| # taz.de -- Rot-rot-grüne Landesregierung Berlin: Warten auf Betriebstemperatur | |
| > Wie sieht die Halbzeitbilanz aus in einer Stadt, die viele in Deutschland | |
| > inzwischen für gescheitert halten? Ein Blick ins Innenleben der Berliner | |
| > Verwaltung. | |
| Bild: Berlin vom Flugzeug aus: Weit genug weg, um noch als Sehnsuchtsort gelten… | |
| Und plötzlich endet der Radweg im Nichts. Wer vom Hackeschen Markt in | |
| Berlin-Mitte Richtung Prenzlauer Berg radelt, muss hinter dem Rosenthaler | |
| Platz das Fahrrad auf dem Gehweg durch Touristenmassen balancieren – um | |
| hinterher auf der Straße mit ihren Straßenbahnschienen zu landen. Würde | |
| Boris Palmer, der pingelige Oberbürgermeister im schwäbischen Tübingen, | |
| hier vorbeiradeln, hätte er einen neuen Beleg für [1][seine gar nicht so | |
| neue These über Berlin]: „Achtung, Sie verlassen den funktionierenden Teil | |
| Deutschlands.“ | |
| Heinrich Strößenreuther, 51 Jahre alt, hochgewachsen, schwarzer Anzug, | |
| kennt die Problemkreuzung. Strößenreuther ist Unternehmensberater und | |
| Verkehrsexperte, vor allem aber ist er das Gesicht des „Volksentscheids | |
| Fahrrad“ in Berlin. 2017 gelang es den Radaktivisten, in kürzester Zeit | |
| mehr als 100.000 Unterschriften zu sammeln. Die rot-rot-grüne | |
| Landesregierung, hervorgegangen aus den Wahlen zum Abgeordnetenhaus am 18. | |
| September 2016, übernahm daraufhin die Forderungen der Radfahrerlobby und | |
| verabschiedete 2018 ein Mobilitätsgesetz, das Berlin zum Fahrrad-Mekka | |
| machen soll. Doch die Kreuzung am Rosenthaler Platz ist noch immer nicht | |
| entschärft. Entsprechend ernüchtert fällt die Halbzeitbilanz von | |
| Rot-Rot-Grün für Heinrich Strößenreuther aus: „Der Senat hat sich erst | |
| gefeiert und dann so gut wie nichts hingekriegt.“ | |
| Vielleicht muss man mit einer Kreuzung wie der in Berlin-Mitte anfangen, um | |
| von einer Koalition zu erzählen, die das Rad zwar nicht neu erfinden, aber | |
| es wenigstens wieder zum Rollen bringen wollte. Die [2][Schulen endlich | |
| sanieren], [3][bezahlbare Wohnungen] bauen, Berlin zur ökologischen | |
| Vorzeigestadt machen will. Die Schluss machen wollte mit dem Sparkurs unter | |
| dem langjährigen Regierungschef Klaus Wowereit und stattdessen ein | |
| „Jahrzehnt der Investitionen“ ankündigte. Der am 8. Dezember 2016 vom | |
| Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), Kultursenator Klaus Lederer | |
| (Linke) und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) unterzeichnete | |
| Koalitionsvertrag, das attestierten auch zahlreiche NGOs, sei einer der | |
| besten, den Berlin je hatte. | |
| Entsprechend hoch sind die Erwartungen. Ein Radweg, der irgendwo auf einem | |
| belebten Gehweg ins Nichts führt, wäre unter der rot-schwarzen | |
| Vorgängerregierung schulterzuckend zur Kenntnis genommen worden. Nun ist er | |
| für Radaktivisten wie Heinrich Strößenreuther ein Symbol nicht eingelöster | |
| Versprechen. | |
| ## Rechenraum der deutschen Hauptstadt | |
| Wie aber sieht es dort aus, wo nicht Erwartungen und Emotionen herrschen, | |
| sondern Akten mitgezeichnet und weitergeleitet werden? Wo 118.000 | |
| Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im öffentlichen Dienst das alltägliche | |
| Leben der 3,7 Millionen Berlinerinnen und Berliner verwalten? Besuchen wir | |
| also den Rechenraum der deutschen Hauptstadt, in dem sich am Ende erweisen | |
| wird, ob der rot-rot-grüne Koalitionsvertrag mehr wert ist als die 190 | |
| Seiten Papier, auf denen er gedruckt ist. | |
| Sören Benn hat sein Büro im ersten Stock des Rathauses in der Breiten | |
| Straße in Berlin-Pankow. Der 50-jährige Linken-Politiker ist | |
| Bezirksbürgermeister des am schnellsten wachsenden Bezirks der Hauptstadt. | |
| Über 400.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt der Großbezirk, zu dem auch | |
| der einst hippe, aber inzwischen in die Jahre gekommene Prenzlauer Berg | |
| gehört. Wäre Pankow kein Berliner Verwaltungsbezirk, sondern eine | |
| Großstadt, läge sie bei Nummer 16 in Deutschland, hinter Duisburg und noch | |
| vor Bochum. | |
| „Es ist schwierig, den Hebel umzulegen“, sagt Benn. Stellen gibt es genug, | |
| im öffentlichen Dienst wird wieder eingestellt, auch in Pankow. „Wir haben | |
| derzeit 2.200 Stellen, von denen aber 175 nicht besetzt sind.“ Um zu | |
| erklären, warum eine Stellenbesetzung in Pankow im Schnitt vier Monate | |
| dauert, muss Benn etwas ausholen. Ein Grund sei, dass sowohl der | |
| Personalrat als auch die Gleichstellungs- und Behindertenbeauftragten einer | |
| Neubesetzung zustimmen müssen. „Da geht die Vorlage an den Ersten, und zwei | |
| Wochen später an den Nächsten, bis alle irgendwann zugestimmt haben.“ Benn | |
| schlägt dagegen ein „Sternmodell“ vor, bei dem alle gleichzeitig prüfen | |
| sollen. Statt nach sechs oder acht Wochen wäre eine Stellenbesetzung dann | |
| nach zwei Wochen durch die Gremien. | |
| ## Das liebe Geld | |
| Hört sich einfach an, ist es aber nicht. „Wir haben jahrelang gespart, und | |
| nun sollen wir wieder einstellen. Aber dafür haben wir keine routinierten | |
| Abläufe mehr, keine Leute, die eine Stellenbewertung vornehmen“, sagt Sören | |
| Benn. | |
| Es klingt nicht wie eine Klage, eher wie eine erklärende Feststellung. Und | |
| Erklärungen dafür, warum in Berlin alles länger braucht, gibt es viele. Zum | |
| Beispiel: das liebe Geld. Wer in einem der zwölf Bezirke der Hauptstadt | |
| anheuert, verdient oft weniger als in einer Senatsverwaltung, von einer | |
| Bundesbehörde ganz zu schweigen. | |
| Daran wird auch der neue Tarifvertrag wenig ändern, den die Gewerkschaft | |
| Verdi und die Länder Anfang März abgeschlossen haben. 8 Prozent mehr gibt | |
| es für den öffentlichen Dienst, verteilt auf drei Jahre. Doch das | |
| Lohngefälle zwischen Berlin und Bayern, zwischen Bezirken und | |
| Senatsverwaltungen bleibt. „Hinzu kommt“, sagt Sören Benn, „dass auch die | |
| Privatwirtschaft wieder einstellt, da können wir oft nicht mithalten.“ | |
| Personalengpässe wird es also weiter geben, trotz der neuen Stellen. | |
| Immerhin hat sich die [4][Lage in den Bürgerämtern entspannt]. 2016 noch | |
| gab es freie Onlinetermine frühestens 60 Tage nach dem Aufruf der | |
| Bürgeramtsseite. Den Ausweis zu verlängern dauerte also fast genauso lange | |
| wie die Wartezeit auf einen Termin beim Facharzt. Und manchmal flatterte | |
| denen, die die Verlängerung verpassten, die Androhung eines | |
| Ordnungswidrigkeitsverfahrens ins Haus. | |
| Am Anfang von Rot-Rot-Grün stand deshalb ein Versprechen. In der taz | |
| kündigte Finanzsenator Matthias Kollatz im Dezember 2016 an, dass künftig | |
| keiner länger als zwei Wochen auf einen Termin im Bürgeramt warten müsse. | |
| Dieses Ziel ist mittlerweile erreicht, bestätigt Pankows Bürgermeister | |
| Sören Benn. Tatsächlich gibt es manchmal sogar freie Termine noch am selben | |
| Tag. Aber bei den Standesämtern seien die Wartezeiten immer noch sehr lang. | |
| „Die Standesbeamten wachsen nicht auf den Bäumen“, sagt Benn. „Es gibt in | |
| Deutschland nur eine Stelle, die Standesbeamte ausbildet.“ Soll heißen, | |
| nicht jedes Warten auf Termine in den Ämtern ist ein Berliner Problem. | |
| Und dann erzählt der Pankower Rathauschef noch eine Anekdote, die sich | |
| anhört wie ein Schildbürgerstreich im 21. Jahrhundert. „Wir müssen unsere | |
| Betriebssysteme in diesem Jahr auf Windows 10 umstellen. Ob das klappt, | |
| kann ich aber nicht sagen.“ Nicht das Geld ist der Grund, sondern ein | |
| Einwand des Personalrats. Der nämlich will prüfen, ob ein neues | |
| Betriebssystem nur ein Update ist, oder ob es wegen der Veränderungen im | |
| Arbeitsablauf eine neue Betriebsvereinbarung braucht. „Berlin ist ein | |
| Tanker“, sagt Benn. | |
| Inzwischen sitzt Sören Benn in einer von drei Arbeitsgruppen, die in Berlin | |
| die Umsetzung der Empfehlungen der sogenannten Alt-Kommission berät. Der | |
| ehemalige Vorstand der Arbeitsagentur, Heinrich Alt, hatte neun Monate lang | |
| eine Gruppe von zwölf Experten um sich geschart und im Juni 2018 einen | |
| 100-seitigen Bericht zur „Verbesserung der gesamtstädtischen | |
| Verwaltungssteuerung“ vorgelegt. Dieser Bericht hatte es in sich. | |
| ## Sehnsuchtsort Berlin | |
| „Glaubt man auch der internationalen Presse, ist Berlin zum Sehnsuchtsort | |
| für Menschen aus aller Welt geworden“, heißt es in Alts Abschlussbericht. | |
| „Dieser Strahlkraft einer wachsenden Metropole muss auch die Verwaltung | |
| Berlins gerecht werden.“ Und: „Bürgerinnen und Bürger sowie die hiesigen | |
| Unternehmen erwarten zu Recht kompetente und leistungsstarke Behörden mit | |
| einer hohen Kundenorientierung. Diesen berechtigten Erwartungen kommt die | |
| Berliner Verwaltung in Teilbereichen nur bedingt nach.“ | |
| Zwar hatte die Kommission den Auftrag, die Zweistufigkeit der Berliner | |
| Verwaltung – also das Nebeneinander von Landes- und Bezirksbehörden – nicht | |
| anzutasten. Aber auch ohne die Abschaffung der Bezirke gibt es reichlich | |
| Luft nach oben. So schlugen die Expertinnen und Experten vor, die Berliner | |
| Verwaltung „deutlich attraktiver“ zu machen. Mehr Geld, schnellere | |
| Besetzung von Stellen, bessere Karrierechancen sind die Stichworte. Darüber | |
| hinaus sollen Genehmigungen schneller erteilt werden, was vor allem den | |
| Wohnungsbau oder den Bau neuer Schulen und Radwege voranbringen würde. Und | |
| auch die Chancen der Digitalisierung müssten genutzt werden. | |
| Sören Benn weiß, dass das alles nicht von heute auf morgen geht, auch | |
| deshalb ärgert er sich über manch schnelles Urteil, das über Berlin gefällt | |
| wird. Die Empfehlungen der Alt-Kommission begrüßt er aber, auch deshalb | |
| macht er nun mit bei der Umsetzung in die alltägliche Praxis. Als | |
| Bürgermeister hat er aber auch noch ein paar andere Punkte, die er wichtig | |
| findet. „Wir brauchen dringend eine Führungskräfteakademie. Nicht jede | |
| gute Fachkraft ist nämlich auch eine gute Führungskraft.“ Ein besseres | |
| Arbeitsklima, das ist ein offenes Geheimnis in den Berliner Amtsstuben, | |
| würde auch den Krankenstand verringern. In Pankow waren 2017 im Schnitt | |
| 12,2 Prozent der Beschäftigten krankgeschrieben. Das ist doppelt so viel | |
| wie der Krankenstand aller Berliner Beschäftigten. | |
| Vielleicht wird sich aber dank der Demografie bald vieles verbessern. | |
| Alleine in Pankow sind fast zwei Drittel der Beschäftigten im öffentlichen | |
| Dienst über 50 Jahre alt. In ganz Berlin scheiden bis 2021 rund 27.000 | |
| Beschäftigte altersbedingt aus. Wenn die Berliner Verwaltung bis dahin | |
| moderner ist, mobiles Arbeiten zum Alltag gehört und eine bessere Bezahlung | |
| auch, hätten nicht nur die Berlinerinnen und Berliner, sondern auch der | |
| Schwabe Boris Palmer weniger Grund zum Granteln. | |
| Wäre Sabine Smentek etwas jünger, würde sie als Berliner Göre durchgehen. | |
| Inzwischen aber ist die ehemalige Unternehmensberaterin, Gründerin des | |
| Frauengewerbehofs „Weiberwirtschaft“ und Stadträtin von Berlin-Mitte, 58 | |
| Jahre alt und hat einen Job, um den sie die wenigsten beneiden. Seit | |
| Rot-Rot-Grün Berlin regiert, ist Smentek Staatssekretärin für Informations- | |
| und Kommunikationstechnik. | |
| Ein Nerd ist sie freilich nicht geworden, die „Göre“ hat sich Herz und | |
| Schnauze bewahrt. Ein Berliner Urgestein, das die Berliner Verwaltung, auch | |
| so ein Urgestein, ins Zeitalter der Digitalisierung führen soll. | |
| „Meine persönliche Halbzeitbilanz ist genau so, wie ich gehofft und | |
| befürchtet hatte“, sagt die Sozialdemokratin, die ihr Büro beim Berliner | |
| Innensenator hat. „Ich habe gehofft, dass wir den politischen Willen haben, | |
| in die Verwaltung zu investieren und sie auf den Stand des 21. Jahrhunderts | |
| zu bringen.“ Dass der politische Wille, sprich das Geld, da ist, ist | |
| gewissermaßen die gute Nachricht. Und die weniger gute? „Ich habe | |
| befürchtet, dass es nicht schnell genug geht. Auch das ist eingetreten.“ | |
| Gerade deshalb kann Smentek auch jene verstehen, die immer wieder beklagen, | |
| was in Berlin nicht funktioniert. „Wir tragen die Bürde, dass in Berlin | |
| viel zu lange gespart wurde und bei den Bürgern viel Vertrauen verloren | |
| gegangen ist. Wir müssen uns nun kräftig nach der Decke strecken, um dieses | |
| Vertrauen zurückzugewinnen.“ Für eine „Failed Stadt“, wie das | |
| Nachrichtenmagazin Spiegel einmal ätzte, hält sie Berlin dennoch nicht. | |
| „Wir dürfen nicht nur auf das schauen, was nicht klappt, sondern auch auf | |
| das, was funktioniert.“ Sie selbst, sagt Smentek, habe in ihrer bisherigen | |
| Amtszeit „zwei Warteschlangen weggeräumt“. Die in den Bürgerämtern und d… | |
| in den KfZ-Zulassungsstellen. „Wenn Sie Ihr Auto anmelden wollen, geht das | |
| innerhalb von ein bis drei Tagen“, freut sich Smentek. Als sie ihr Amt | |
| antrat, waren es bis zu vier Wochen. | |
| ## Die elektronische Akte | |
| In Smenteks Zuständigkeit fallen vor allem zwei Dinge. Die | |
| Vereinheitlichung der Informationstechnik in den Verwaltungen und das | |
| E-Government. Auch da hat sie wieder eine eher gute und eine eher schlechte | |
| Nachricht. „Die elektronische Akte“, ist Smentek optimistisch, „werden wir | |
| in Berlin bis Ende 2022 eingeführt haben.“ Dann soll mit der Umlaufmappe | |
| Schluss sein. Mitzeichnungen werden dann auf dem PC erledigt. Die schlechte | |
| Nachricht: Bis aus diesem PC für alle Beschäftigten im öffentlichen Dienst | |
| der angestrebte „Berlin PC“ wird, der auf dem gleichen Betriebssystem läuft | |
| und zentral betrieben wird, werden noch einige Jahre die Spree | |
| hinabfließen. „Die beschlossene Umstellung auf Windows 10 muss jede der | |
| über hundert Dienststellen im Land Berlin in diesem Jahr selbst | |
| bewerkstelligen.“ | |
| Nicht nur Sören Benn und seine Verwaltung in Pankow haben Probleme mit dem | |
| Personalrat, sondern auch andere Behörden. Hinzu komme, dass in alten | |
| Verwaltungsgebäuden oft erst neue Leitungen verlegt werden müssten. „Wir | |
| haben da einen Flickenteppich vorgefunden“, sagt Smentek. Sie hofft, dass | |
| es den „Berlin PC“ bis 2026 geben wird. | |
| Etwas optimistischer ist die IT-Staatssekretärin beim E-Government. „Uns | |
| hilft sehr, dass das Abgeordnetenhaus 2016 ein Gesetz verabschiedet hat, | |
| auf das viele andere Bundesländer noch warten.“ Das Gesetz besagt, dass | |
| jede Bürgerin und jeder Bürger ein Service-Konto bekommen kann, auf dem man | |
| zum Beispiel sein Wohngeld online beantragen kann. Tatsächlich | |
| kommunizieren in Berlin so viele Bürgerinnen und Bürger mit den Ämtern | |
| online wie in keinem anderen Bundesland, freute sich gerade erst der | |
| Berliner Innensenator Andreas Geisel (SPD). Die meisten Gänge zum Amt wird | |
| das aber nicht ersetzen, dämpft Smentek die Erwartungen. „Wer seinen | |
| Ausweis oder Pass beantragen will, muss weiter aufs Bürgeramt kommen.“ Der | |
| Grund: die Sicherheitsvorschriften des Bundes. | |
| Im Gegensatz zu Sören Benn hat Smentek weniger Sorge, gute Leute für den | |
| IT-Bereich zu finden. „Berlin ist attraktiv und wir bieten auch attraktive | |
| Arbeitsverhältnisse und Aufstiegsmöglichkeiten für junge Leute.“ Dazu | |
| gehöre auch mobiles Arbeiten, wie es Smentek nennt, denn den Begriff Home | |
| Office hat sie aus ihrem Vokabular gestrichen. „Mir ist es egal, ob jemand | |
| auf einer Parkbank oder am Küchentisch arbeitet.“ | |
| ## Metropolenkritik aus den Zwanzigern | |
| Berlin war schon immer eine weiße Leinwand, auf die jeder alles Mögliche | |
| projizieren konnte. Die Filmwirtschaft ihre immer zahlreicher werdenden | |
| Berlinfilme, weil sich die Stadt als Motiv verkauft wie keine andere. | |
| Konservative frischen ihre Metropolenkritik aus den Zwanzigern auf, und | |
| Nörgler wie Boris Palmer nutzen die Hauptstadt und den BER gerne, um sich | |
| selbst in ein besseres Licht zu setzen. | |
| Auf der anderen Seite haben natürlich auch diejenigen recht, die sagen, | |
| eine 3,7 Millionen Menschen zählende Metropole sei nicht vergleichbar mit | |
| einer schwäbischen Kleinstadt. Zumal Berlin wächst wie keine andere | |
| deutsche Stadt. Alleine in den letzten Jahren sind jährlich 40.000 neue | |
| Bewohnerinnen und Bewohner dazu gekommen. Sie alle sind Kundinnen und | |
| Kunden einer Berliner Verwaltung, die selbst erst einmal das Wachsen wieder | |
| lernen muss. | |
| Dass die Halbzeitbilanz von Rot-Rot-Grün für Aktivisten wie Heinrich | |
| Strößenreuther trotzdem so negativ ausfällt, hat deshalb nicht nur mit dem | |
| Berliner Rechenraum zu tun, der trotz milliardenschwerer Investitionen | |
| immer noch nicht auf Betriebstemperatur ist. Gerade beim Thema Radverkehr | |
| liegt es auch an einer grünen Senatorin, die für viele inzwischen zum roten | |
| Tuch geworden ist. | |
| Tatsächlich gehört die Verkehrswende zu den ambitioniertesten Zielen der | |
| Koalition. Bis 2030, so vereinbarten es SPD, Linke und Grüne, sollten | |
| Radwege in der Länge von 4.000 Kilometern neu gebaut oder saniert werden. | |
| Um den Bau von geschützten Radstreifen oder Radschnellwegen voranzubringen, | |
| wurde die landeseigene Gesellschaft Infra-Velo gegründet. 70 Planerinnen | |
| und Planer sollten die Arbeit zwischen Senat und Bezirken koordinieren und | |
| die Ampeln im Fahrradverkehr auf Grün stellen. | |
| Doch bis heute ist vom Versprechen so gut wie nichts eingelöst. Die meisten | |
| Mittel, die zur Verfügung stehen, werden nicht abgerufen, weil der Senat | |
| oder die Bezirke überfordert sind. Der erste Radschnellweg, so die jüngste | |
| Hiobsbotschaft, soll erst 2023 fertig werden. Ein paar „protected bike | |
| lanes“, insgesamt nicht einmal zwei Kilometer lang, können am desaströsen | |
| Eindruck auch nichts ändern. Von Fahrrad-Mekkas wie Kopenhagen ist Berlin | |
| noch Lichtjahre entfernt. Heute sagt Strößenreuther: „Rot-Rot-Grün hat sich | |
| verzettelt. Boris Palmer hat recht, wenn er sagt, dass in Berlin wenig | |
| funktioniert.“ | |
| Und weiter: „Man muss das, was man umsetzen will, auch richtig anpacken. | |
| 4.000 Kilometer Radwege fallen nicht vom Himmel. Dafür braucht man doppelt | |
| so viel Personal und eine Gesamtkonzeption.“ Die aber sei die von den | |
| Grünen bestellte Verkehrssenatorin Regine Günther bislang schuldig | |
| geblieben. „Politische Führung bedeutet, dass man Prioritäten setzt. Aber | |
| anstatt nach einem tödlichen Unfall innerhalb von vier Wochen die | |
| entsprechende Kreuzung sicherer zu machen, kümmert sich Frau Günther lieber | |
| um Einwegkaffeebecher.“ | |
| ## Mobilitätsgesetz als ein echtes Markenzeichen | |
| Der Verkehrssenatorin jedenfalls sagt Strößenreuther voraus, das Ende der | |
| Koalition bei der derzeitigen politischen Bilanz politisch nicht zu | |
| überleben. Für die Verkehrswende in Deutschland, meint er, sei Rot-Rot-Grün | |
| aber eine Chance. Denn das Mobilitätsgesetz sei ein echtes Markenzeichen. | |
| Berlin, schreibt Strößenreuther in einem gerade veröffentlichten Buch, habe | |
| damit Standards gesetzt, an denen sich andere Städte orientieren können. | |
| So fällt die Halbzeitbilanz von Rot-Rot-Grün durchaus gemischt aus. Wer | |
| Schlagzeilen für eine „gescheiterte Stadt“ braucht, wird immer wieder | |
| Beispiele dafür finden. Bis heute arbeiten manche Bezirke mit Outlook, | |
| andere mit Group Wise, so dass die Beschäftigten untereinander nicht einmal | |
| ihre Kalender synchronisieren oder ihre Mails mobil lesen können. | |
| Auf der anderen Seite hat Berlin das Problem erkannt und arbeitet mit | |
| Hochdruck an einer Lösung. „Wir haben jetzt den Erkenntnisfortschritt und | |
| die Einsicht in die Komplexität“, nennt es IT-Staatssekretärin Sabine | |
| Smentek. Noch im April soll es einen Verwaltungskongress geben, auf dem | |
| Bezirks- und Landespolitiker zusammenkommen und aus den Empfehlungen der | |
| Alt-Kommission verbindliche Schlüsse ziehen wollen. Ein Senatsbeschluss | |
| soll folgen. | |
| Nur umgesetzt werden muss das alles noch. Vielleicht würde das in Tübingen | |
| schneller gehen. | |
| 15 Mar 2019 | |
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