# taz.de -- Essay Rückkehr von Wölfen: Keine Panik im Wald | |
> Wölfe passen sich allen Widrigkeiten der modernen Landschaft an. Sie sind | |
> nicht das Problem, ihre politische Instrumentalisierung schon. | |
Bild: Stört die Profitorientierung einiger professioneller TierhalterInnen und… | |
Nicht in der Wildnis, sondern mitten im industrialisierten, mit Maisäckern | |
und Rapsfeldern betonierten Deutschland, fühlen sich Wölfe pudelwohl. Sie | |
sind selbstständig eingewandert und passen sich an die widrigsten | |
Bedingungen der Wirtschaftslandschaft des 21. Jahrhunderts an – ein Wunder | |
der Natur. | |
In ihrem Hauptverbreitungsgebiet von der sächsischen Lausitz über | |
Brandenburg bis Niedersachsen finden sie Landschaft, keine Natur, und | |
allenfalls Relikte von natürlichen Ökotopen. Menschen rodeten im 20. | |
Jahrhundert die letzten Wälder und pflanzten Kiefern und Fichten in | |
Monokulturen. Wo Wiesenblumen blühten, stehen Logistikzentren. Autobahnen | |
und Schienentrassen zerschneiden die Landschaft, begleitet vom | |
gleichmäßigen Schlagen die Windräder. | |
BewohnerInnen dieser ökologisch verarmten Landschaften und die | |
naturentwöhnten StädterInnen, die am Wochenende zu Besuch kommen, halten | |
diese Wirtschaftsräume in Grün für Natur. Für ihre Natur. Sie haben sich an | |
den Anblick von Kiefern und Maisstängeln gewöhnt, freuen sich über den gelb | |
blühenden Raps im Nebel der Neonicotinoide. | |
Kollektiv haben wir uns die Natur angeeignet, sie entfremdet, | |
industrialisiert, Schweine, Hühner, Rinder in Mastanlagen versklavt und | |
merken erst, wenn die Insekten nicht mehr an der Windschutzscheibe kleben, | |
dass was fehlt. Die Denaturierung hat nichts mit dem angeblich biblischen | |
Auftrag zu tun, uns die Erde untertan zu machen. Systematische Zerstörung | |
des Lebens kann nicht gottgewollt sein. | |
## Die Neuen im Wald | |
In dieses Wirtschafts- und Lebenskonzept trabt der Wolf. Er zwingt Bauern, | |
Jäger, Förster, Landbewohner im frischen Eigenheim dazu, sich mit der | |
effizient genutzten Landschaft zu beschäftigen. | |
Der Wolf bringt Bewegung in den Kopf. Doch die Neuen im Wald überfordern | |
offensichtlich jede Menge Leute. Diese projizieren das Bedrohliche, | |
Unverständliche, die Furcht in ihrem Leben auf den Wolf und fühlen sich | |
auch noch durch die Geschichten der Brüder Grimm bestätigt. Die Mythen und | |
Märchen meinten jedoch seit je den Wolf im Inneren, erzählten vom Dunklen, | |
Gefährlichen im Unbewussten, das mal der Wolf symbolisiert und mal der | |
Drache. Symbolisch müssen die HeldInnen ihnen die Köpfe abschlagen – nicht | |
im wirklichen Leben. | |
Wölfe in natura regen nun bei einigen dieselben Abwehrreflexe aus, die sie | |
auch dazu bringen, den Klimawandel für von linksökologischer Seite | |
übertrieben zu halten und das Insektensterben erst wissenschaftlich | |
untersuchen lassen zu wollen, bevor sie handeln. Im Kern geht es immer um | |
dasselbe: alles lassen, wie es ist, Wirtschafts- und Lebensweise nicht | |
verändern und für die Folgen keine Verantwortung übernehmen. | |
[1][Quer durch die Parteien], von CDU über SPD bis FDP und AfD, fordern | |
PolitikerInnen „eine Obergrenze für Wölfe“ und „wolfsfreie Zonen“. Sie | |
wollen den Wolf ins Jagdrecht bringen, „Schutzjagden“ veranstalten, Wölfe | |
in ausgewiesenen Naturreservaten halten. In den ländlichen Regionen dröhnen | |
vor allem männliche Bewohner, Jäger und Landwirte gegen den Wolf. Sie | |
versammeln sich in Brandenburg zu parteiübergreifenden Wolfsmahnwachen an | |
nächtlichen Feuern, die in ihrer Pegidahaftigkeit an Ku-Klux-Klan-Rituale | |
mit brennenden Fackeln und Kreuzen erinnern.Die AfD ist ganz vorne dabei, | |
den Unmut in Populismus zu gießen. Sie profitiert von der irrationalen | |
Angst, die der Wolf erzeugt, denn irrationale Angst ist schließlich auch | |
das Geschäftsmodell ihrer Politik. | |
## Unwissenschaftlich und rechtsfern | |
Erschreckend ist, dass auch Bundestagsabgeordnete und | |
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner die unwissenschaftlichen und | |
rechtsfernen Forderungen verbreiten, Wölfe zu jagen. Vor den Landtagswahlen | |
im Osten befördern sie die angstgetriebenen Ideen von Teilen der | |
Landbevölkerung zur Bundespolitik, lenken von den politischen Versäumnissen | |
in der Sozial-, Bildungs-, Wirtschaftspolitik auf dem Land ab und | |
suggerieren nun, die sich verändernde Welt aufhalten zu können, indem sie | |
Wölfe zum Abschuss freigeben. | |
Die politischen und wirtschaftlichen Nutznießer der Anti-Wolf-Stimmung auf | |
dem Land haben keine Angst vor dem Wolf, schüren aber mit immer neuen | |
Geschichten die Angst bei denen, die sich verunsichern lassen. Nirgends | |
wird so viel gelogen wie im Wald. Jäger erzählen vom Fläming bis zum | |
Wendland Storys, wie sie angeblich dem Wolf begegneten: Mit offenem Maul | |
sei der auf sie zugerast, habe sie am Bein gestreift, nur der Schuss aus | |
dem Revolver in die Erde habe das Tier vertrieben. | |
Über WhatsApp-Gruppen und soziale Netzwerke verbreiten sich die | |
Wolfsgeschichten und scheinen denen wahrhaftig, die glauben wollen. Die | |
Lügen und daraus abgeleiteten postfaktischen Forderungen entstammen den | |
Hirnregionen, in denen die Angst regiert, die Angst vor Neuerungen und | |
Veränderungen, die Angst, wirtschaftlich zu verlieren und nicht mehr Herr | |
im angeeigneten Naturraum zu sein. | |
Wo Wölfe neu hinkommen, regen sich die Menschen besonders auf. Sie fürchten | |
sich, allein in den Wald zu gehen, Eltern haben Angst um ihre Kinder, wenn | |
ein Wolf in der Dämmerung am Waldkindergarten gesehen wurde. Das ist | |
schade, denn es bedeutet zunächst nur, dass ein Wolf durch den Kindergarten | |
lief, so wie auch mal Wildschweine oder Hasen durchkommen. Gefahr besteht | |
deswegen nicht. Und allein im Wald spielen Kinder schon lange nicht mehr, | |
was sich ja in der Naturentfremdung der Eltern und der Großeltern zeigt. | |
Die Erfahrung mit Wölfen in Deutschland lehrt, dass die Aufregung auch | |
wieder nachlässt und Menschen lernen, mit Wölfen in der Landschaft zu | |
leben. Daran zeigt sich die Aufgabe der politisch Verantwortlichen im Bund | |
und in den Ländern: mit wissenschaftlichen Argumenten aufklären und darauf | |
setzen, dass die Menschen mit eigener Erfahrung lernen, dass Wölfe in der | |
Nachbarschaft keine Gefahr für sie bedeuten. | |
## Gestörte Profitorientierung | |
Wölfe erfordern ein anderes Management in der Landwirtschaft, sie fordern | |
von TierhalterInnen eine bessere Planung, Organisation und ein sauberes | |
Arbeiten mit neuartigen Zäunen. Wölfe machen Arbeit und kosten Geld, sie | |
stören die Profitorientierung einiger professioneller TierhalterInnen und | |
JägerInnen. | |
Eine Obergrenze ist biologisch Blödsinn und rechtlich Quatsch, was all die | |
politisch arbeitenden WolfsgegnerInnen von Landwirtschaftsministein Julia | |
Klöckner bis SPD-Ministerpräsident Woidkte in Brandenburg wissen. Laut der | |
europäischen FFH-Richtlinie ist Deutschland gesetzlich verpflichtet, | |
einen guten Erhaltungszustand der geschützten Art Wolf zu erreichen. Das | |
ist in absehbarer Zeit nicht der Fall. | |
Im Übrigen ist fast ganz Deutschland auch 20 Jahre nach der ersten | |
Einwanderung eines Wolfs wolffreie Zone, denn 73 Rudel und 30 Wolfspaare | |
bedeuten keine flächendeckende Besiedlung. WolfsgegnerInnen von FDP und der | |
AfD rechnen diese Zahlen gern hoch und behaupten, dass sich die Zahl der | |
Wölfe alle drei Jahre verdoppeln würde. In wenigen Jahren würden dann | |
Tausende Wölfe in Deutschland leben. Das ist biologisch falsch. Fakt ist, | |
dass erwachsene Wölfe in stabilen Beziehungen und klaren Familienstrukturen | |
leben – eben im Rudel. Die Rudel bestehen aus Eltern, Welpen und Nachkommen | |
aus dem Vorjahr. Regelmäßig wandern Jungwölfe ab, suchen einen Partner und | |
gründen ein Rudel, wenn sie ein ausreichend großes Territorium von 150 bis | |
250 Quadratkilometern finden. | |
Wölfe stören sich nicht am Lärm und auch nicht an der ökologischen | |
Verarmung im Forst. Sie jagen und fressen die Gewinner der | |
landwirtschaftlichen Monokulturen – Rehe, Wildschweine, Damhirsche. Wölfe | |
leben zwischen Panzern auf Truppenübungsplätzen und neben dem Tagebaubagger | |
in der Lausitz und schaffen es manchmal, sechsspurige Autobahnen lebend zu | |
überqueren, wie mit Sendern versehene Wölfe auf ihren Wanderungen quer | |
durchs Land zeigen. | |
Und, ja, sie reißen auch Schafe. Sie fressen manchmal ein tot geborenes | |
Kalb auf der Weide, und vielleicht beißen sie schon zu, wenn das | |
lebensunfähige Tier noch zuckt. Deutschland ist reich genug, | |
TierhalterInnen zu entschädigen, deren Schafe und Rinder vom Wolf gerissen | |
wurden. Dank industrieller Ausbeutung der natürlichen Ressourcen zu Wasser, | |
zu Lande und in der Luft hat dieses Land auch genug Geld, Zäune gegen Wölfe | |
zu bezahlen. Landwirte können ihre Schafe, Rinder, Damhirsche professionell | |
mit Bodenschutz in Freigehegen, Elektrolitzen, Herdenschutzhunden schützen. | |
Für Tausende Hobbytierhalter mit sieben Ziegen oder acht Galloway-Rindern | |
auf der Weide lohnt sich der Aufwand mit Elektrozaun nicht. Da geht nur | |
eins: Die Tiere kommen nachts in den Stall und stehen nicht wie abholbereit | |
für den Wolf auf der Wiese. Wenn die Hobbyschäfer und Liebhaber alter | |
Hausrindrassen ihre Tiere unbedingt draußen allein lassen wollen, dann | |
brauchen sie eben auch in Deutschland Herdenschutzhunde. Im größten | |
Wolfsgebiet Westeuropas, im Nordwesten Spaniens, leben Kühe und Kälber | |
monatelang allein mit Hunden auf den abgelegenen Weiden. Sin problema, wie | |
die Bauern sagen. | |
Wölfe sind kein Problem, sondern Ansichtssache. Und eine Frage des | |
Managements in einer profitorientierten Landwirtschaft. | |
1 Apr 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Fokken | |
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