Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Politikberater über grüne Landespolitik: „Regierungen werden eh…
> Bringen Grüne an der Macht den Umweltschutz voran? Ja, aber langsam, sagt
> eine Studie des Politikberaters Arne Jungjohann.
Bild: Kann er was bewegen? Der grüne Ministerpräsident von Baden-Württemberg…
Herr Jungjohann, die Grünen haben mal mit dem Wahlslogan „Grün wirkt“
geworben. Sie haben das Regierungshandeln der Ökopartei mit einer
[1][Studie für die Böll-Stiftung] erforscht. Wirkt Grün, wenn es um die
Umwelt geht?
Arne Jungjohann: Wo die Grünen mitregieren, sind die Regierungen
ehrgeiziger bei der ökologischen Modernisierung. Das wird da sehr deutlich,
wo Landesregierungen einen größeren Handlungsspielraum haben, etwa in der
Agrarpolitik oder dem Ausbau erneuerbarer Energien. In den neun
Bundesländern, in denen Grüne regieren, sieht man klar eine grüne
Handschrift, sie spielen da ihre Kernkompetenz aus.
Was hat die Studie untersucht?
Ich habe ein Dutzend Studien zu Umweltpolitiken in den Ländern ausgewertet,
Interviews geführt und Organisationspläne von Landesregierungen
durchforstet. In zwei Fallbeispielen rekonstruiere ich den Einfluss grüner
Regierungspraxis: Beim Radverkehr in den Ländern nutzen die Grünen ihre
Spielraum, der allerdings zwischen Bund und Kommen eng ist. Bei der
EEG-Reform 2014 haben die Grünen moderate Verbesserungen durchgesetzt,
obwohl die Länder formal gar nicht zustimmungspflichtig waren.
Die Studie untersucht auch, wie Grüne ihre Ministerien nennen. Ist das
relevant?
In „grünen“ Ländern führen die Umweltministerien Begriffe wie Energiewen…
und Klimaschutz im Namen. Das ist kein Zufall, sondern Ausdruck politischer
Prioritäten, der sich dann in Strukturen und Regierungshandeln
niederschlägt. Über den Verlauf einer Amtszeit werden Abteilungen neu
zugeschnitten, Referate aufgebaut und wichtige Personalentscheidungen
getroffen. Bundesweit gibt es drei „ökologische Superministerien“ mit den
Geschäftsbereichen Energie, Umwelt und Landwirtschaft: in Bremen,
Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein, alle unter grüner Führung.
Und die Ergebnisse? Ist der Himmel blauer, wo grün regiert wird?
Das kann ich nicht belegen. Dafür bräuchte es Langzeitstudien. Ich habe
geschaut, wie ändern sich Strukturen und welche Gesetze werden beschlossen.
Dort, wo Grüne regieren, werden Koalitionsverträge und Regierungshandeln
ehrgeiziger. Die gute Nachricht gegen Politikverdrossenheit: Es macht einen
Unterschied, wer regiert. Parteien und Politiker haben Spielräume, die sie
nutzen können. Dabei sieht man übrigens keine Unterschiede, ob die Grünen
jeweils eher dem Realo- oder dem linken Flügel zuzurechnen sind. Und man
erkennt, wie einflussreich die Grünen über die Länder und den Bundesrat
sind. Gegen sie geht da praktisch nichts.
Macht es einen großen Unterschied, ob der Ministerpräsident Grüner ist? Ist
also Baden-Württemberg das Öko-Paradies?
Parteien, die Regierungen anführen, haben immer mehr Einfluss als kleine
Koalitionspartner. Grün-Rot hat unter Winfried Kretschmann ein
Klimaschutzgesetz verabschiedet, den Nationalpark eingerichtet und die
bundesweite Endlagersuche für Atommüll vorangebracht. Das ist eine sehr
gute Öko-Bilanz und ein Politikwechsel gegenüber der schwarz-gelben
Vorgängerregierung. Deutlich schwerer tun sich die Grünen in
Baden-Württemberg erkennbar in der Autopolitik, da knirscht es gewaltig bei
Grün-Schwarz.
Und über die Bundesländer hinweg?
Bei den Erneuerbaren zeigt sich deutlich: Grüne Regierungen haben einen
positiven Einfluss auf den Ausbau, gerade bei der Windkraft, wo die Länder
über das Planungsrecht viel Spielraum besitzen. Allerdings handelt jede
Regierung auch nach regionalwirtschaftlichen Interessen. Zum Beispiel ist
Mecklenburg-Vorpommern Vorreiter beim Ausbau der Windkraft, ganz ohne Grüne
Beteiligung. Am deutlichsten ist der grüne Einfluss beim Tierschutz und in
der Klimapolitik. In 8 von 9 Ländern, die ein Klimaschutzgesetz auf den Weg
gebracht haben, sind Grüne an der Macht beteiligt.
Welche Ministerien sind für den ökologischen Umbau wichtig?
In Koalitionsverhandlungen macht niemand den Grünen das Umweltministerium
streitig. Dieses Ergebnis hat mich gewundert. Neben Umwelt tendieren die
Grünen inzwischen dazu, die Energie- und Wirtschaftspolitik zu
beanspruchen. Aber auch Landwirtschaft bietet Spielraum, um für bessere
Ernährung zu sorgen, den Tierschutz zu stärken und neue Wählerschichten
anzusprechen. Wenn es um den Klimaschutz geht, ist Verkehr wichtig. Das
gibt es zwar extrem dicke Bretter zu bohren. Aber in Bremen und
Baden-Württemberg, wo sie seit drei beziehungsweise zwei Legislaturen an
der Macht sind, beginnen sie, den schwerfälligen Tanker langsam zu drehen.
Und wenn sie nicht mehr da sind: Wie nachhaltig ist grünes Regieren?
Das wird man sehen, wenn sie ausscheiden. Je länger sie regieren, desto
eher können sie Pfade anlegen, die nur schwer umzukehren sind. Beispiel
Radverkehr. Erfolg kommt mit neuen Planern und neuen Mitteln. Das braucht
fünf Jahre von der politischen Entscheidung, bis der Radweg gebaut ist. Das
kann dann auch die nächste Regierung nicht mehr verhindern. Gegenbeispiel
aus der Energiepolitik: In Nordrhein-Westfalen dreht Schwarz-Gelb den
Ausbau der Windkraft zurück und will das Klimaschutzgesetz abschaffen.
Die Grünen debattieren gerade ein neues Grundsatzprogramm. Was können sie
aus Ihrer Studie lernen?
Die Menschen suchen bei den Grünen, was sie anderswo nicht finden:
Antworten auf Höhe der ökologischen Herausforderung. Das braucht eine neue
Sprache. Bislang regieren sie erfolgreich und selbstbewusst in den Ländern.
Wenn bei Debatten über Flugreisen, autofreie Innenstädte oder hohe
Benzinpreise der Eindruck entstünde, die Grünen kuschen, weil ihnen gute
Umfragewerte wichtiger sind, fällt ihnen das auf die Füße. Es wäre auch in
der Sache falsch. Solche Tabuthemen können wir uns beim ökologischen Wandel
nicht länger leisten.
Vielleicht sind sie in den Ländern erfolgreich, gerade, weil sie diese
Tabus meiden.
Das mag sein. Aber die Grünen stehen vor der Aufgabe, den Pragmatismus beim
Regieren mit Lösungen zusammenzubringen, die angemessen radikal sind, um
die ökologische Krise zu meistern.
Hohen Benzinpreis durchsetzen und trotzdem gewählt werden?
Das muss das Ziel sein.
31 Mar 2019
## LINKS
[1] https://www.boell.de/de/2019/01/15/oekologisch-regieren-0?dimension1=divisi…
## AUTOREN
Bernhard Pötter
## TAGS
Lesestück Interview
Grüne
Schwerpunkt Klimawandel
Ökologie
Winfried Kretschmann
Bündnis 90/Die Grünen
Müll
Schwerpunkt Fridays For Future
Verkehrswende
CO2-Emissionen
Grüne
Grüne
Annegret Kramp-Karrenbauer
Lesestück Interview
Robert Habeck
AKK
Robert Habeck
Kolumne Die eine Frage
Annalena Baerbock
## ARTIKEL ZUM THEMA
Umweltzustand in Bremen: Aufgaben für alle
Welche Umweltprobleme muss die neue Bremer Landesregierung lösen? Die taz
ergänzt den Umweltzustandsbericht des scheidenden Senators Lohse.
Junge Aktivistinnen über Klimaprotest: „Wir werden immer weiter machen“
Einen Monat vor der Bürgerschaftswahl legen Bremens Fridays for
Future-Aktive einen Forderungskatalog vor: der ist radikal – und fundiert.
Radverkehr in Bremen: Abstrampeln für die Verkehrswende
Der Allgemeine Deutsche Fahrradclub hat zum Thema Radverkehr ein „Barometer
zur Bürgerschaftswahl 2019“ erstellt. In diesem enttäuscht die SPD.
Weniger Klimagase in Deutschland: Kaum Freude über gute Zahlen
Erstmals seit vier Jahren ist der CO2-Ausstoß in Deutschland deutlich
gesunken – und zwar nicht nur wegen des milden Winters.
Kommentar Strategie der Grünen: Radikal unradikal
Die Grünen versprechen im Zwischenbericht zum neuen Programm Radikalität.
Doch sie endet schon dort, wo Konsumwünsche beeinträchtigt werden.
Grüne planen neues Programm: Raus aus der Nische, rein ins Kabinett
Volksparteien sind out, sagen die Grünen. In einem Zwischenbericht zum
neuen Programm geben sie sich anschlussfähig und offen für neue Partner.
Grüne vor Europawahlkampf: Schwarz-grüne Misstöne
Die Grünen ärgern sich über CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer, die Schengen
kritisiert. Was heißt das für Bündnisse in Brüssel oder Berlin?
Grünen-Fraktionschef über Autoindustrie: „Nichtstun rettet keine Jobs“
Der Staat muss E-Mobilität stärker fördern, so Anton Hofreiter. Sein
Vorschlag: eine Kommission zur Zukunft der Automobilindustrie.
Die Grünen und der Veggieday: Heiliges Recht auf Currywurst
Die Ökodiktatur rückt näher: New York führt an 1.800 Schulen einen
Veggieday ein. Was sagt die „Bild“-Zeitung dazu? Und was sagen die Grünen?
Kolumne Die eine Frage: Soll man Greta anbeten?
In den Stahlgetwittern der Mediengesellschaft ist immer Karneval. Ein
Klo-Witz wird zum zivilisatorischen Rollback. Wie könnte es anders gehen?
Grüne und Gewerkschaften: Plötzlich Seite an Seite
Die Ökopartei knüpft neue Allianzen mit DGB, IG Metall und Ver.di. Dahinter
stecken handfeste Interessen – auf beiden Seiten.
Kolumne Die eine Frage: Wie kleine Kinder
Die Autopopulisten Scheuer, Kramp-Karrenbauer und Lindner ignorieren die
ökologische Modernisierung. Die müssten sie eigentlich vorantreiben.
Kolumne Die eine Frage: Alle gegen die Grünen
Jenseits der Schnappatmungsempörung: Bleibt die neu positionierte Partei
von Baerbock und Habeck die Nummer zwei im Land?
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.