# taz.de -- Kleist-Biografien: Unruhiges Dichterleben | |
> Passend zu Kleists 200. Todestag legen ein Germanist und ein Journalist | |
> Biografien vor, die in ihrer Herangehensweise unterschiedlicher nicht | |
> sein können. | |
Bild: Dichter Kleist gab immer wieder Rätsel auf und ließ auch engste Vertrau… | |
In Weimar thronten Goethe und Schiller, plötzlich aber waren da diese | |
jungen Wilden, die nach oben wollten. Hölderlin, der halb Europa zu Fuß | |
durchquerte und ab 1807 aus einem Tübinger Turm Signale sandte, von denen | |
man nicht weiß, ob sie Zeichen einer selbst gewählten Verrücktheit waren. | |
Und Heinrich von Kleist, dieser dunkle Stern, der im November 1811 mit | |
einer Berliner Beamtengattin in den Tod ging. Die zwei fuhren zum Kleinen | |
Wannsee, durchwachten die Nacht im Gasthaus, dann schoss Kleist seiner | |
Begleiterin ins Herz und sich in den Kopf. | |
Zurück blieben eine Pietà und die Erinnerung an ein unruhiges Dichterleben | |
in stürmischen Zeiten. Napoleon hatte gerade Europa unterjocht und Preußen | |
gedemütigt. Die Welt ordnete sich neu, und man tat gut daran, sich neu zu | |
sortieren. Kleist allerdings, der als junger Fähnrich im Potsdamer Regiment | |
Garde am Rheinfeldzug der Preußen teilgenommen hatte, war ein derart | |
unsortierter Zeitgenosse, dass man heute auf ein so kurzes wie vermeintlich | |
geheimnisvolles Leben zurückblickt. | |
Als er mit seinem Regiment vor Mainz lag und fasziniert das Bombardement | |
der von französischen Truppen besetzten Stadt verfolgte, war er gerade mal | |
14. Danach wollte er weder in der preußischen Armee noch in einem | |
Ministerium Karriere machen, sondern ganz enthusiastisch als | |
philosophierender Wissenschaftler reüssieren. Nach seiner Kant-Lektüre | |
gönnte er sich allerdings eine etwas halbgare Erkenntniskrise, ließ seine | |
Verlobte Wilhelmine von Zenge in Frankfurt an der Oder sitzen und legte am | |
Thuner See angeblich den Grundstein für ein bäuerliches Leben. | |
## Himmelhoch jauchzend | |
In der Alpenidylle schrieb er dann aber hauptsächlich an seinem | |
dramatischen Erstling "Die Familie Schroffenstein". Da war er 24, und man | |
kann ihn sich als himmelhoch jauchzenden und zu Tode betrübten jungen Mann | |
vorstellen. Im nächsten Moment wird er aber auch schmerzhaft gespürt haben, | |
was für ein zerrissener Mensch er war. | |
Hatte man direkt mit ihm zu tun, konnte man wohl große Probleme bekommen. | |
Aus der Distanz, als Briefeschreiber immer wieder an die ach so geliebte | |
Schwester und Geldgeberin Ulrike, war er plötzlich ausgesucht charmant. | |
Liest man seine Briefe, wohnt man vor allem aber der allmählichen | |
Verfertigung eines Dichters bei. Sie scheinen förmlich zu Rückschlüssen auf | |
Kleists Werk einzuladen, Aufschlüsse über sein Leben allerdings geben sie | |
nicht in dem Maße, wie die Forschung das gerne hätte. Nähert man sich einem | |
derart verhangenen Leben, stößt man immer wieder darauf, wie enthusiastisch | |
Kleist sich in Projekte stürzte und verkündete, jetzt, gerade jetzt sei er | |
auf dem Weg in den Olymp. Sofort aber gab er schon wieder Rätsel auf und | |
ließ auch engste Vertraute fassungslos zurück. | |
Im August 1800 zum Beispiel gönnte er sich zusammen mit Ludwig von Brockes | |
überraschend eine Reise nach Würzburg und sparte in Briefen an die Verlobte | |
nicht mit Andeutungen, es gehe um etwas Großes. Da sich aus Würzburg aber | |
nichts Bedeutendes vermelden lässt, neigt die Kleist-Forschung dazu, dieses | |
biografische Loch mit Spekulationen zu füllen. War Kleist etwa als | |
Wirtschaftsspion unterwegs, oder wollte er im Fränkischen endlich eine | |
Vorhautverengung loswerden? Plante er kurz vor seiner Kant-Krise doch noch | |
den Durchbruch als Wissenschaftler, oder versuchte er bereits etwas offener | |
eine homosexuelle Präferenz auszuleben, die sich vier Jahre später | |
manifestieren sollte, wenn er in einem Brief an seinen engen Freund Ernst | |
von Pfuel schreibt, er habe dessen schönen Leib oft, wenn er in Thun aus | |
dem See stieg, "mit wahrhaft mädchenhaften Gefühlen betrachtet". Und: "Mir | |
ist die ganze Gesetzgebung des Lykurgus, und sein Begriff von der Liebe der | |
Jünglinge, durch die Empfindung, die du mir geweckt hast, klar geworden." | |
Das sind so die Fragen, zu denen man sich als Kleist-Biograf verhalten kann | |
und die immer wieder neue Versuche der biografischen Annäherung nach sich | |
ziehen. Vor vier Jahren etwa legten die Germanisten Herbert Kraft und | |
Gerhard Schulz sowie der Feuilleton-Redakteur der SZ Jens Bisky drei | |
Biografien vor. Jetzt gibt es, passend zu Kleists 200. Todestag, zwei | |
weitere. Wieder liefern ein Germanist und ein Journalist Biografien, die in | |
ihrer Herangehensweise unterschiedlicher nicht sein können: Günter | |
Blamberger, der Kölner Literaturwissenschaftler und Präsident der | |
Heinrich-von-Kleist-Gesellschaft, der mit "Heinrich von Kleist. Biografie" | |
einen auf das Werk konzentrierten Rundgang versucht und großen Wert auf | |
interpretatorische Exkurse legt; das Werk ergründen will auch Peter | |
Michalzik, im Gegensatz zu Blamberger konzentriert sich der Theaterkritiker | |
und Redakteur der Frankfurter Rundschau aber auf knappe Einordnungen von | |
Kleists Theaterstücken und Erzählungen und bietet mit "kleist. dichter, | |
krieger, seelensucher" ganz neue, überraschende Einblicke. | |
## "Zuversichtliche Ehrfurcht" | |
Günter Blamberger fasst Kleist-Texte in Blöcken zusammen und gönnt sich für | |
einzelne bis zu zehn Seiten Exegese. Da kann sich der Leser schon mal wie | |
ein Dürstender in hermeneutischem Ödland vorkommen. Im Fall der | |
"Penthesilea" etwa wartet er mit einem Exkurs in die Rezeptionsgeschichte | |
auf und deutet das Trauerspiel literaturhistorisch als "Zeichen einer | |
gegenklassischen Wendung", als "ästhetischen Paradigmenwechsel". Kleist | |
habe "die zuversichtliche Ehrfurcht vor dem griechischen Olymp durch den | |
schaudernden Blick in den Abgrund des Orkus ersetzt und die von Idealisten | |
verdrängte Nachtseite des antiken Menschen in schonungsloser Offenheit | |
dargestellt". An anderer Stelle wiederum meint er mit Blick auf | |
stilistische Eigenheiten Kleists und ganz dem Jargon unserer Zeit | |
zugewandt: "Kleist hätte Formel-1-Rennen geliebt. Er versteht es, von null | |
auf hundert in zwei Sätzen zu beschleunigen." | |
Nicht nur hier ist der Eifer zu spüren, mit dem der Kölner Professor sich | |
als Anwalt seines Mandanten versteht. Peter Michalzik dagegen liefert eine | |
genaue Lektüre vor allem der Briefe Kleists und damit der Möglichkeit, ein | |
Dichterleben in seiner Komplexität und eingebettet in eine Zeit zu | |
begreifen, in die der "Amphitryon" wie ein Komet einschlug. Für die | |
Zeitgenossen, so Michalzik, muss das gewesen sein, als "käme das Stück aus | |
einer anderen Welt". Heftige Gegnerschaft sei vorprogrammiert gewesen. Der | |
Journalist und "Hansdampf des Literaturbetriebs" Karl August Böttiger etwa | |
habe um 1808 an die 20-mal mit einer gewissen böswilligen Akribie über | |
Kleist geschrieben. | |
Michalzik akzentuiert auch Kleists Werben um Goethe. Wie er dem | |
Dichterfürsten die "Penthesilea" darbrachte und auf den "Knien meines | |
Herzens" in einer Mischung aus Unterwürfigkeit und Überheblichkeit für sein | |
neues Werk warb. Kleist, so der Eindruck, war immer auch einer, der das | |
Wechselspiel von Bewunderung und Ablehnung seiner Person mit provozierte. | |
Das gilt wohl schon für die Zeit, als Kleist am Rheinfeldzug der Preußen | |
teilnahm. Vertieft Michalzik sich in dieses zweijährige "Abenteuer", wird | |
er zum Archäologen und Historiker und rekonstruiert, wie der junge Kleist | |
mit seinem Regiment das Rheinland, die Kurpfalz und die Pfälzer Berge | |
durchstreifte. | |
## "Aufs theuerste bezahlen" | |
Das Ergebnis ist ein Bewegungsprofil, das zum ersten Mal Aufschluss darüber | |
gibt, wie es dem Jüngling als Soldat ergangen sein könnte. Hilfreich ist | |
der einzige überlieferte Brief an die Tante Auguste Helene Massow vom März | |
1793. Da geht es Kleist wie auch später immer wieder ums Geld und dass er | |
alles "aufs theuerste bezahlen" müsse. Und er übt sich schon mal als | |
Haudrauf: "Gott sey Danck, daß es nicht mehr lange dauern wird, denn wir | |
marschiren Donnerstag oder Freytag ganz gewiss (…) Die Franzosen oder | |
vielmehr das Räubergesindel wird jetzt aller wärts geklopft." | |
In dieser Zeit wirkt Kleist noch leutselig. Später werden seine ruhelosen | |
Reisebewegungen aber zunehmend Mittel zum Zweck, eine Distanz herzustellen, | |
die es ihm erlaubt, den Dichter in sich zu testen. Zunehmend sichtbar wird | |
allerdings auch der Spieler Kleist, der mit hohen Einsätzen jonglierte und | |
sich, bei aller Zerrissenheit, dann doch als Regisseur des eigenen Lebens | |
verstand. Nicht umsonst lieferte er sich als Herausgeber, Redakteur und | |
hauptsächlicher Autor der Berliner Abendblätter einen erbitterten | |
Kleinkrieg mit August Wilhelm Iffland, dem Direktor des Nationaltheaters am | |
Gendarmenmarkt. | |
Zu diesem Zeitpunkt hatte Kleist es eigentlich geschafft. Dass er | |
integriert gewesen wäre in den Kreis von Intellektuellen, Literaten und | |
schöngeistigen Staatsbeamten, die Berlin bevölkerten, kann man nicht sagen, | |
tonangebend war er auf jeden Fall. Je mehr er allerdings seinen Privatkrieg | |
mit Iffland forcierte und darauf bestand, das mit dem Theater alles viel | |
besser machen zu können, desto aussichtsloser manövrierte er sich ins | |
Abseits. | |
Irgendwann sieht er keinen anderen Weg mehr als den, den er mit Henriette | |
Vogel beschreiten wird. Er sucht im Tod noch einmal die große Bühne und | |
präsentiert sein finales Arrangement gemäß einem Bild, das er laut Peter | |
Michalzik wohl während seiner Kriegsgefangenschaft in Frankreich gesehen | |
hat: Simon Vouets "Sterbende heilige Magdalena" in der Kirche von | |
Chalons-sur-Marne. Dann fallen zwei Schüsse. Was bleibt, ist der | |
Obduktionsbericht: Die Leber sei "widernatürlich groß" gewesen, steht da, | |
die Substanz des Gehirns des Heinrich von Kleist dagegen "viel fester wie | |
gewöhnlich". Und in der Substantia medulari habe sich "ein unförmliches | |
Stückchen Bley 3/4 Loth an Gewicht" gefunden. | |
17 Aug 2011 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Berger | |
## TAGS | |
Heinrich von Kleist | |
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