# taz.de -- Kleists „Amphitryon“ in Hamburg: Gott als Erdenkloß | |
> Leander Haußmann gelingt am Thalia-Theater ein ebenso lustiger wie | |
> vielschichtiger Abend. Nicht mal die Kleist’schen Frauenrollen fallen in | |
> den Objektstatus zurück. | |
Bild: Spielen überwältigend clever: Marina Galic (l.) und Jens Harzer | |
Hamburg taz | Wer sich nachts beim Schleichen durch den Palastgarten selbst | |
über den Weg läuft, der soll sich dann wohl erschrecken. Wem aber vis-à-vis | |
mit dem Doppelgänger noch Zweifel aufkommen, ob man am Ende nicht | |
vielleicht doch selbst der Fake ist: Der hat entweder ein doch ein | |
ernsteres psychisches Problem, oder es ist Zauberei im Spiel. | |
Für [1][Kleists „Amphitryon“] gilt beides: Die Ich-Frage ist ja nicht erst | |
heute eine große und dass dann auch noch die leibhaftigen Götter drin | |
herumpfuschen, macht das alles zwar ein bisschen lustig, aber auch ganz | |
schön bitter. Es ist jedenfalls eine verfahrene Kiste, die Leander Haußmann | |
zum Saisonende auf die Bühne des Thalia-Theaters bringt: mythenschwer, von | |
existenzieller Wucht und – das gleich vorweg – mit einer wirklich | |
herausragenden Besetzung. | |
Soweit Kleist nach Molière: Feldherr Amphitryon hat seine Schlacht gewonnen | |
und schickt Diener Sosias vor nach Theben, wo ihre Frauen warten. Anbei hat | |
er die gute Nachricht und funkelnde Kriegsbeute fürs Dekolleté der Herrin | |
Alkmene. An der familiären Heimatfront mischen sich die Götter ein: | |
Jupiter, der in Gestalt Amphitryons die Ehefrau verführt, während Merkur im | |
Sosias-Kostüm Schmiere steht und sich nebenbei noch folgenschwer mit dessen | |
Liebster herumstreitet. | |
Es folgen Verwirrung und existenzielle Krisen, am Ende bleibt es offen und | |
das Stück schließt mit Alkmenes berühmtem „Ach!“, das wie das Leben alles | |
heißen kann – oder eben nichts. | |
## Ohne Heiteitei inszeniert | |
Haußmann inszeniert den Stoff aufgeräumt und ohne jedes Heititei. Selbst | |
der Clou, die göttlichen Doppelgänger nicht eigens zu besetzen, sondern sie | |
von Amphitryon (Jens Harzer) und Sosias (Sebastian Zimmler) en passant | |
mitspielen zu lassen, ist ja im Grunde naheliegend. | |
Mitunter ist das komisch, gar Klamauk, wenn Zimmler sich etwa formvollendet | |
selbst verkloppt und über die Bühne schleift – oder sich auch in Worten | |
herrlich herablassend selber quält. Schwerer trumpft noch Harzer auf, | |
[2][der wieder einmal zeigt, was er kann], wenn er vom Gott in den | |
Erdenkloß fährt und wieder zurück. | |
Das anzuschauen – und dem Sprachkünstler zuzuhören – ist eine wahre Freud… | |
Wie Harzers Amphitryon in der tiefsten Krise Größe wahrt, mit Mantel, | |
Zottelhaar und dubiosem Bärtchen noch Erhabenheit vorführt. Harzer | |
präsentiert hier eine Idee von Mensch, der mit dem irdischen Gehusche | |
(Kriege und so) mühelos zurechtkommt, den selbst der große Gott Jupiter | |
erst straucheln lässt, als er Amphitryon mit Amphitryon konfrontiert. | |
## Mensch rein, Gott raus | |
Dass einem dieses lange vor geschlossenen Vorhang ablaufende Spiel so | |
überwältigend clever vorkommt, liegt daran, wie präzise Haußmanns Regie | |
ihre zahlenmäßig überschaubaren Zutaten dosiert und sich Platz schafft für | |
die großen Fragen. Der Ehebruch ist übrigens nicht die große Katastrophe, | |
schlimmer sind die Selbstzweifel. | |
Der Preis ist eine oberflächliche Ignoranz gegenüber den Frauenrollen, was | |
aber interessanterweise dazu führt, dass Alkmene ([3][Marina Galic]) gerade | |
nicht in den bloßen Objektstatus zurückfällt. Ganz ohne Wollust, Hysterie | |
und was dieser Kleisttext im Subtext noch so an Gemeinheiten für blödere | |
Inszenierungen vorrätig hat. Stattdessen ist Galic als Alkmene | |
selbstbewusst, entschieden und ausdrucksstark – nur eben über weite | |
Strecken eher am Rande des Spotlights zu finden. | |
Nicht um bürgerlich-vermählte Moral, sondern um eine größere Sache geht’s | |
also. Um was genau, ist dann die spannende Frage, deren Facetten Harzer und | |
Galic traumwandlerisch auch entlang der subtilsten Verschiebungen | |
durchexerzieren, während in der Dienerschaft Charis (Antonia Bill) und | |
Sosias ein handgreiflicheres Pendant abliefern. | |
Die Inszenierung ist bei aller Tragik wirklich lustig, keine Sekunde doof – | |
und insgesamt auch an ihren Rändern erheblich vielschichtiger, als es das | |
fokussierte Setting zunächst andeutet. Das nach einer Dreiviertelstunde | |
endlich enthüllte Bühnenbild zeigt etwa eine Drehwand mit Leuchtschrift auf | |
der einen und diversen Türen auf der anderen Seite. Da geht mal wo ein | |
Mensch rein und woanders kommt dafür ein Gott heraus. | |
Der Witz ist aber, dass wir bei allem Tür auf, Tür zu ja doch auch sehen, | |
was dahinter liegt. Nichts nämlich, die Probleme gibt es nur Kopf. Was sie | |
freilich kein Stück besser macht. | |
18 May 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://gutenberg.spiegel.de/buch/amphitryon-588/ | |
[2] https://www.ndr.de/kultur/Portraet-des-Iffland-Ring-Traegers-Jens-Harzer,if… | |
[3] https://www.thalia-theater.de/ueber-uns/ensemble/darsteller/marina-galic | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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