es umso wichtiger, zum
Beispiel Kollegen oder Angehörige zu sensibilisieren, damit die Betroffenen
nicht mehr in Schubladen gesteckt werden. Und durch die Diskussion nach der
Vorstellung bleibt es nicht nur bei einem „coolen Film“, sondern das Thema
wird auf das reale Leben übertragen, wodurch Stigmatisierungen zu bröckeln
beginnen.
Was bedeutet Stigmatisierung für Sie?
Dass ich ausgegrenzt werde. Ich hatte das Gefühl, dass mich niemand
versteht. Bei uns im Verein und auch durch die Filmreihe fühle ich mich
verstanden und merke, dass es sehr vielen Menschen so geht wie mir selbst.
12 Feb 2019
## AUTOREN
Sarah Schroth
## TAGS
psychische Gesundheit
Entstigmatisierung
Filmreihe
Irrsinnig menschlich
Jubiläumsjahr
Therapie
Krankheit
Psycho
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