# taz.de -- Kleist als wilde Fahrt: Im Lamborghini ins Nichts | |
> Wilde Fahrt in den Nihilismus: Probenbesuch bei Daniel Foerster und der | |
> „Familie Schroffenstein“ in Osnabrück. | |
Bild: Werden seine innerlich zerlegten Fahrer*innen später zerlegen: den gelbe… | |
Das Theater? „Quälerei! Masochismus! Krise!“ Daniel Foerster lächelt ein | |
bisschen, als er das sagt. „Aber ich brauche es! Komisch, oder? Immer | |
wieder!“ Wir sitzen im „Lampenfieber“, dem Kantinenrestaurant des Theaters | |
Osnabrück, und trotz seines Lächelns ist Foerster sehr ernst. In knapp drei | |
Wochen hat er mit [1][Heinrich von Kleists Erstling „Die Familie | |
Schroffenstein“] Premiere, und viel Zeit ist das nicht mehr. Zumal nicht, | |
wenn man Regie führt wie er. | |
„Es gibt ja Regisseure, die arbeiten [2][aus einer Genieposition heraus]“, | |
sagt er. „Die diktieren von Anfang an ihre Vision von oben herab. So bin | |
ich nicht.“ Foerster liebt „die Schwarmintelligenz des Kollektivs“, | |
braucht Spieler, „die eng mit ihren Figuren verwachsen, denen es zum | |
persönlichen Anliegen wird, was wir auf der Bühne verhandeln“. | |
So zu arbeiten wie er, erfordert viel Vertrauen. Von beiden Seiten. Zumal | |
es in seinem „Schroffenstein“ sehr energetisch zugeht, sehr körperlich. | |
Schweiß bis zur Erschöpfung. Wie das aussieht? Eineinhalb Wochen später | |
stellt er es unter Beweis: Auf einer Abendprobe im Emma-Theater, der | |
kleinen Zweitbühne des Hauses, ein paar Gehminuten vom „Lampenfieber“ | |
entfernt. | |
## Post-Apokalypse und HipHop-Krieg | |
Auf der Bühne steht etwas, das aussieht wie ein Endzeit-Gefährt aus dem | |
Film „Mad Max“ – ein Provisorium für den gelben Lamborghini, den seine | |
Fahrer später hier zerlegen. „Endlich wieder Krieg, endlich wieder Krieg!“, | |
dröhnt es aus dem Laptop auf dem Regietisch. [3][„Endlich wieder, endlich | |
wieder, endlich wieder Krieg!“: Zugezogen Maskulin, Berliner Hip-Hop-Band.] | |
Etwas von „Kämpfen und Siegen“ ist zu hören, etwas wie „von Raketen | |
zerfetzt“. „Lauter!“, brüllt Foerster. „Lauter!“ | |
Farblicht zuckt. Bomben heulen. Eine Windmaschine kommt zum Einsatz, | |
aufgepimpt durch Nebel und Wasser. Im Auto liegen Sturmgewehre. | |
Schreckensschreie gellen auf. Die Darsteller filmen sich selbst, live, mit | |
Hexenmaske, auf der Treppe ins Stockwerk drunter, kriechen dabei fast ins | |
Objektiv. Das riesige Beamer-Bild, das den gesamten Bühnenhintergrund | |
überzieht, ist unscharf, überblendet, verwackelt. Das ist wild. | |
Manchmal hält es Foerster nicht. Er schießt rein in die Szene, gestikuliert | |
mit, tanzt mit, ruft mit. Manchmal setzt er auch einen Cut. Nimmt die | |
Darsteller zur Seite, einzeln, in Gruppen, erklärt, lange, konzentriert. | |
Sagt Sachen wie: „Ich würd’ gerne mal probieren …“ Und dann startet er… | |
Szene noch mal. Und noch mal. Und noch mal. „Endlich wieder, endlich | |
wieder, endlich wieder Krieg!“ Wieder und wieder und wieder geht es um | |
diesen abgehackten Finger. Und jedes Mal wird die Szene dichter, | |
entschlossener, akzentuierter, härter. | |
Julius Janosch Schulte trägt Glitzerhemd und wildes Grellhaar wie ein | |
Popstar der 1980er. Philippe Thelen klappt eine Schweißerbrille runter, | |
bevor es auf Verfolgungsfahrt geht. Hannah Walther stöckelt auf schwarzen | |
Lederstiefeln. Katharina Kessler trägt manchmal so was wie einen | |
gestreiften Bademantel. | |
Rechts und links Kleiderständer mit Klamotten in wilden Haufen. Rechts und | |
links Scheinwerfer auf Rollen. Eine Taschenlampe blendet, rot metallic. | |
Eine dieser mexikanischen Wrestlermasken füllt sich, die immer so | |
foltermäßig aussehen. Marie Senf, die Dramaturgin: „Ist natürlich alles | |
noch nicht das Endergebnis. Schultes Haar zum Beispiel. Das trägt er im | |
Stück gar nicht.“ Und dann geht es weiter. Manchmal liegt eine riesige | |
Stange längs über der Mad-Max-Karre, wie ein Geschützrohr. Philippe Thelen | |
und Hannah Walther haben eine intensive Kuss-Szene. Körperlich? Schweiß bis | |
zur Erschöpfung? Stimmt. | |
## An Kleist fesselt „die Zerissenheit“ | |
Mit dem Theater angefangen hat Foerster in Göttingen. Aber die Zeit, in der | |
er als Statist des dortigen Deutschen Theaters einen Bären gespielt hat, | |
ist lange vorbei. Und auch sein [4][Regiestudium an der Ludwigsburger | |
Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg] liegt schon lange | |
zurück. Schon damals hat ihn Kleist gefesselt. „Faszinierend, diese | |
seltsame Zerrissenheit der Figuren, die alle nicht wissen, wer und was sie | |
sind.“ | |
Sein „Schroffenstein“, der „mitunter die toxische Männlichkeit und immer | |
wieder die Identitätskrise des Menschen“ verhandelt, ist betont zeitlos, | |
universal verständlich, und dass das Setting ein bisschen an die | |
Fantasywelten der 1980er- und 1990er-Jahre erinnert, die Ästhetik stark an | |
Tarantino, ist dazu kein Widerspruch. | |
Wer einen jener Klassiker erwartet, die nicht nur nach dem Sinn des Lebens | |
fragen, sondern auch vorgeben, ihn zu finden, muss umdenken. Radikal. Auf | |
Nihilismus. Keine Figur, die nicht innerlich zerrissen ist. Und dass ein | |
Gedanke töten kann, ein Wille, die Missverständlichkeit von Sprache, das | |
sagt Foerster auch. | |
## Karriere mit vielen Stationen | |
Wer auflisten will, welche Stationen Foerster vor „Schroffenstein“ | |
durchlaufen hat, braucht Zeit. Das Maxim-Gorki-Theater Berlin und das | |
Theater Freiburg stünde auf dieser Liste, das Schauspiel Frankfurt und das | |
Schauspielhaus Graz. Stücke von Henrik Ibsen und Wilhelm Hauff hat er | |
inszeniert, von August Strindberg und Sarah Kane. | |
Für sein Stück „Tanzen! Tanzen!“ bekam Foerster den Nachwuchspreis des | |
Heidelberger Stückemarktes 2014. Und auch in Osnabrück ist er für | |
„Schroffenstein“ nicht zum ersten Mal: Beim „Spieltriebe“-Festival 2015… | |
er hier „Archiv der Erschöpfung“ von Sascha Hargesheimer inszeniert. | |
Und nach Osnabrück? Was würde Foerster gern mal inszenieren? Vielleicht | |
„Der Löwe im Winter“ von James Goldman. Oder was von Thomas Bernhard oder | |
Thomas Brasch. Aber erst mal ist Kleist dran. Nur wenige Tage noch. Nicht | |
mehr viel Zeit. Vor allem, wenn man so Regie führt wie er. | |
6 Apr 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Familie_Schroffenstein | |
[2] /!434024/ | |
[3] https://www.youtube.com/watch?v=4FZt-BbrWzA | |
[4] https://adk-bw.de/menschen/daniel-foerster/ | |
## AUTOREN | |
Harff-Peter Schönherr | |
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