| # taz.de -- Welcome United tourt durch Sachsen: Eine Impfung gegen Rassismus | |
| > Eine Gruppe Geflüchteter fährt durch Sachsen, um dort andere Geflüchtete | |
| > zu unterstützen. Vor Ort wollen sie vor allem: zuhören und mobilisieren. | |
| Bild: Rassismus ist in ihrem Alltag allgegenwärtig, darum wollen sie bei der n… | |
| Borna taz | Borna liegt nur eine S-Bahnfahrt vom links-alternativen Leipzig | |
| entfernt und ist doch eine jener typisch sächsischen Kleinstädte, in denen | |
| pastellfarbene Altbauten einsame Marktplätze säumen. „Typisch sächsisch“ | |
| wird später eine Aktivistin über den Ort sagen. Und vor allem den | |
| Alltagsrassismus meinen. | |
| Nevroz Duman zieht ihren Rollkoffer über den Marktplatz. Sie ist eine der | |
| Organisator*innen von Welcome United, einem bundesweiten Netzwerk, in dem | |
| sich vor allem Geflüchtete für Geflüchtete einsetzen. Die Kurdin kennt | |
| deren Probleme – sie ist selbst vor 18 Jahren nach Deutschland geflohen. | |
| Zusammen mit zwei Mitstreitern ist sie gerade aus dem Zug aus Frankfurt am | |
| Main gestiegen. „Die letzten Monate war ich mehr in Sachsen als in Hessen“, | |
| sagt sie. | |
| In Borna hat die AfD bei den Kommunalwahlen im Mai 22,7 Prozent geholt und | |
| lag damit nur einen Hauch hinter der Linkspartei an zweiter Stelle. Bei den | |
| Landtagswahlen am 1. September hat sie gute Chancen, auch hier stärkste | |
| Kraft zu werden. „In der Politik sieht es in Sachsen nicht gut aus“, sagt | |
| Duman. „Aber wirklich schlimm ist nicht die Politik, sondern der Alltag der | |
| Menschen.“ | |
| Deshalb fährt sie mit Welcome United seit Mai durch Sachsen, nach Bautzen | |
| oder Döbeln, immer dorthin, wo sie Initiativen und Knotenpunkte für | |
| Betroffene aus den umliegenden Dörfern finden. Hier wollen sie Aktive vor | |
| Ort unterstützen, das eigene Netzwerk ausweiten und einfach zuhören. | |
| ## „Der Rassismus in Borna ist allumfassend“ | |
| Mit seinen 20.000 Einwohnern ist Borna so ein Knotenpunkt. Nur ein paar | |
| Meter vom Marktplatz entfernt, gleich gegenüber Franzl’s Bierstube, hat der | |
| Verein Bon Courage seine Räume. Durch die offenen Fenster hört man Deutsch, | |
| Englisch und Arabisch. | |
| An diesem Nachmittag folgen fast zwanzig Menschen der Einladung von Welcome | |
| United in den kleinen Raum mit Fliesen und Neonlicht an der Decke. Auf die | |
| Frage in die Runde, woher denn alle kommen, antworten die Anwesenden mit | |
| Borna, Geithain oder Leipzig. Andere nennen Syrien, Pakistan oder Libanon, | |
| noch nicht sicher, welchen Ort sie jetzt ihr Zuhause nennen sollen. | |
| Schon im Mai hat Duman Station in Borna gemacht. „Rassismus gibt es | |
| überall, auch in Hanau, wo ich wohne“, hatte sie noch auf dem Marktplatz | |
| gesagt. „Aber in Sachsen, speziell in Borna, ist er allumfassend.“ Die | |
| Menschen hier würden die Anfeindungen gar nicht mehr wahrnehmen und hätten | |
| auch keine Lust, jeden Tag gegen rechts zu kämpfen. „Aber sie tragen diese | |
| Erfahrungen ja trotzdem in sich.“ Duman ist vor allem wegen der Gespräche | |
| hier: Die Geflüchteten sollen sich darüber austauschen, was ihnen hier | |
| täglich passiert. | |
| Wenn Duman im Stuhlkreis von solchen Dingen spricht, nicken alle energisch. | |
| Selbst zu berichten traut sich dann aber niemand, erst später im | |
| Zweiergespräch. Eine zwanzigjährige Syrerin möchte unerkannt bleiben und | |
| erzählt, dass sie einfach weitergeht, wenn Leute auf der Straße „schlimme | |
| Dinge“ zu ihr sagen, weil sie Kopftuch trägt. „Es ist nicht sehr gut in | |
| Borna, aber auch nicht sehr schlecht“, resümiert sie vorsichtig. | |
| ## Weniger Übergriffe, dafür mehr Alltagsrassismus | |
| Auch ein syrischer Junge sagt, dass seine 15-jährige Schwester jeden Tag | |
| weinend nach Hause komme. Und da sind Adil und Tayyaba, die vor 24 Jahren | |
| aus Pakistan kamen und seitdem mit einer Duldung in einem Ort einige | |
| Kilometer von Borna entfernt leben. Sie hatten früher manchmal Angst um | |
| ihre Kinder, die in der Schule blöde Sprüche, Gezerre am Kopftuch oder | |
| später vereinzelt körperliche Angriffe ertragen mussten. „Meine Kinder sind | |
| stark und sagen immer, das sei alles kein Problem“, sagt Tayyaba. „Aber mir | |
| tut das weh.“ | |
| Dabei betonen alle, dass es in Borna auch nette Menschen gibt: Chefinnen, | |
| die sich für sie einsetzen, Nachbarn, mit denen sie sich gut verstehen. | |
| Rassismus gebe es doch überall, sagen sie. | |
| Sandra Münch ist in Borna geboren und lebt heute in Leipzig. Seit gut zehn | |
| Jahren leitet sie mit ihrer Schwester den Verein Bon Courage. Früher war | |
| die rechtsextreme Gruppe Oldschool Society in Borna aktiv. Auf das Haus von | |
| Bon Courage habe es mal einen Anschlag mit Buttersäure gegeben, erzählt | |
| Münch. „Wir mussten dem Staatsschutz regelrecht hinterhertelefonieren, | |
| wirkliches Aufklärungsinteresse gab es nicht.“ | |
| Heute seien die körperlichen Angriffe auf Migrant*innen weniger geworden. | |
| „Aber der Alltagsrassismus ist salonfähiger geworden“, sagt sie, während | |
| sie für alle Kekse auf einen Teller schichtet. „Es sind weniger die Jungs | |
| in Bomberjacke, die sich rassistisch äußern, sondern mehr die alte Frau von | |
| nebenan oder die Kassiererin.“ | |
| ## Höhepunkt der Tour: die Unteilbar-Demo | |
| Bon Courage ist die einzige Organisation, die sich um Geflüchtete im Ort | |
| kümmert. Nach 2015 hätten sich überall in Deutschland Initiativen | |
| gegründet, hier aber habe sich wenig getan. „Es ist schwer, irgendwen zu | |
| motivieren“, sagt Münch. „In Großstädten leben viele junge Leute und | |
| Studenten. Die ziehen hier aber weg.“ Borna liegt im ehemaligen | |
| Braunkohlegebiet, das seit der Wende viele Menschen verlassen haben – 1988 | |
| lebten hier noch 5.000 Menschen mehr. Auch die Nähe zu Leipzig mit seiner | |
| linken Szene bessert die Situation nicht. Wer sich engagieren will, könne | |
| das eben auch dort tun. | |
| Viele Probleme im Ort würden auf den Verein abgeladen werden, sagt Münch. | |
| Deshalb ist sie froh, dass Welcome United hier ist, den Geflüchteten | |
| einfach mal zuhört, mit ihnen Erfahrungen aus anderen Orten teilt. „Es war | |
| uns wichtig, vor der Wahl gerade die kleineren Orte in Sachsen zu | |
| besuchen“, sagt Duman. Nach dem letzten Treffen in Borna haben sie zum | |
| Beispiel einen Workshop zu Rassismus organisiert. „Wir kennen als | |
| bundesweites Netzwerk einfach mehr Leute, wissen, wo man sich um | |
| Finanzierung bewerben kann.“ Nach der Tour soll eine Spendenkampagne die | |
| besuchten Projekte finanziell unterstützen. | |
| Höhepunkt ihrer Tour wird die Unteilbar-Demonstration am 24. August in | |
| Dresden sein. „Letztes Jahr in Hamburg sind 30.000 Menschen gekommen“, | |
| schwärmt Duman den anderen vor, die überrascht schauen. „Es war wie eine | |
| Parade.“ Sie will die Geflüchteten in Borna dazu bringen, diesmal auch | |
| mitzulaufen. Dafür organisiert Welcome United Busse, die aus ganz | |
| Deutschland nach Dresden fahren, auch in Borna wird einer starten. „Wir | |
| haben 65 Plätze und ihr könnt kostenlos mitfahren“, erklärt Münch. Eine | |
| andere Frau übersetzt auf Arabisch, weil es jetzt besonders wichtig wird. | |
| Die meisten sagen, dass sie auf jeden Fall dabei sind. „Wir müssen da hin“, | |
| sagt Adil, der mit seiner Frau und zwei Kindern nach Dresden fahren will. | |
| „Es ist ja für uns selbst.“ Und ein junger Mann fügt hinzu: „Keine Sorg… | |
| ihr werdet nicht abgeschoben, wenn ihr demonstrieren geht.“ | |
| ## Eine Impfung gegen Rassismus | |
| Dann sammeln alle erste Ideen für Demoplakate, überlegen, welche Themen | |
| ihnen wichtig sind. Eine junge Frau setzt sich auf den Boden, schreibt auf | |
| Zuruf erste Sprüche mit Textmarker auf Papier. | |
| „Rassismus ist tödlich – schreib das!“ | |
| „Nein“, heißt es aus der anderen Ecke. „Rassismus ist heilbar.“ | |
| „Rassismus ist heilbar, aber nicht haltbar.“ | |
| Alle lachen, spinnen die Ideen immer weiter. „Wir brauchen eine | |
| Antirassismus-impfung“, ruft Münch und erklärt den anderen die deutsche | |
| Debatte zur Impfpflicht. „Dann brauchen wir große Spritzen“, schlägt jema… | |
| anderes vor. Und was ist drin, in den Spritzen? „Ein paar Milligramm Liebe. | |
| Und wie viel Milligramm Toleranz?“ „Scheiß auf Toleranz!“, erwidert jema… | |
| „Wir brauchen Akzeptanz.“ | |
| Trotz vieler schlechter Erfahrungen nennt das Ehepaar aus Pakistan ihre | |
| sächsische Kleinstadt ihr Zuhause und auch die kann nicht ohne sie. „Die | |
| Leute sagen: Unsere Stadt ohne diese Familie? Das geht doch gar nicht!“, | |
| erzählt Tayyaba. | |
| Geschichten wie diese nehmen Welcome United mit auf ihre Tour. Nach dem | |
| Treffen quetschen sich Duman und ihre Kollegen in den Bus, den sie für die | |
| nächsten Tage gemietet haben. Auf der Autobahn passieren sie die Ausfahrt | |
| Chemnitz. „Schaut mal“, ruft jemand: „Chemnitz – Stadt der Moderne.“ … | |
| lachen. Die rechten Ausschreitungen im vergangenen Jahr beschäftigen sie | |
| bis heute, beim Besuch in Borna ging es auch darum. Auch deswegen fahren | |
| sie weiter durch Sachsen: nach Döbeln, Pirna und wo sie sonst noch | |
| gebraucht werden. | |
| 20 Aug 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Jana Lapper | |
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