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# taz.de -- SPD will Hartz IV reformieren: Gegen die Absturzangst
> Die SPD versucht in ihrem Sozialstaatspapier eine Revision von Hartz IV.
> Und sie will der Mittelschicht die Sorgen nehmen. Eine Analyse.
Bild: Schon im Herbst hatte Andrea Nahles gesagt: „Wir werden Hartz IV hinter…
Berlin taz | Es gilt als historischer „Verrat“ der SPD an der arbeitenden
Mittelschicht: Die Einführung von Hartz IV im Jahr 2005, die zum
millionenfachen Stimmenverlust der Sozialdemokraten, zu ihrem Abstieg in
der WählerInnengunst beitrug. Nun wagt die Partei eine Revision, mit einem
17-seitigen Papier [1][„Arbeit – Solidarität – Menschlichkeit“], das d…
SPD-Vorstand am Sonntag beschließen soll. „Wir werden Hartz IV hinter uns
lassen“, hatte SPD-Chefin [2][Andrea Nahles im vergangenen Herbst
versprochen]. Doch was wird davon in dem Papier umgesetzt?
Die wichtigste Änderung, welche die Absturzangst der Mittelschichten bannen
soll, ist der verlängerte Bezug von Arbeitslosengeld I und der Vermögens-
und Wohnungsschutz für die ersten zwei Jahre in Hartz IV, das in Zukunft
laut SPD-Papier [3][in „Bürgergeld“ umgetauft] werden soll.
Bisher wird Arbeitslosengeld I abhängig von Beschäftigungsdauer und
Lebensalter gezahlt, bei mindestens 58-Jährigen bis zu einer Dauer von 24
Monaten. Danach rutschen die Erwerbslosen in den Hartz IV-Bezug, der eine
Bedürftigkeitsprüfung verlangt. Wer also etwas Vermögen besitzt, bekommt
erstmal nichts. Denn das Ersparte muss bis auf einen Freibetrag für den
Lebensunterhalt aufgebraucht werden, bevor man überhaupt Hartz IV erhält.
Ältere Langzeitarbeitslose ohne Aussicht auf einen neuen Job können auf
diese Weise innerhalb kurzer Zeit ihr Erspartes verlieren, bevor sie dann
Hartz IV in Höhe der Sozialhilfe kriegen. Die Angst vor diesem Absturz hat
die SPD nach der Einführung von Hartz IV Millionen Stimmen gekostet.
Das neue Papier hält nun dagegen: Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes
soll auf bis zu 33 Monate verlängert werden, hinzu kommen
Weiterbildungszeiten. „Eine maximale Bezugsdauer von 36 Monaten“ soll
möglich sein, steht in dem Papier. Das heißt, ein älterer Arbeitsloser oder
eine ältere Arbeitslose wären zunächst für drei Jahre durch die
Sozialleistungen abgesichert, ohne dass das Vermögen angetastet, die
Angemessenheit der Wohnung in Frage gestellt oder nach dem Einkommen des
Partners gefragt wird.
## Harte Abstürze vermeiden
Auch danach soll ein harter Absturz vermieden werden. Bei wem das
Arbeitslosengeld I ausgelaufen ist und wer nun Hartz IV beantragen muss,
bei dem will die SPD laut Papier „für zwei Jahre Vermögen und die
Wohnungsgröße nicht überprüfen“. Hartz IV soll dabei in „Bürgergeld“
umbenannt werden.
Die neuen Regelungen würden dazu führen, dass etwa ein 58-jähriger,
langjährig Beschäftigter ohne Job möglicherweise künftig fünf Jahre lang
erst Arbeitslosengeld I und Weiterbildungsgeld (ALG Q), danach dann
„Bürgergeld“ bekäme, ohne dass er sein Vermögen für den eigenen
Lebensunterhalt verbrauchen müsste. Nach fünf Jahren Bezugszeit, mit 63
Jahren wäre möglicherweise ein vorgezogener Rentenbezug mit Abschlägen
möglich. Der Superabsturz in eine Sozialleistung mit vollständiger
Bedürftigkeitsprüfung wie es heute bei Hartz IV der Fall ist, wäre damit
vermieden.
Nicht geschützt wären allerdings kleine Selbständige, die etwa nach einer
Firmenpleite direkt in den Hartz-IV-Bezug rutschen, ohne eine vorhergehende
Phase von Arbeitslosengeld I. Für sie gelte dann wie auch heute schon von
Beginn an eine Bedürftigkeitsprüfung, sie müssten ihr Erspartes bis auf
einen Freibetrag erst aufbrauchen.
## Früher Ruhestand auf Kosten der Sozialkassen?
Fraglich ist zudem, ob Arbeitgeber die längeren Bezugsdauern nicht dazu
nützen könnten, ihre Beschäftigten auf Kosten der Sozialkassen in eine Art
frühen Ruhestand zu schicken, so wie dies in den 90er Jahren millionenfach
der Fall war. Um dem zuvorzukommen, sollen gewährte Abfindungen auf die
Sozialleistungen angerechnet werden, heißt es in dem SPD-Papier.
Die Hartz-IV-Sätze, also die künftigen Bürgergeld-Sätze selbst sollen nicht
erhöht werden. Sanktionen etwa bei mangelnder Kooperation mit dem Jobcenter
sollen aber künftig abgemildert werden, man wolle „die Kürzung der
Wohnkosten abschaffen“, heißt es in dem Papier. Die Übernahme der
Mietkosten durch die Jobcenter bleibt also in jedem Fall gesichert, auch
bei Sanktionierung.
Viele Hartz-IV-EmpfängerInnen in den Metropolen haben allerdings das
Problem, das gestiegene Mieten auch für bescheidene Wohnungen nicht
übernommen werden, weil sie die Angemessenheitsgrenzen überschreiten. Es
gibt EmpfängerInnen, die den überschießenden Betrag dann sogar aus dem
mageren Regelsatz bezahlen müssen. Zu dieser Problematik findet sich nichts
in dem SPD-Papier.
## Kaputte Waschmaschinen und alte Winterjacken
„Speziellen Bedarfen und Härten“ solle das Jobcenter künftig aber eher
begegnen. Zum Beispiel, wenn „plötzlich die Waschmaschine kaputtgeht und
gleichzeitig die alte Winterjacke aufgetragen ist“, heißt es in dem Papier.
Wenn damit gemeint ist, dass man erst eine aufgetragene alte Winterjacke
vorweisen muss, um das Geld für die Reparatur einer Waschmaschine zu
bekommen, wäre dies etwas merkwürdig. Wenn die Passage aber bedeutet, dass
die früheren „einmaligen Leistungen“ bei besonderen Notsituationen
teilweise wieder eingeführt werden, wäre damit einer langjährigen Forderung
der Wohlfahrtsverbände nachgegeben.
Bisher müssen Hartz-IV-BezieherInnen Kredite beim Jobcenter aufnehmen, wenn
etwa Geld für die Reparatur eines Haushaltsgeräts gebraucht wird. Diese
Kredite werden dann vom ohnehin mageren Regelsatz mühsam abgestottert.
Hartz-IV-BezieherInnen, also künftige „Bürgergeld-EmpfängerInnen“ sollen
laut dem SPD-Papier auch ein „Recht auf Arbeit“ bekommen, also ein
„passgenaues Angebot auf Weiterbildung/Qualifizierung oder auch ein Angebot
auf Arbeit“. Das Recht auf Förderung eines Berufsabschlusses soll dabei
auch mehr als zweijährige Förderungsdauern beinhalten. Dies könnte eine
wirkliche Verbesserung sein, denn Jobcenter verweigern oft Wünsche nach
bestimmten Ausbildungen, die Leistungsempfänger äußern.
## Kindergrundsicherung für alle
Familien sollen durch eine „Kindergrundsicherung“ besser gestützt werden,
sieht das SPD-Papier vor. Einzelne bisher schon existierende Leistungen wie
Kindergeld (für alle Eltern), steuerlicher Kinderfreibetrag (lohnt sich nur
für GutverdienerInnen), Kinderzuschlag (gibt es derzeit für gering
verdienende Eltern) und Hartz-IV-Leistungen für Kinder will die SPD
„zusammenführen“ und „vereinfachen“.
Das Existenzminimum für ein Kind wird dabei im SPD-Papier mit 408 Euro im
Monat angesetzt. Ob Familien im Hartz-IV-Bezug dann aber für ihre Kinder
tatsächlich mehr Geld bekommen, bleibt unklar.
Bisher gilt für ein Schulkind bis zum Alter von 14 Jahren beispielsweise
ein Hartz-IV-Regelsatz von 302 Euro. Hinzu kommt noch ein Mietkostenanteil
für das Kind, der in Berlin etwa für eine Alleinerziehende bei rund 90 Euro
liegt. Rechnet man noch andere Subventionen für Kinder im Hartz-IV-Bezug
dazu, käme man heute schon auf ein rechnerisches Existenzminimum durch
Sozialleistungen vom Jobcenter. Nur hießen diese Leistungen dann eben
„Kindergrundsicherung“ und nicht mehr „Hartz IV“.
Bei der Kindergrundsicherung soll aber das „Einkommen der Eltern“ die
„Orientierung“ bleiben, heißt es in dem Papier. Mittelschichtsfamilien
dürften also möglicherweise nicht mehr Geld bekommen als jetzt schon durch
das Kindergeld, außer dass die Leistung dann eben auch
„Kindergrundsicherung“ hieße.
## Vorschläge, die billig sind
Die SPD will sich, so das Papier, dafür einsetzen, dass der Mindestlohn
„perspektivisch“ auf 12 Euro – von bisher 9,19 Euro – angehoben wird.
Tarifgebundene Unternehmen sollen steuerlich besser gestellt werden als
nicht-tarifgebundene Unternehmen, sieht das Papier vor. Der Aufschrei der
ArbeitgeberInnen ist garantiert.
Froh ist die SPD um jeden Vorschlag, der nicht Fragen nach der
Finanzierbarkeit aufwirft. So sollen ArbeitnehmerInnen ein gesetzlich
verankertes „Recht auf mobiles Arbeiten und Homeoffice“ bekommen. Hier
dürften die Details darüber entscheiden, inwieweit betriebliche Belange
dieses Recht einschränken können.
Wie die Vorschläge, die Geld kosten, finanziert werden sollen, wird in dem
SPD-Papier nicht angesprochen. Die Kassen in der Arbeitslosenversicherung
sind allerdings derzeit gut gefüllt. Das Papier ist vor allem auch ein
psychologisches Signal an ArbeitnehmerInnen: Wir schützen euch. Im
aktuellen Politbarometer des ZDF legte die SPD in der Wählergunst um zwei
Prozentpunkte auf 16 Prozent zu.
8 Feb 2019
## LINKS
[1] http://docs.dpaq.de/14511-arbeit_solidarita_t_menschlichkeit__190206.pdf
[2] /Nahles-will-Buergergeld/!5551607
[3] /SPD-und-Hartz-IV/!5571226
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
## TAGS
Arbeitslosengeld
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Grundrente
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