| # taz.de -- Organisator von „Dorf der Jugend“: Jung, links, unerwünscht | |
| > Mit einem Projekt kämpft er in Sachsen gegen rechts. Behörden kritisieren | |
| > Tobias Burdukats politische Haltung – und verweigern mehr Geld. | |
| Bild: Tobias Burdukats (links) hat mit Jugendlichen das Projekt „Dorf der Jug… | |
| Grimma/Borna taz | Das sächsische Städtchen Grimma hat ein Problem: Es | |
| verliert seine Jugend. Wer kann, sucht nach dem Schulabschluss sein Glück | |
| woanders. Doch einmal im Jahr ändert sich das für einen Tag, dann kommen | |
| ganze Züge voll junger Leute am Bahnhof an, die sich auf den Weg zum Areal | |
| der alten Spitzenfabrik am Stadtrand machen. Hier ist das „Dorf der Jugend“ | |
| zu Hause. Die Jugendlichen in Grimma haben das Projekt gemeinsam mit | |
| [1][Sozialarbeiter Tobias Burdukat] aufgebaut. Sie verwalten es selbst, | |
| finanzieren es mit einem Containercafé, haben einen Skatepark gebaut, eine | |
| Fahrradwerkstatt eröffnet, einen Bolzplatz vom Dickicht befreit und feiern | |
| ab und zu Feste. | |
| Doch das Vorzeigeprojekt ist in Gefahr. Es geht um Unterstellungen, um | |
| politische Machtspiele – und um Geld. Denn Sozialarbeiter Burdukat ist auf | |
| eine öffentliche Finanzierung angewiesen. Doch genau die wird ihm nun | |
| verweigert – zumindest teilweise. | |
| Im vergangenen August geht es im Dorf der Jugend in vielen Gesprächen um | |
| Chemnitz, [2][wo gleichzeitig Tausende Neonazis aufmarschieren und | |
| Hetzjagden auf Migranten stattfinden]. Die linke Band Egotronic kommt an | |
| diesem Abend von der Gegendemo und spielt auf dem Festival ihr zweites | |
| Konzert an diesem Tag. Der Rechtsruck in Ostdeutschland beherrscht an | |
| diesem Abend viele Gespräche an den Infoständen, an den Bar. Viele hier | |
| sehen die Ursache auch in der sterbenden Jugendkultur auf dem Land. Denn es | |
| gibt immer weniger Angebote, das macht es den Neonazis leicht, junge Leute | |
| anzuziehen. Das Dorf der Jugend ist bei dieser Entwicklung ein | |
| Gegenbeispiel: Für seine Arbeit hat Burdukat 2016 den Panter Preis der taz | |
| und die „Goldene Henne“ gewonnen. Seitdem kann er sich vor Anfragen anderer | |
| Vereine, die sich Beratung wünschen, kaum retten. | |
| Doch nun verwehrt das Jugendamt im Landkreis Leipzig dem Projekt die | |
| unabhängige, finanzielle Weiterentwicklung. An diesem Mittwoch kam der | |
| Bescheid: „Die freie Trägerschaft des Vereins hinter dem ‚Dorf der Jugend�… | |
| wird abgelehnt.“ „Unser Projekt hat mittlerweile ein Ausmaß angenommen, das | |
| mit nur einer Stelle nicht mehr leistbar ist“, sagt Burdukat. „Ich hätte | |
| nie gedacht, dass es so viel Erfolg haben könnte. Sonst wäre das hier | |
| vielleicht auch nicht ganz so bitter.“ | |
| ## Das Jugendamt verlangt politische Neutralität | |
| Das Jugendamt hat ein Problem mit Burdukat und dem Projekt. Es geht um ein | |
| Graffiti in der Toilette mit den Worten „Kacken ist wichtiger als | |
| Deutschland“, ein paar Sticker, den Auftritt von Egotronic auf dem | |
| Crossover-Festival im August und letztendlich die politische Einstellung | |
| von Burdukat. | |
| Am ersten Dienstag im April steht Projektleiter Burdukat auf dem Flur der | |
| Behörde im nahegelegenen Borna und streicht sich nervös durch seinen | |
| langen, braunen Vollbart. Er trägt eine Cap mit „FCKAFD“-Button – noch e… | |
| Schriftzug, den das Jugendamt auf dem Gelände angekreidet hat. „Das geht | |
| nicht gut“, sagt er. Hinter verschlossenen Türen verhandelt gerade der | |
| Jugendausschuss die finanzielle Zukunft seines Projektes. Es geht darum, ob | |
| der Trägerverein des Dorfs der Jugend, der Förderverein für Jugendkultur | |
| und Zwischenmenschlichkeit (FJZ), als freier Träger anerkannt wird. | |
| Genau dies wäre ein wichtiger Schritt für das Vorzeigeprojekt: Es würde für | |
| den Verein mehr Mitbestimmung in kommunalen Gremien, mehr | |
| Fördermöglichkeiten aus verschiedenen Geldquellen und eine langfristige | |
| Finanzplanung bedeuten. Vereine können die freie Trägerschaft nach einem | |
| Jahr Jugendarbeit beantragen, dann entscheidet das Jugendamt nach Ermessen | |
| über die Anerkennung. Nach drei Jahren haben sie dann einen Rechtsanspruch. | |
| Der FJZ macht seit 2006 Jugendarbeit, seit 2017 fördert der Landkreis das | |
| Dorf der Jugend mit einer 30-Stunden-Stelle. Die Anerkennung sollte | |
| eigentlich kein Problem sein. Doch dem ist nicht so. | |
| Burdukat ist fraktionsloses Kreisratsmitglied und trägt am Hals ein kleines | |
| Anarchietattoo. Seine politische Einstellung und sein Engagement gegen | |
| Nazis sind bekannt. Doch das Jugendamt verlangt von ihm politische | |
| Neutralität – und damit auch, dass er die AfD nicht angreift. In einer | |
| Gesprächsnotiz des Landratsamtes vom Dezember kritisiert die Behörde: „Auf | |
| dem Gelände des Projektes Dorf der Jugend findet sich an mehreren Stellen | |
| eine ablehnende Haltung gegenüber der AfD.“ Außerdem bemängelt das Amt „… | |
| Positionierung der Fachkraft öffentlich als Anarchist“. Es zitiert aus | |
| einem persönlichen Blogeintrag Burdukats, wonach „die Demokratie nicht die | |
| perfekte und beste Form der Herrschaft und vor allem mit vielen Hierarchien | |
| in seiner jetzigen Form versehen“ sei. Auch habe er „mangelndes | |
| Verantwortungsbewusstsein“ bei Kommunalpolitik und -verwaltung kritisiert. | |
| ## „Ich vertrete ein humanistisches Weltbild“ | |
| Auch der Auftritt von Egotronic ist im Visier der Behörde. Deren Sänger | |
| Torsun Burkhardt sagt dazu, nicht Burdukats Verhältnis zum Grundgesetz sei | |
| das Problem: Vielmehr müssten sich die Verantwortlichen im Amt „die Frage | |
| gefallen lassen, ob nicht sie es sind, die den Boden des Grundgesetzes | |
| verlassen und Gelder nur nach Gesinnung und nicht nach Gemeinnutz | |
| verteilen“. | |
| Das Schriftstück des Jugendamtes gipfelt in der Aussage: „Neutrale | |
| politische Haltung der Fachkraft, wie es im Rahmen der Jugendarbeit nach § | |
| 11 SGB VIII geboten ist, ist nur schwer erkennbar.“ Daher werde man dem | |
| Ausschuss nahelegen, den Antrag auf freie Trägerschaft abzulehnen. „Ich | |
| finde das unglaublich“, sagt Burdukat auf dem Amtsflur. „Ich bin | |
| Sozialarbeiter und vertrete ein humanistisches Weltbild. Die AfD tut das | |
| nicht, und das müssen Jugendliche auch diskutieren dürfen.“ | |
| Die Entscheidung trifft die Verwaltung im Jugendhilfeausschuss unter | |
| Ausschluss der Öffentlichkeit – und ohne auf den Protest anderer freier | |
| Träger einzugehen. Und: Von den Jugendlichen ist niemand eingeladen worden. | |
| Der Verein darf sie über Ablauf und Ausgang der späteren Sitzung vorerst | |
| nicht einmal informieren. Daher hatten die Jugendlichen entschieden, die | |
| Fragestunde im öffentlichen Teil zu nutzen, um Kritik zu üben. | |
| Ein Vorgehen, das die Verwaltung nicht gut zu finden scheint: Als die | |
| Jugendlichen nach und nach aufstehen und ihre Fragen stellen, verweist die | |
| Sitzungsleitung auf den Schriftweg und will den Frageteil mehrmals | |
| abbrechen. „Ich sehe an Ihren Stirnfalten, dass Sie weitere Fragen ungern | |
| sehen, aber wir wollen es doch einfach verstehen“, sagt Sarah, die in | |
| Grimma geboren wurde, sich regelmäßig im Dorf engagiert und das | |
| Crossover-Festival mitorganisiert hat. | |
| Erst spät regt sich im Ausschuss der Vertreter des Leipziger Kinder- und | |
| Jugendrings. „Das Dorf der Jugend ist ein Leuchtturmprojekt von | |
| bundesweiter Strahlkraft, das für seine innovativen Ideen bekannt ist“, | |
| sagt Andreas Rauhut. „Wir empfehlen eine positive Entscheidung.“ Seine | |
| Anmerkung bleibt unkommentiert. Am Ende müssen die Jugendlichen für den | |
| nichtöffentlichen Teil den Raum verlassen. | |
| „Der Prozess hier ist ein Schlag ins Gesicht für meine Arbeit“, sagt | |
| Burdukat auf dem Gang. Er dreht sich eine Zigarette, schaut immer wieder | |
| zur Tür vom Verhandlungsraum. „Es geht hier um die Belange der | |
| Jugendlichen, aber wenn sie dann hier sind, sollen sie nicht sprechen.“ Der | |
| Vorwurf, er würde nicht nah am Grundgesetz stehen, trifft ihn hart. „Für | |
| meinen Ruf ist das vernichtend, meine inhaltliche und pädagogische Arbeit | |
| im Dorf bleibt in der Entscheidung hier völlig außen vor.“ Er hätte keinen | |
| Lehrauftrag an der Hochschule Mittweida, wenn er nicht hinter dem | |
| Grundgesetz stehen würde, sagt er. Die Grundfrage in diesem Prozess sei | |
| eine ganz andere, glaubt auch die Grimmaerin Sarah. „Durch Jugendarbeit | |
| sollen junge Leute befähigt werden, sich zivilgesellschaftlich | |
| einzubringen“, sagt sie. „Aber Projekte, die das umsetzen, produzieren | |
| Menschen, die sich dem System entgegenstellen – und die dann hier in der | |
| Fragestunde auftauchen. Das ist nicht gewollt.“ | |
| ## Das Kinderschutzkonzept liege vor | |
| Im Bescheid, der dann am Mittwoch dieser Woche eintrudelt, sieht das | |
| Jugendamt dann doch keinen Grund mehr, die Anerkennung wegen Burdukats | |
| politischer Einstellung zu verwehren, „da keine verfassungsfeindlichen | |
| Ziele unter agitatorischen Methoden erkennbar sind“. Auf Anfrage zu diesem | |
| Umschwenken heißt es vom Landkreisamt: „Weil Steuergelder verbraucht | |
| werden, stellt sich immer die Frage, ob das Projekt oder die Projektträger | |
| mit den Zielen des Grundgesetzes vereinbar sind.“ Der Verein habe seine | |
| Antwort darauf plausibel und ausführlich dargestellt, man wolle im Gespräch | |
| bleiben. | |
| Doch nun bemängelt das Amt ein fehlendes Kinderschutzkonzept und die noch | |
| nicht ein Jahr alte, veränderte Satzung. Der Bescheid ist auf Ende März | |
| datiert, einen Tag, bevor dort das Kinderschutzkonzept vorlag, sagt | |
| Burdukat – und sechs Tage vor der Sitzung des Jugendhilfeausschusses in | |
| Borna. Auf Nachfrage korrigiert sich das Amt: Das Kinderschutzkonzept liege | |
| vor – allerdings verweist das Amt wiederum darauf, dass erst nach drei | |
| Jahren ein Rechtsanspruch auf die freie Trägerschaft vorliegt. Die | |
| Anerkennung werde auch in anderen Fällen im Landkreis so gehandhabt. Es | |
| bleibt also dabei: Das Lob für das Projekt schlägt sich nicht in einer | |
| Anerkennung der freien Trägerschaft und damit nicht in zusätzlichen | |
| finanziellen Möglichkeiten nieder. | |
| Zurück in Grimma sitzen Burdukat und seine Mitstreiter im Garten hinter der | |
| Spitzenfabrik. Die Runde hat ihren Mut wiedergefunden und bastelt an einer | |
| Stellungnahme und Crowdfunding. „Wir müssen jetzt sehen, wie wir an Spenden | |
| kommen, um endlich noch jemanden einzustellen“, sagt Burdukat. Bisher macht | |
| er das alles allein, mit der ehrenamtlichen Unterstützung der Jugendlichen | |
| – und damit zusätzlich zur Sozialarbeit, die er hauptamtlich im Dorf | |
| leistet. Am dringendsten würden Streetworker gebraucht, sagt er. | |
| Denn es gibt eine Alterslücke zwischen denen, die mittlerweile während des | |
| Studiums von Leipzig nach Grimma zum Dorf pendeln, und der heranwachsenden | |
| Generation junger Leute in der Stadt, die Angebote für ihre Altersgruppe | |
| brauchen. „Wir müssten die Jungs und Mädels, die hier gerade am | |
| Lagerfeuerplatz sitzen, eigentlich mit den jungen Leuten von den | |
| Bushaltestellen zusammenbringen und ihnen gemeinsam was zu tun geben“, sagt | |
| Burdukat und seine Augen leuchten schon wieder – es mangelt an Geld und | |
| Hilfe, nicht an Ideen und Möglichkeiten. | |
| ## Nicht das erste Projekt, das unter Druck gerät | |
| Das Projekt weiß die Unterstützung anderer sächsischer Jugendkulturvereine | |
| hinter sich. Viele hatten sich vor der Entscheidung des Jugendamtes hinter | |
| den Verein gestellt. Das Jugendamt hat angekündigt, sich noch einmal mit | |
| den Jugendlichen zusammenzusetzen, betont die Wichtigkeit eines | |
| konstruktiven Austauschs. Für die Entscheidung kommt das aber zu spät, auch | |
| wenn der Verein Widerspruch einlegen will. Vor allem braucht das Dorf der | |
| Jugend dringend seine bestehende, öffentlich geförderte Stelle. Sonst | |
| scheitert das Projekt. | |
| Das Jugendamt betont dagegen, die Stelle sei nicht gefährdet, aber sie muss | |
| jedes Jahr verlängert werden. Und bis dahin kann sich einiges ändern, denn | |
| im Mai stehen Kommunalwahlen im Landkreis an. Ein starkes Ergebnis der AfD | |
| scheint erwartbar. Und das Dorf der Jugend wäre nicht das erste Projekt für | |
| offene Kinder- und Jugendarbeit im Landkreis, das von rechts unter Druck | |
| gerät. | |
| Nach den Erfahrungen der letzten Monate will sich der Verein deshalb so | |
| unabhängig wie möglich machen. Eine Kampagne mit dem Slogan | |
| [3][#saveyourhinterland] startet in dieser Woche. | |
| Burdukat zieht an seiner Zigarette, zupft sich einen Tabakfussel aus dem | |
| Bart und schaut kampflustig auf seine alte Spitzenfabrik. „Es geht schon | |
| irgendwie weiter“, sagt er. „Aufgeben ist keine Option.“ | |
| 12 Apr 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Helke Ellersiek | |
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