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# taz.de -- Ein Jahr Ankerzentren: Wo der Wachmann nicht mal klopft
> In Bayern müssen Geflüchtete während ihres Asylverfahrens in Ankerzentren
> wohnen. Ohne Privatsphäre. Viele reisen wieder aus.
Bild: Auch Familien wie die Guliyevs aus Aserbaidschan leben im Ankerzentrum
München/Manching taz | Glaubt man dem bayerischen Ministerpräsidenten
Markus Söder (CSU) und seinem Innenminister Joachim Herrmann, so ist die
ehemalige Max-Immelmann-Kaserne im oberbayerischen Manching ein guter Ort
zum Wohnen. Das Leben der Flüchtlinge dort im Ankerzentrum in der Nähe von
Ingolstadt sei „humaner“ als früher, sagt Söder. Die Asylanträge würden…
„viel Gefühl und Fingerspitzengefühl“ bearbeitet, meint Herrmann. Wer am
Ende zu jenen 30 Prozent Anerkannten gehört, werde „rasch integriert“.
[1][Seit genau einem Jahr] müssen alle neu ankommenden Flüchtlinge bis zu
einer Entscheidung über ihren Asylantrag in einem der sieben bayerischen
Ankerzentren leben. Und ein Jahr gibt es das „Landesamt für Asyl und
Rückführungen“, dessen Aufgabe es ist, Abläufe zu straffen und Abgewiesene
möglichst schnell wieder außer Landes zu schaffen. Ein Anlass zum Jubel?
Söder preist bei einer Pressekonferenz am Dienstag in einem Kellerraum auf
dem Manchinger Gelände, wo sowohl Asylbewerber einquartiert sind als auch
die Behörde ihre Zentrale hat, immer wieder die bayerische
Flüchtlingspolitik an als „gelungene Balance zwischen Humanität und
Ordnung“. Schneller, konsequenter und härter als im Rest der Republik will
man im Freistaat vorgehen.
Ein paar Tage zuvor sitzt eine 24 Jahre alte Frau aus Nigeria im Münchner
Flüchtlingszentrum „Bellevue di Monaco“. Ein Jahr und sieben Monate musste
sie mit ihrem kleinen Kind in Manching leben, bis sie einen
Aufenthaltsstatus bekam. „Man kann dort nicht sein, ohne depressiv zu
werden“, meint sie.
In Manching teilen sich mehrere Frauen und Kinder einen Raum, man darf
nicht selbst kochen und ist auf die Gemeinschaftsverpflegung angewiesen.
Besucher sind nicht gestattet. Die Türen der Zimmer und der Dusch- sowie
WC-Räume ließen sich nicht abschließen, berichtet die Frau. Nachts hätten
sie den Raum mit Stühlen und Tischen verbarrikadiert. Die Sicherheitsleute
würden ohne Anklopfen in die Zimmer und Duschen kommen. Nigerianerinnen, so
habe sie es erlebt, seien von Landsleuten vergewaltigt worden.
## Kritik an den „Abschiebelagern“
Der Widerstand gegen die bayerischen Ankerzentren ist weiterhin groß. Der
Bayerische Flüchtlingsrat bezeichnet sie als „Abschiebelager“ und
kritisiert die „menschenunwürdige Unterbringung“. Die „massive
Einschränkung und Verletzung elementarer Grundrechte“ gehöre zum Alltag der
Bewohner. Für den Dienstagabend hat die Flüchtlingsorganisation „Karawane
München“ eine Nachtdemonstration durch die Münchner Innenstadt angemeldet,
Motto: „Abscheu gegen Abschiebungen!“
Innenminister Herrmann will eine ganz andere Botschaft vermitteln und
beruft sich auf Zahlen: Genau 1.728 Abschiebungen hat es im ersten Halbjahr
2019 in Bayern gegeben, Ein „Erfolg“ sei das, „hohes Niveau“. 40 Prozent
der Abgeschobenen seien zuvor als Straftäter aufgefallen.
Über dreimal so viele Menschen seien aber im gleichen Zeitrum freiwillig in
ihre Heimat ausgereist, nämlich 5.594 von Januar bis Juni 2019. „Ich freue
mich über jeden Fall, der sich freiwillig erledigt“, sagt Herrmann dazu.
Bis zu 1.500 Euro würden Rückkehrer erhalten, berichtet der Präsident des
Landesamts Thomas Hampel, schon in Bayern würde seine Behörde den Menschen
„Perspektiven in den Herkunftsländern öffnen“. Die Zusammenarbeit mit der
im Ausland tätigen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) sei
diesbezüglich hervorragend. Das Amt für Asyl und Rückführungen habe ein
„Sonderprogramm Afrika“ gestartet und eine Stelle für
„Reintegrationsscouting“ besetzt.
Wer aber in Deutschland bleiben möchte, weil er womöglich bleiben muss und
bei seiner Rückkehr in Gefahr wäre, hat im Ankerzentrum Probleme, seine
Rechte wahrzunehmen. Das sagt zumindest Anna Frölich, eine Münchner
Anwältin für Migrationsrecht, die ehrenamtlich Flüchtlinge aus Manching
berät. Nicht im Ankerzentrum, denn da darf sie nicht rein, sondern
außerhalb in einem kirchlichen Gebäude. „Die Leute sind in einem
rechtsfreien Raum aufeinandergepfercht“, klagt Frölich an. Die
Verfahrensberatung, die das Landesamt selbst anbietet, sieht sie lediglich
als „Info-Veranstaltung“. Die Klage gegen einen abgelehnten Asylbescheid
koste 1.000 Euro und dauere zwei bis drei Jahre. So lange müssen die Kläger
im Zentrum verweilen mit einem Taschengeld von 135 Euro im Monat.
Auch Joachim Jacob vom Flüchtlingshelfer-Zusammenschluss „Unser Veto“ hat
kaum Chancen, den Menschen direkt in den Zentren zu helfen. „Der Zugang ist
undurchschaubar, für Ehrenamtliche ist das abschreckend.“ Die Helfer
kümmern sich aber um die Leute, die nach einem positiven Bescheid auf die
Städte und Gemeinde verteilt werden. „Das sind gebrochene Menschen“, sagt
Jacob. „Sie können kaum Deutsch, kennen sich nicht aus.“ Die Helfer
fordern, die Zentren wieder abzuschaffen und die Flüchtlinge, wie zuvor
auch, nach kurzer Zeit auf die Kommunen zu verteilen.
## Kinder leben zusammen mit Dealern
Im Kellerraum des Landesamts spricht der Präsident Hampel davon, dass die
Behörde „bundesweit einzigartig aufgestellt“ ist. Er erläutert, wie schne…
man nun die Identitätsklärung und die Passersatzbeschaffung bewältigt.
Herrmann erzählt von dem im September 2018 eingerichteten
Abschiebegefängnis am Münchner Flughafen, 139 Abschiebungen sind seitdem
von dort erfolgt. Und Söder lobt: „Die ganzen Instrumente spielen in dem
Orchester zusammen.“
Ins Münchner „Bellevue“ ist auch Amir gekommen, ein Asylbewerber aus dem
Iran. 38 Jahre ist der frühere Englischlehrer alt, seit 14 Monaten im
Ankerzentrum Bamberg untergebracht. Dort arbeitet er als Dolmetscher für
die Ärzte. „1.800 Menschen sind in Bamberg“, sagt er. „Es ist sehr laut,
alle sind dort zusammen: Familien mit Kindern, Alleinstehende, Dealer,
Abhängige.“ Seit Amir dort ist, sagt er, habe er von 20 Suiziden gehört.
Auf einer neuen Website informieren Flüchtlingshilfsorganisationen kritisch
über die [2][Ankerzentren], Vorfälle können dort gemeldet werden:
www.anker-watch.de
31 Jul 2019
## LINKS
[1] /Fluechtlingspolitik-in-Bayern/!5525061
[2] https://www.anker-watch.de/
## AUTOREN
Patrick Guyton
## TAGS
Ankerzentren
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