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# taz.de -- Ein halbes Jahr „Ankerzentren“ in Bayern: Sechs Betten, sechs S…
> Seit sechs Monaten müssen Geflüchtete in Bayern in sogenannten
> Ankerzentren leben. Parteien und Vereine üben heftige Kritik an den
> Zuständen.
Bild: Die Wut hinaus schreien: Eine Geflüchtete protestiert gegen die Zuständ…
Fürstenfeldbruck taz | Vor der Einfahrt am Feld steht der Beratungsbus des
Münchner Flüchtlingsrats. Bei der Mitarbeiterin Loulou Kinski ist ein
Asylbewerber aus Nigeria. Er sei 17 Jahre alt, sagt er, das könne er
nachweisen. Die Behörden aber haben ihn für 18 erklärt. Damit erhält er
keine Förderungen mehr als Jugendlicher. Kinski kennt den jungen Mann. „Der
geht hier komplett unter“, meint sie.
Weitere kommen, weil sie Behördenschreiben nicht verstehen oder fragen,
worauf sie bei der Anhörung durch das Bundesamt für Migration (Bamf) achten
müssen. Der Bus im oberbayerischen Fürstenfeldbruck bei der Zweigstelle des
Ankerzentrums Manching ist Hilfestelle bei vielen Anliegen. Rein dürfen die
Helfer nicht. „Wir gehören ja zur [1][Antiabschiebeindustrie]“, sagt die
Mitarbeiterin Regina Schuster.
Seit rund sechs Monaten gibt es in Bayern die Ankerzentren, im August 2018
wurden sie eingerichtet. Alle neu ankommenden Flüchtlinge werden dort
untergebracht, bis entschieden ist, ob sie bleiben dürfen oder gehen
müssen. Das ist ein Kernpunkt des „Masterplans Migration“ von
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Jeder der sieben
Regierungsbezirke des Freistaats hat ein Ankerzentrum, es gibt weitere 23
Dependancen. Bundesweit sind die Zentren eine Besonderheit, es gibt nur
noch eines im Saarland und eines in Sachsen. Die übrigen Länder haben kein
Interesse an diesem Modell.
In Fürstenfeldbruck führt am Vormittag die Regierung von Oberbayern
Journalisten durch die Anlage, die einst ein Bundeswehrstandort war.
Besucht wird die Berufsschulklasse mit fünf Schülern, Mohammed sagt: „Ich
komme aus Afghanistan, ich bin 19 Jahre alt. Ich habe eine Schwester und
eine Mutter, wir leben hier im Camp.“ Gezeigt wird das leere Zimmer 133:
sechs Betten, sechs schmale Spinde, ein Tisch in der Mitte mit sechs
Stühlen. Bei der Caritas-Sozialberatung auf dem Gelände stehen manchmal 50
Leute an, sagt die Leiterin Monika Grzesik: „Die Frauen sind oft Opfer von
Menschenhandel.“ [2][Oft seien die Flüchtlinge „sehr unruhig“].
Die Idee der Ankerzentren: Durch die Konzentration aller relevanten
Behörden auf einen Standort sollen die Asylverfahren schneller durchgeführt
werden. Dort sind etwa Außenstellen des Bundesamts für Migration und
Flüchtlinge (Bamf) eingerichtet, Rückführungsberatung und
Verwaltungsgerichte. „Alle Akteure sollen ohne großen Zeitverlust Hand in
Hand arbeiten“, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU).
## Heftige Kritik aus Politik und Gesellschaft
Flüchtlingsverbände und die Grünen im Freistaat stellen sich massiv gegen
diese Flüchtlingsunterbringung. Als „Lager“ kritisiert sie etwa der
Bayerische Flüchtlingsrat und spricht von „menschenunwürdigen
Lebensbedingungen“. Denn die Flüchtlinge müssen dort wohnen, sie können
keine Arbeit aufnehmen. Im jeweiligen Landkreis können sie sich frei
bewegen, Besuch dürfen sie aber nicht in den Zentren empfangen. Im Jahr
2018 kam es in Fürstenfeldbruck zu 38 Abschiebungen, berichtet Monika Goriß
von der Ausländerbehörde auf Nachfrage. Aber: „Wir versuchen es fast jeden
Tag.“ In den meisten Fällen sind die Flüchtlinge nicht zu finden, fast nur
jeder Zehnte wird dann tatsächlich abgeschoben.
Bisher gibt es keine Ergebnisse, dass sich die Verfahren verkürzen. „Das
beschleunigt nichts“, meint der Flüchtlingsrat. Bundesweit verlaufen die
Asylverfahren mittlerweile etwas schneller. Im dritten Quartal 2018
dauerten sie laut Bundesinnenministerium im Durchschnitt 6,1 Monate, im
ersten Quartal waren es noch 9,2. Über die Daten teilt das Innenministerium
auf Anfrage der taz mit: „Für einen direkten Laufzeiten-Vergleich vor und
nach Umwandlung in Anker-Einrichtungen ist es noch zu früh.“
Andere Auffälligkeiten gibt es aber durchaus, wie die Antwort des
Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordnete
Ulla Jelpke zeigt. Demnach erhalten Flüchtlinge in einigen bayerischen
Ankerzentren deutlich seltener einen Aufenthaltsstatus als anderswo.
Afghanen etwa gelingt dies in Zirndorf nur zu 31,8 Prozent, im
Bundesschnitt sind es 52,1 Prozent.
Besonders die Behandlung von Kindern, Säuglingen und Frauen sei „in dieser
Form unmenschlich“, kritisiert der Münchner Arbeitskreis Kritische Soziale
Arbeit. Kinder würden das Catering-Essen häufig nicht vertragen, eigene
Mahlzeiten dürfen sich die Flüchtlinge nicht zubereiten. Meist bekämen
Kinder in den Unterkünften nur „rudimentären Deutschunterricht“, beklagt
Stephan Dünnwald vom Flüchtlingsrat. Doch es gibt von Ort zu Ort auch
Unterschiede, so können die Kinder in Regensburg und im fränkischen
Zirndorf normale Schulen außerhalb der Unterkunft besuchen. Immerhin: In
Fürstenfeldbruck werden nun zwei Teeküchen eingebaut, dort können Mütter
dann Babynahrung zubereiten.
12 Feb 2019
## LINKS
[1] /Anti-Abschiebe-Industrie-als-Unwort/!5563227
[2] /Ankerzentren-in-Bayern/!5548527
## AUTOREN
Patrick Guyton
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