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# taz.de -- Literaturfestival Lit Cologne: Lachen über das Leiden der anderen
> Große Ärzteepisoden der Weltliteratur gehören dazu. Die Kölner Lit
> Cologne setzt auch in ihrer 19. Ausgabe auf glamouröse Events.
Bild: War Türsteherin in Berlins Bahnhofsmission: Else Buschheuer bei ihrer Le…
Auf Gleis 1 rollt der Regionalexpress Richtung Wesel ein, die Glocken im
Kölner Dom schlagen sieben Mal am Donnerstagabend, als Autorin Else
Buschheuer die kleine Bühne in der Bahnhofsmission im Abschnitt E betritt.
50 Stühle wurden in den Raum gequetscht, der sonst Anlaufstelle ist für
alle, die Zuflucht suchen, Hilfe oder einfach nur einen Kaffee. Draußen
werden die weiteren Reisemöglichkeiten durchgesagt, Reisende hetzen mit
Rollkoffern Richtung Treppe.
Die MacherInnen der Lit Cologne hatten auf das richtige Buch gewartet für
diesen Ort – und es in Buschheuers autobiografischem „Hier noch wer zu
retten?“ gefunden, in dem die Autorin – „Ich habe ein Helfersyndrom“ –
Jahre der Selbstversuche beschreibt: Ausbildung zur Demenz- und
Hospizbegleiterin, Arbeit in der Bahnhofsmission, Praktika im Pflegeheim,
Helfen im Privaten, wo es nur geht, bis hin zur Selbstausbeutung. „Leben
ist für mich Erleben“, sagt Buschheuer.
Es ist die kleinste Lesung der Lit Cologne, die seit vergangenem Dienstag
zum 19. Mal abgehalten wird. Fast 200 Veranstaltungen in 12 Tagen. Mit
mehreren tausend Zuschauern in der Lanxess Arena, einem Literaturschiff,
Lesungen für Kinder, internationalen Autorenstars wie Annie Ernaux, William
Boyd und Dona Leon. Mit Schauspielern wie Senta Berger und Axel Prahl,
klassischen Autorenlesungen, unterhaltsamen Themenabenden und ernsten
Politikergesprächen. Die Lit Cologne gilt als das größte Literaturfestival
Europas, auch dieses Jahr werden mehr als 100.000 Zuschauer erwartet.
## Es wird humorvoller
Bei Else Buschheuer sind es nur 50, ein dankbares Publikum, das auf die
anfänglichen Schwierigkeiten zwischen Autorin und Moderator Joachim Frank
mit viel Freundlichkeit reagiert. So ganz stimmt die Chemie nicht.
Buschheuer will lustig, Frank pastoral. Nach einiger Zeit ändert sich das,
wird es humorvoller, obwohl die Themen schwere sind.
Buschheuer erzählt, wie sie als Türsteherin in der Bahnhofsmission im
Berliner Bahnhof Zoo mit spuckenden Obdachlosen und mit Junkies, die mit
Gott kämpfen, umgeht. „Erwarte keine Dankbarkeit und nimm nichts
persönlich.“ Sie liest eine Passage über ihre Zeit als Hospizhelferin in
Jerusalem, wo sie auf eine mürrische Ordensschwester trifft, die keinen
Bock auf Hilfe hat. Und sie trägt im Dialog mit Moderator Frank ein
Gespräch mit einem Anwalt vor, der auf Sterbeverfügungen spezialisiert ist.
Darin redigieren sie Buschheuers Verfügung, stilistisch, zweifelnd – und
wahnsinnig komisch.
Die Lit Cologne inszeniert Literatur als glamouröses Event, wo selbst aus
der Bahnhofsmission eine Theaterbühne gemacht wird. Die Autoren werden wie
Filmstars behandelt, mit Shuttleservice, Luxushotel, einem allabendlichen
Festivalcáfe direkt am Rhein. „Für die Autoren ist das Festival wie
Weihnachten“, sagte der frühere Verleger von Kiepenheuer & Witsch, Helge
Malchow, einmal über die Lit Cologne. Mancher Feuilletonist rümpft derweil
die Nase angesichts der „Eventisierung“ von Literatur, doch der Erfolg gibt
dem Festival recht.
## Fast jede Veranstaltung ist ausverkauft
Selbst unbekannte Autoren füllen Säle, auch weil ihre Lesungen häufig von
deutschen Schauspielgrößen begleitet werden. Dass Lit Cologne ist, ist
unverkennbar in Köln, blau-schwarze Plakate überall, „Das 19. Mal“ steht
drauf, und man fragt sich, ob das überhaupt nötig wäre. Denn fast jede
Veranstaltung ist ausverkauft, in den vergangenen Jahren gab’s eine
Auslastung von 95 Prozent.
Bei Alan Hollinghurst sind ganz hinten im Brunosaal noch einige Plätze
frei. Ungewöhnlich, hier in Sülz, wo Lehrer wohnen und Beamte und einer der
bekanntesten und erfolgreichsten britischen Autoren der Gegenwart seinen
neuen Roman vorstellt. In „Die Sparsholt-Affäre“ zeichnet Hollinghurst die
Lebenswege zweier schwuler Männer über mehr als 70 Jahre nach, beginnend im
Oxford der 1940er Jahre.
Moderator Bernhard Robben fragt, Hollinghurst antwortet, Robben übersetzt
ausführlich. Nach über 30 Minuten liest endlich Schauspieler Sylvester
Groth eine längere Passage. Etwas monoton plätschert der Abend dahin, aber
wenigstens hat man am Ende Lust auf das Buch. Denn Hollinghurst ist ein
Meister der Anspielungen. Er beschreibt Szenen voller sexueller Spannung,
koketter schwuler Begegnungen, ohne zu viel zu sagen, kann aber auch derb
und direkt.
## Themenabend
Deutlich humorvoller, kurzweiliger der nächste Tag, ein Themenabend: die
besten Ärzteepisoden der Weltliteratur im großen Saal der
„RheinEnergie“-Verwaltung, 500 Zuschauer, ausverkauft.
Der etwas gemütliche Dietmar Bär und die fantastische Christiane Paul lesen
sich durch Molières „Eingebildeten Kranken“, Thomas Manns „Buddenbrooks�…
durch T. C. Boyle und Benjamin von Stuckrad-Barre. Durch befreiende
Darmduschen, martialische OPs, lustspendende Syphilis. Das Bühnenpersonal
ist handverlesen: Paul ist promovierte Ärztin, Bär mimte mal einen
Sportarzt, und Jakob Hein, gar nicht mal so heimlicher Humorstar des
Abends, ist nicht nur Autor, sondern auch Psychiater und Moderator der
Veranstaltung.
Es wird gelacht und gelitten, es wird ernst und informativ, und als Bär die
detaillierte Schilderung einer Zahnextraktion von Thomas Buddenbrook
vorträgt, fühlt das Publikum unter großem „Ah“ und „Oh“ und
schmerzerfüllten Gesichtern mit. Wie amüsant menschliches Leiden sein kann
– sofern es andere erleben.
Nach 90 Minuten ist Schluss. Als die Zuhörer in den frühlingshaften Kölner
Abend treten, stehen die nächsten bereits wieder an, denn in einer Stunde
beginnt alles von vorne. Hat eine Veranstaltung bei der Lit Cologne Erfolg,
wird sie am selben Tag wiederholt, so einfach ist das.
25 Mar 2019
## AUTOREN
Paul Wrusch
## TAGS
Lit Cologne
Literatur
Köln
deutsche Literatur
Gegenwartsliteratur
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024
Rechtsradikalismus
Literatur
Studiengang Medizin
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