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# taz.de -- "Krass"-Festival in Hamburg: „Multikulti ist überholt“
> Hamburg fehlen Spielstätten für interkulturell geprägte Bühnenkunst, sagt
> Festival-Organisator Branko Šimić.
Bild: Zeitgenössischer Tanz aus Mosambik: Panaibra Gabriel Canda ist auch auch…
taz: Herr Šimić, das Krass-Festival gibt es nun in seiner zweiten Auflage.
Hat es Sie überrascht, als Sie 2012 grünes Licht bekamen für ein Festival,
das der zeitgenössischen Kunst von Migranten und Postmigranten Raum gibt?
Nein, eigentlich nicht. Anders als in den 1990er-Jahren, wo an eine
Diskussion über zeitgenössische Kunst und Migration kaum zu denken war,
wird heute auch in der Kulturbehörde über das Phänomen diskutiert. Sich dem
Thema von Flucht, Migration und Exil mit zeitgenössischen Kunstformen zu
nähern, war erwünscht und ich kam zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen
Ort – eben Kampnagel.
Was 2012 mit einem Etat von rund 30.000 Euro begann, hat 2014 eine
Finanzspritze in Höhe von 60.000 Euro aus dem Elbkulturfonds erhalten.
Geld, das Freiräume schafft?
Ja, wir hoffen, uns mit dem zweiten Festival zu etablieren. Das Thema wird
heute ernster genommen und durch die Förderung haben wir nun die
Möglichkeit, Künstler wie Panaibra Gabriel Canda einzuladen. Im Mittelpunkt
seines Solos „Time and Space“ steht die jüngere Geschichte Mosambiks und
seine Zerrissenheit seit der Unabhängigkeit von Portugal. Auch God’s
Entertainment sind erneut dabei – mit einem neuen, ganz aktuellen Stück.
In dem geht es um den Arbeiterstrich, der in Wilhelmsburg Realität ist,
aber sich auch in Wien, Lissabon oder Madrid findet …
Das Wiener Kollektiv ist immer sehr nah an der Realität, thematisiert die
soziale Situation von Migranten, die ihre Arbeitskraft anbieten und
konfrontiert das Publikum mit dieser Realität.
Stücke, die laut der Intendantin Amelie Deuflhard einen Gegenpol zum
deutschen Stadttheater bilden und ein anderes Publikum nach Kampnagel
ziehen …
Ich freue mich auf jeden Zuschauer, denn wir beschäftigen uns mit Themen,
die jeden etwas angehen. Wir sind eine Gesellschaft im Wandel, die den
Wandel aber nicht immer wahrhaben will. Dabei genügt doch schon ein Blick
in die Schulklassen von heute. Multikulti ist heute nicht nur ein verpöntes
Unwort, sondern auch längst überholt, denn wir brauchen heute eine andere
Form und Ästhetik.
Sie sind in Bosnien aufgewachsen, haben sich aber in Ihrem eigenen Stück
„Abgrund“ auf Texte der libanesischen Autorin Etel Adnan gestützt. Warum?
Etel Adnan ist einfach ein gutes Beispiel. Ihr Vater war Syrer, ihre Mutter
Griechin und gemeinsam lebten sie im französisch kontrollierten Libanon, wo
ihre Tochter an eine französische Schule ging. Später studierte sie an der
Sorbonne und in Berkeley, bevor sie 1972 zurück in den Libanon ging. Doch
dann kamen die Kriege und mit ihnen das Ende einer Welt, in der mehrere
Religionen nebeneinander existieren konnten. Das hat Etel Adnan in ihren
Büchern festgehalten. Diese Erfahrung kombinieren wir im Stück mit unseren
eigenen Erfahrungen – denen als Flüchtlinge und denen im Exil.
Fehlt in Hamburg eine Institution wie in Berlin das Theater Ballhaus
Naunynstraße, wo zeitgenössisches Theater aus Migrations- und
Postmigrationsperspektive geboten wird?
Ja, so ein Theater fehlt, denn Hamburg nennt sich Tor zur Welt, ist
vielfältig und international – und durch den Hafen eine Drehscheibe. Viele
Menschen mit Migrationshintergrund sind hier angekommen, wollen sich
ausprobieren, neue Formen entwickeln, auf die Bühne bringen. Da ist das
Krass Kultur-Crash-Festival allein auf weiter Flur.
In Hamburg sind die Lampedusa-Flüchtlinge seit Monaten in aller Munde – ein
Thema auf dem Festival?
Ja, definitiv, denn auch auf Kampnagel haben die Flüchtlinge in einer Halle
längere Zeit Unterschlupf gefunden. Ich kenne einige von ihnen und habe
überlegt, ein oder zwei von ihnen in mein Stück „Abgrund“ zu integrieren.
Dann habe ich mich jedoch für eine fiktive Szene mit Bezug zur Gruppe
entschieden, weil es schon zu viele Veranstaltungen gab, bei denen sie
eigentlich kaum zu Wort gekommen sind. Für die Lampedusa-Gruppe muss es
endlich eine politische Lösung geben.
Globalisierung und Migration sind zwei Seiten der gleichen Medaille – ist
das in Deutschland schon Konsens?
Wir müssen uns entscheiden in welcher Welt wir leben wollen. Wollen wir
eine interkulturelle Zukunft? Oder werden die Vorgärten weiterhin zu
Gefahrengebieten deklariert, obwohl der Andrang nur eine Folge der
Verhältnisse ist?
## ■ Krass-Festival: ab 5. Februar, Hamburg, Kampnagel. Programm:
2 Feb 2014
## AUTOREN
Knut Henkel
## TAGS
Multikulti
Hamburg
Kampnagel
Schwerpunkt Rassismus
Mosambik
Nachruf
Hamburg
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