# taz.de -- Postmigrantisches Festival in Hamburg: Klappe auf, Affe tot | |
> Zum Auftakt des „Krass“-Festivals verknüpft Branko Šimić Kafkas Erzäh… | |
> „Ein Bericht an eine Akademie“ mit aktuellen Migrationserfahrungen. | |
Bild: Als letzter Ausweg nur der Tod? Ex-Affe Rotpeter richtet eine Waffe gegen… | |
Kafkas „[1][Ein Bericht an eine Akademie]“ kennen viele noch aus der | |
Schulzeit: Der Affe Rotpeter berichtet Wissenschaftlern von seiner | |
Quasi-Verwandlung in einen Menschen. Von einer Hagenbeck’schen | |
Jagdexpedition sei er an der westafrikanischen Goldküste angeschossen, in | |
einen Käfig gesperrt und mit dem Schiff nach Europa verschleppt worden. Und | |
habe dort einsehen müssen, dass ihm als Fluchtweg nur die Menschwerdung | |
bleibt. | |
Rotpeter lernt zu spucken, zu saufen und zu sprechen wie seine Entführer – | |
eine Metamorphose, die ihm eine Karriere als Entertainer beschert: „Als ich | |
in Hamburg dem ersten Dresseur übergeben wurde, erkannte ich bald die zwei | |
Möglichkeiten, die mir offen standen: zoologischer Garten oder Varieté. […] | |
Ich sagte mir: setze alle Kraft an, um ins Varieté zu kommen; das ist der | |
Ausweg.“ | |
Ein kraftvoller Text, der sich für [2][verschiedene Lesarten] anbietet: | |
Eine Diatribe gegen die jüdische Assimilation erkennen die einen im 1917 im | |
zionistischen [3][Magazin Der Jude] erschienenen Text; andere eine | |
Zurückweisung der Darwin’schen Evolutionstheorie; einen empathischen Ruf | |
nach Tierrechten; eine böse Satire auf den Kolonialismus; eine Meditation | |
über die Freiheit. In welcher Lesart auch immer: Es geht um Identität und | |
Selbstentfremdung, um erzwungene Anpassung und versagte Anerkennung. | |
Grund genug für den Hamburger Theatermacher Branko Šimić, Kafkas Erzählung | |
ins Zentrum seines postmigrantischen [4][Kultur-Crash-Festivals „Krass“] zu | |
stellen. Das setzt sich seit Donnerstag unter dem Rubrum „Krassimilation“ | |
zum achten Mal zehn Tage lang mit Flucht- und anderen Migrationserfahrungen | |
auseinander – und damit, was diese Erfahrungen mit den Betroffenen | |
anrichten. | |
## Artensprung von Menschenhand | |
Gleich drei Programmpunkte kreisen diesmal um Kafkas Erzählung, darunter | |
auch Šimićs eigenes Stück „This Monkey Goes to Heaven“. Das hat er | |
natürlich in der Gegenwart angesiedelt: Statt an eine Akademie richtet | |
Rotpeter seinen Bericht ans Publikum der vom Zauber-Entertainer [5][Manuel | |
Muerte] moderierten Fernsehsendung „Hagenbeck live“. Das sitzt dort, wo | |
sonst in der Halle K6 die Bühne ist – und die Tribüne wird zum Spielplatz | |
für Tanzperformances des Trios Bad Attitude und zur Leinwand für | |
Theaterzauber: Nebel, Projektionen oder Suchscheinwerfer. | |
Stargast Rotpeter, mit mitreißendem Verve gespielt vom Schauspieler Arash | |
Marandi, erzählt, wortgetreu Kafka folgend, seine Geschichte. Mal lümmelt | |
er sich nachdenklich auf dem Fernsehsofa, mal springt er wild herum und | |
schreit verschwitzt das Publikum an. | |
Unterbrochen wird er immer wieder durch kleine Varieté-Nummern, eine | |
Mischung aus Illusionen und Edutainment: Wissenschaftlern sei es gelungen, | |
den Darwin’schen Artensprung von Menschenhand herbeizuführen, erzählt | |
Muerte: ein Spiegeltrick letztlich, den der Zauberkünstler am | |
entsprechenden Zauberkasten erklärt. | |
## Völkerverständigung als Illusion | |
In einer anderen Szene bittet Muerte zwei Frauen aus dem Publikum zum | |
Experiment in Sachen „esoterische Völkerverständigung“: Herausfinden will | |
er, ob zwischen den einst vereinten Afrika und Europa noch ein „Kontakt“ | |
besteht; stupst „Afrika“ in die Schulter und fragt die mit verbundenen | |
Augen daneben sitzende „Europa“, ob sie das „gespürt“ habe. | |
So weit, so unterhaltsam. Doch das Lachen bleibt immer wieder im Halse | |
stecken. Denn auch eine andere Geschichte unterbricht den Bericht von der | |
Menschwerdung. In Projektionen erzählt Abou Jabbi vom Schicksal seines | |
Bruders: Der aus Gambia nach Hamburg gekommene Yaya ist 2016 21-jährig | |
[6][in der Haftanstalt Hahnöfersand ums Leben gekommen]. Die Behörden | |
sagen: Selbstmord. Zuvor war er in St. Pauli mit 1,65 Gramm Marihuana | |
erwischt worden. | |
Nicht unproblematisch: Kafkas Kolonialgeschichte, die von einem Affen | |
handelt, mit der tatsächlichen Geschichte eines Schwarzen zu verknüpfen. | |
Reproduziert man damit nicht den rassistischen Diskurs? | |
Tatsächlich: Nachdem er vorher schon – ganz hinten im Dunkel der Tribüne | |
sitzend – vom brutalen Leben inmitten von Alltags- und staatlichem | |
Rassismus rund um den Sternschanzenpark erzählt hatte, tritt ein junger | |
Mann aus West-Afrika an die Rampe und lässt seinem Unmut freien Lauf: | |
Verdammte rassistische Weiße! Ihr benutzt uns weiterhin nur als Opfer, | |
stellt euch über uns und uns auf eure Theaterbühnen, steckt uns in eure | |
„postkolonialen“ Dokutheaterstücke, um euch von eurer Schuld abzulenken und | |
euch besser zu fühlen! | |
Den Finger so in die Wunde zu legen statt ihn zum Zeigefinger zu erheben, | |
der in die „richtige Richtung“ weist: Ein hartes, offenes Ende voller | |
Fragen für einen gewagten Abend über die Härten der „Integration“ – we… | |
sich nicht integrieren lässt. Klappe auf, Affe trotzdem tot. | |
6 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikisource.org/wiki/Ein_Bericht_f%C3%BCr_eine_Akademie | |
[2] https://www.independent.co.uk/arts-entertainment/theatre-dance/features/kaf… | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Jude_(1916%E2%80%931928) | |
[4] https://www.kampnagel.de/krass-kultur-crash-festival-2019/?festival=170 | |
[5] https://www.manuelmuerte.com/ | |
[6] /Racial-Profiling-auf-St-Pauli/!5382062 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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