# taz.de -- Neue Museums-Leiterin: Lichtblicke im Labyrinth | |
> Mit Janneke de Vries leitet erstmals eine Frau die Bremer Weserburg. Und | |
> öffnet das Haus mit einem gelungenen kuratorischen Neuanfang. | |
Bild: Hat die Fenster für kuratorische Frischluft weit aufgerissen: Janneke de… | |
BREMEN taz | Der smarte Relaunch der Bremer Weserburg ist nach der | |
Neubesetzung des Direktorenstuhls ein kleiner Befreiungsschlag. Seit Jahren | |
steht das Museum für zeitgenössische Kunst in der Kritik. Wegen | |
intellektuell wie ästhetisch angeblich allzu herausfordernder Programme, | |
einem labyrinthischen Raumkonzept sowie nur so 3.000 Besuchern im Monat. | |
Die Halbierung der 6.000 Museumsquadratmeter, gar die komplette Schließung | |
und Ausgliederung an die Kunsthalle Bremen wurden diskutiert. | |
Nun öffnet sich die Weserburg. Vor die Fenster gebaute Rigipsplatten wurden | |
weggehauen, einstige Mauerdurchbrüche wieder geöffnet und Wände entfernt. | |
Licht flutet die bisher eingebunkert wirkenden Speicherhäuser auf der | |
Teerhof-Halbinsel. Ausblicke auf die Stadt lassen die Räume größer wirken, | |
in denen die neue Leiterin Janneke de Vries die Identität des Hauses auf | |
zwei der fünf Etagen neu definiert. | |
1991 war es als Europas erstes Sammlermuseum eröffnet worden. Eine Bremer | |
Sparfuchsidee. Denn anstatt selbst teure Kunstwerke zu kaufen oder zu | |
leihen, erhielten Kunstsammler dort die Chance, ihre in Depots oder auf | |
Dachböden lagernden Schätze mal zu lüften und öffentlich zu präsentieren �… | |
vielleicht steigt dabei sogar der Wert. Heute ist das kein | |
Alleinstellungsmerkmal mehr, denn aus Kostengründen nutzen inzwischen fast | |
alle großen Museen auch diese Möglichkeiten. Allerdings weniger offensiv. | |
Für die Weserburg war es von Beginn ein Problem, fast ausschließlich | |
Showroom des von Neureichen und altem Geldadel bespielten Kunstmarkts zu | |
sein. Zu zeigen, in welche Werke Unternehmen ihre Gewinne anlegen oder was | |
Multimillionäre so an bildender Kunst um sich scharen und horten, galt als | |
wenig sexy. | |
## Erlebnisparcours von Miniausstellungen | |
Bei de Vries werden nun nicht mehr Sammlungen in einer exemplarischen | |
Auswahl, sondern die Werke selbst fokussiert. Die neun Monate laufende | |
Präsentation „So wie wir sind 1.0“ – Februar 2020 folgt Version 2.0 – … | |
ein Erlebnisparcours von Miniausstellungen, die einen vielseitigen Einblick | |
in die neuere Kunstgeschichte und ihre inhaltlichen und formalen | |
Fragestellungen vermitteln. Drum herum werden in den kommenden Monaten | |
weitere kleine Schauen arrangiert, Blockbuster wie 2018 die 60 Fotoarbeiten | |
Cindy Shermans sind nicht mehr geplant. | |
Aus 19 Sammlungen wählte de Vries 140 Arbeiten von 80 Künstlern aus und | |
stellt sie unter spezifischen Themensetzungen zusammen. Weserburg-Besuchern | |
langjährig bekannte Objekte sind mit solchen kombiniert, die noch nie in | |
Bremen zu sehen waren. | |
Es gibt Räume, die stilistischen Zuschreibungen gewidmet sind – etwa der | |
„Malerischen Abstraktion“ oder den „Minimalen Tendenzen“. Dort hängt d… | |
ein „Rotes Dreieck“ (Reiner Ruthenbeck“, 1981) an der Wand. Zur Decke rec… | |
sich John McCrackens tomatenrotes Werk „Hopi“ (2001), ein Obelisk aus Holz | |
und Lack. Und auf dem Boden wird mit Carl Andres „Alloy Square“ (1969) eine | |
Ordnungsorgie gefeiert: Kleine quadratische Metallplatten sind zu seinem | |
großen Quadrat mit Schachbrettmuster collagiert. | |
## Verspielt, verschroben und humorvoll | |
Nichts stellen die Werke im mimetischen Sinne dar, nichts ahmen sie nach | |
oder bilden sie ab, was außerhalb ihrer selbst existieren könnte. Der | |
kunstpädagogische Impetus ist laut ausliegendem Ausstellungsführer, die | |
Besucher mit der konzentrierten Konfrontation minimalistischer Positionen | |
zu fragen, was hier über „geometrische Klarheit, serielle Wiederholung, | |
industrielle Gestaltung und inhaltsleere Form“ hinausweist – also den | |
künstlerischen Mehrwert ausmacht. | |
Andere Räume fokussieren unterschiedliche Herangehensweisen an Themen wie | |
Alltag, Körper, Natur oder „Urbane Räume“. Wobei die Zuordnungen vorläuf… | |
sind. Schon in den kommenden Monaten könnte es Verschiebungen von Objekten | |
und damit Sichtweisen oder Interpretationen geben, so de Vries. | |
Derzeit liegt James Reinekings Versuch, mit der Stahlskulptur „Double | |
Rotation“ (1974) die Quadratur des Kreises hinzubekommen, im der „Zeit“ | |
gewidmeten Raum – weil ihr Rost auf sie verweist. Aber das Werk könnte auch | |
bei den Künstlern platziert werden, die den Zufall lustvoll in ihr Schaffen | |
integrieren. | |
Fix sind nur die Museumsareale, die herausragenden Einzelpositionen | |
gewidmet sind – nämlich denen von Wolfgang Tillmans und Mariana Vassileva. | |
Auch beim Corporate Design knüpft de Vries ans Bestehende an. Die charmant | |
dahingekritzelte Silhouette der Weserburg im bisherigen Logo, gern auch als | |
Krönchen wahrgenommen, sollte beibehalten, aber versachlicht werden. Nun | |
sehen sie so nüchtern aus wie picobello gerade aneinandergereihte | |
Bleistifte. | |
Das Wort „Weserburg“ prunkt daneben zeitlos schlicht in einer serifenlosen | |
Schrifttype. Schmucklos luftig auch die Hängung in de Vries’ Ausstellung. | |
Erstmals kleben auch karge Notate neben der Kunst, um Verständigung | |
anzustupsen. Vitalisierend wirkt, dass die 50-jährige Chefin auch das | |
Verspielte, Verschrobene und Humorvolle schätzt. Etwa Zeichnungen, die | |
Peter Piller auf Firmenpapier der Agentur anfertigte, bei der er als | |
Student jobbte. Um sich der Routine des Arbeitsalltags zu verweigern, | |
kommentierte er sie mit gedanklichen Abschweifungen und Ausflüchten, da | |
findet sich dann schnell mal aufs Papier skizziert „die sexy Kollegin | |
keusch betrachtet“. | |
Dem Alltag daheim widmet sich Florian Slotawa mit Hausrat-Installationen | |
und ironisiert die seit Bauhaus-Tagen von Produktdesignern geschätzte Idee | |
von der Form, die der Funktion zu folgen habe – Slotawa negiert einfach mal | |
den praktischen Wert einer Spülmaschine, indem er sie mit Fensterrahmen zu | |
einem absurden Objekt verkeilt. | |
## Neue Durchsichtigkeit | |
Gleich daneben behauptet Ceal Floyer poetische Kauzigkeit: Ihr wohl beim | |
Sperrmüll aufgelesener Postkartenständer funktioniert als Skulptur im | |
Museumsraum, da er durch den Titel „Wish you where here“ (2008) symbolisch | |
aufgeladen wird. Der sentimentale Satz, der auf so vielen Postkarten | |
versendet wurde, macht aus dem leeren Objekt ein Bild des Verlustes und der | |
Sehnsucht. | |
Auch politisch Deutbares hängt an den Wänden. Etwa „Four words“ (2015) von | |
Henrike Naumann: „Wir sind das Volk“ ist dort zu lesen, gedruckt in alter | |
Frakturschrift auf kleinbürgerlicher Raufasertapete – das kann als Verweis | |
gelesen werden, wie eine Parole des Widerstands, die Ost und West | |
wiedervereinte, durch Rechtspopulisten zu einem Aufschrei der Abgrenzung | |
wurde. | |
Besonders beeindruckend ist die neue Durchsichtigkeit der Räume. Beide | |
Weserufer sind von des Museums Mitte aus zu sehen. Dort verströmt die | |
„Achse Kiel Hamburg“ (2001) filigranen Reiz: Auf einer Tischplatte hat Till | |
Krause seine schnurgerade Wanderstrecke zwischen den beiden Städten | |
aufgezeichnet und dazu manisch aufgelistet, was ihm am Wegesrand so | |
begegnete: 79 Gebüsch-Dickichte, eine Asylanten-Siedlung, 93 Lattenzäune, | |
zwei Rinderställe … | |
## Bibliothek mit Sofas | |
Links davon präsentiert Richard Long, was er auf seinen Wanderungen bei | |
Krefeld gefunden hat: Schieferplatten. Daneben hängen von Peter Piller | |
gefundene Zeitungsbilder von Polizisten auf irgendeiner Spurensuche im | |
Wald. Gebrauchsspuren weist hingegen ein mit Aufklebern übersäter Mülleimer | |
auf. „Nicht berühren“ steht darunter, denn Klara Lidén hat den „Trashca… | |
(2013) der Erling Kagge Collection als Kunstwerk verkauft und de Vries ihn | |
nun neben ein Fenster gehängt. Ein prima Verweis. | |
Wer rausschaut, entdeckt Platanen an der Weserpromenade, Till Krause hätte | |
wahrscheinlich gleich nachgezählt und 136 notiert. Fast alle werden aber | |
von Bremens Stadtplanern als zu entsorgender Müll betrachtet, die Abholzung | |
zur deichsicheren Neugestaltung des urbanen Raumes scheint beschlossene | |
Sache. | |
Kuratorisch ist ein Neuanfang in der Weserburg gemacht. Damit es auch | |
gemütlich wird, soll noch die Bibliothek aus dem Keller geholt und in den | |
Ausstellungskontext integriert – also mit Sofas als Ort zum Arbeiten, | |
Lesen, Chillen hergerichtet werden. Für größere Umbaumaßnahmen wurden | |
bereits Werke aus der eigenen Sammlung für sechs Millionen Euro verkauft. | |
Die Grundsanierung der Gebäude soll die Stadt übernehmen, die derzeit über | |
eine Erhöhung der Zuschüsse verhandelt. Bislang steuert sie jährlich 1,27 | |
Millionen Euro und damit etwa 70 Prozent zum Etat des Museums bei. Es | |
beschäftigt 30 Personen auf 19,5 Stellen, plus sechs | |
Auszubildende/Praktikanten. | |
Der laufende Betrieb ist bisher mit Zuwendungen von Mäzenen und Zugriffen | |
auf Fördertöpfe am Leben gehalten worden. Wie sinnvoll das war, zeigt die | |
gelungene Neuausrichtung. | |
9 Apr 2019 | |
## AUTOREN | |
Jens Fischer | |
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