# taz.de -- Reservistenverband der Bundeswehr: Auszeichnung trotz rechter Datei… | |
> Eine Festplatte mit rechtsextremer Musik beschäftigt den | |
> Reservistenverband. Der, bei dem sie gefunden wurde, bekommt nun die | |
> Ehrennadel. | |
Bild: Am Rand der Deutschen Reservistenmeisterschaft: Waffen faszinieren auch R… | |
BERLIN taz | Wenn sich einer engagiert, seine Wochenenden für einen Verein | |
opfert, die kostbaren Stunden nach Feierabend, ist das schon mal eine | |
Auszeichnung wert. Eine Ehrennadel beispielsweise. Die verleiht der Verband | |
der Reservisten der Deutschen Bundeswehr in Bronze, in Silber und in Gold | |
an besonders engagierte Mitglieder, erst kürzlich wieder, an einem | |
Januartag in Neubrandenburg, Mecklenburg-Vorpommern. Empfänger der goldenen | |
Nadel: Thomas K., Hauptfeldwebel der Reserve. Ausgerechnet er. | |
K. war es, bei dem sich bei einer Kontrolle seiner Dienstfestplatte am 23. | |
Januar 2014 Musikdateien mit ungewöhnlichen Namen fanden: „Rassenhass – | |
Titel 5.mp3“ beispielsweise oder „Arisches Blut – Hitlers 100. | |
Geburtstag.mp3“. Vor einem Jahr, im Januar 2018, hat die taz die | |
[1][Festplattenaffäre] publik gemacht. Seit fünf Jahren beschäftigt sie die | |
Reservisten, den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern hat sie gespalten. | |
Was, wenn ein Handball-Trainer rechte Parolen von sich gibt? Was, wenn der | |
Justizbeamte bei Pegida mitläuft? Der Fall in Mecklenburg-Vorpommern hätte | |
ein Lehrstück dafür sein können, wie mit rechtsextremen Verdachtsfällen in | |
den eigenen Reihen umgegangen werden kann. Erst recht in einem Verband, der | |
schon vor langer Zeit entschieden hat, keine NPD-Mitglieder aufzunehmen. | |
Der sich bewusstgemacht hat, dass die militärische Ausbildung immer wieder | |
auch Neonazis anzieht. | |
Doch diejenigen im Verband, die versucht hatten aufzuklären, sind | |
inzwischen weg. Thomas K. trägt die höchste Auszeichnung der Reservisten. | |
Wieso? | |
## Thomas K. und die verschwundene Festplatte | |
Der Reservistenverband der Bundeswehr organisiert Wehrübungen und | |
Veranstaltungen für rund 115.000 ehemaligen Soldaten in Deutschland. | |
Reservisten sind nur dann der Bundeswehr zugehörig, wenn sie für Übungen | |
oder Einsätze einberufen sind. Die meisten engagieren sich ehrenamtlich, | |
manche sind angestellt, so wie Thomas K. Sie gehen auf Kasernengeländen ein | |
und aus und tragen Uniform. | |
K. kam 2012 zum Reservistenverband, in eine Kreisgeschäftsstelle, gelegen | |
auf dem Gelände der Tollense-Kaserne in Neubrandenburg. Er hatte eine lange | |
Vorgeschichte. Zeitweise wurde er in der Gewalttäterdatei Sport geführt und | |
hatte ein bundesweites Stadionverbot. Er musste sich fragen lassen, wer | |
diese Leute in seinem Umfeld waren, die mit den Glatzen. | |
Und die Musikdateien mit den merkwürdigen Namen? Mitglieder des | |
Reservistenverbands versicherten immer wieder, dass sie diese selbst | |
gesehen hätten, auf einer Festplatte, die eigentlich dem Landesverband | |
gehörte. K. hatte darauf auch private Daten gespeichert, Fotos, Filme, | |
Briefe, und diese später gelöscht. Vorgesetzte hatten die Dateien teilweise | |
wieder hergestellt. | |
Die taz konnte ein Verzeichnis einsehen, in dem sich die Namen | |
rechtsextremer Musiktitel befanden, uns liegen Protokolle des Verbands vor, | |
aus denen die Existenz der Dateinamen hervorgeht. Die Dateien selbst gelten | |
als verschwunden – spätestens seit die Festplatte dem Verfassungsschutz im | |
Frühjahr 2014 zur Prüfung übersandt wurde. | |
## Der Reservistenverband und die erste Kehrtwende | |
Die Bundesgeschäftsstelle des Reservistenverbands hielt die gegen K. | |
erhobenen Vorwürfe nie für belegbar. Weil die Dateien nicht abspielbar | |
gewesen seien, war aus Sicht des Verbandes nicht geklärt, dass es sich | |
tatsächlich um strafbare Lieder handelte – und dass diese Dateien dann auch | |
noch von K. stammten. Der bestritt die Vorwürfe stets. | |
Als die taz den Fall publik machte, änderte sich diese Haltung. Nun | |
beschloss das Präsidium, man müsse K. loswerden, auch wenn dies | |
arbeitsrechtlich kompliziert sei. K. wurde seine Versetzung angekündigt. | |
Nun ließe sich sagen, gut, K. ist ein Einzelfall, ein schwer belegbarer | |
noch dazu. Allerdings ist es nicht der einzige Fall in diesem | |
Landesverband. | |
## Prepper, die Linke umbringen wollen | |
Im August 2018 lässt der Generalbundesanwalt bei mehreren Männern Wohnungen | |
und Geschäftsräume [2][durchsuchen]. Der Verdacht: die Vorbereitung einer | |
schweren staatsgefährdender Gewalttat. Einem Anwalt und einem LKA-Beamten | |
werfen die Ermittler vor, geplant zu haben, Personen aus dem linken | |
Spektrum festzusetzen und zu töten. | |
Sie sollen, heißt es, eine Liste mit Zielpersonen angefertigt haben. Auch | |
die Adressen von Flüchtlingsunterkünften sollen darin verzeichnet gewesen | |
sein. Viele, die darauf zu finden sind, leben in Mecklenburg-Vorpommern. | |
Die Landesregierung hält es bis heute nicht für nötig, die Ausgespähten zu | |
informieren. Anders in Bayern: Dort hat sich die Polizei bei mindestens | |
einer gelisteten Person gemeldet. | |
Recherchen der taz ergaben damals, dass die beiden Beschuldigten und drei | |
Zeugen im Ermittlungsverfahren Mitglieder im Reservistenverband sind. Die | |
Männer hatten sich gegenseitig für den Verband angeworben und versucht, in | |
die Heimatschutzkompanie der Bundeswehr aufgenommen zu werden, sogenannte | |
Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien, kurz RSU. | |
Diese Reservistenkompanien sollen im Katastrophenfall andere Hilfswerke | |
unterstützen. Dafür trainieren sie regelmäßig in Kasernen, tragen Uniformen | |
– und haben Zugang zu Waffen. | |
Die beiden Beschuldigten und die Zeugen waren damals alle Mitglied in | |
verschlüsselten Chatgruppen. Eine davon hieß Nordkreuz. Ihr Zweck: Prepper | |
zu vernetzen, Menschen also, die sich auf Katastrophen vorbereiten, Stürme, | |
Stromausfälle, so etwas. Häufig ging es dabei aber auch um politische | |
Fragen: um die Zuwanderung Geflüchteter, insbesondere Muslime. Um die Wut | |
darüber. | |
Der Gründer dieser Chatgruppen heißt André S., inzwischen auch bekannt als | |
„Hannibal“. Er schickte Text- und Sprachnachrichten in die Chats, warnte | |
vor Gefahren und riet dazu, Vorräte und Fluchtpläne anzulegen. Er leitete | |
diese Gruppen auch im Westen, Osten, Süden Deutschlands, in Österreich und | |
der Schweiz. „Hannibal“ ist Bundeswehrsoldat. Er gilt als Kopf eines weit | |
gespannten Netzwerks, in dem sich Angehörige der Bundeswehr, Polizei und | |
aus Behörden vernetzen – auch, um paramilitärischen [3][Übungen] | |
nachzugehen. | |
## Am „Tag X“ politische Gegner internieren | |
Aus den Ermittlungen geht ein besonderes Detail hervor: An einem Abend | |
Anfang 2017 sollen sich die beiden Beschuldigten und zwei der Zeugen an | |
einer Landstraße nahe Schwerin getroffen haben. Sie sollen über Lagerhallen | |
beraten haben, in denen sie am „Tag X“ ihre politischen Gegner internieren | |
wollten. Könnte der Kompaniechef der Reservisten, einer von ihnen, im | |
Ernstfall dafür nicht Bundeswehr-Lastwagen organisieren? Ließen sich so | |
auch mögliche Straßenkontrollen überwinden? Sie redeten über Erschießungen. | |
Es soll auch das Wort „Endlösung“ gefallen sein. | |
Der Vorsitzende des Landesverbands der Reservisten, Helge Stahn, reagierte | |
im Herbst 2017 schnell auf die Vorwürfe. Er bat die zuständigen Behörden | |
darum, den Männern die Erlaubnis zu entziehen, Waffen zu tragen. Er setzte | |
die Schießtrainings aus und forderte die Bundesgeschäftsstelle auf, die | |
Männer aus dem Verband auszuschließen. Stahn war es auch, der den Vorfall | |
mit der Festplatte von Thomas K. gemeldet hatte. | |
Im Sommer 2018 wählten ihn die Landes-Delegierten als Vorsitzenden ab. Als | |
die taz damals Delegierte nach ihrer Entscheidung fragte, waren viele | |
Gründe zu hören: Intransparenz, persönliche Verwerfungen, es ging um | |
Schulden, Flügelkämpfe, Vereinsmeierei. Stattdessen stellen nun die | |
Sympathisanten von Thomas K. den Vorsitz. | |
Monate später herrscht immer noch Aufruhr im Verband. Der neue Vorsitzende, | |
Roland Heckt, heißt es jetzt, hätte gar nicht zum Chef werden dürfen, weil | |
er eigentlich nicht einmal Reservist sei. Kritiker versuchen den Landeschef | |
zu stürzen. Aus ihrer Sicht führe Heckt den Verband endgültig nach rechts. | |
Die Bundesgeschäftsstelle bestätigt, dass derzeit ein Schiedsgericht den | |
Wahlvorgang prüft. Heckt genieße aber das Vertrauen des Präsidiums, um den | |
zerstrittenen Landesverband wieder zu einen. | |
Und was ist aus den Preppern mit den Terrorplänen geworden? | |
## Prüfungen gegen Reservisten dauern an | |
Die Bundesanwaltschaft ermittelt bis heute gegen die beiden Beschuldigten. | |
Sechs weitere Verfahren hat sie an regionale Staatsanwaltschaften abgegeben | |
– Zufallsfunde aus den Durchsuchungen bei Zeugen, darunter auch einige der | |
Reservisten. Es geht um die unsachgemäße Lagerung von Waffen, um | |
Munitionsbesitz, um Kinderpornografie. Es lässt sich nicht eindeutig | |
klären, welche Ermittlungen die Reservisten betreffen, mindestens sind es | |
aber zwei: Eine Person hat gegen das Waffen- und Sprengstoffgesetz | |
verstoßen, das Verfahren ist abgeschlossen, sie musste ihre Waffen | |
abgegeben. In einem anderen Fall wird noch gegen einen SEK-Polizisten wegen | |
des Verdachts auf Verstoß gegen das Kriegswaffengesetz ermittelt. Der | |
Beschuldigte ist seit den Durchsuchungen suspendiert. Mindestens einer der | |
Nordkreuz-Männer ist bis heute in einem Schützenverein aktiv – als | |
Schießsportleiter. | |
Das Bundesinnenministerium antwortet kürzlich auf eine schriftliche Frage | |
der Grünen im Bundestag: Die Bundesregierung bewerte die Einstellungen von | |
vier dieser Personen als „gefestigt rechtsextremistisch“. | |
Der Reservistenverband hatte sich entschlossen, die Männer aus dem Verband | |
auszuschließen. Zwei zogen dagegen vor Gericht und bekamen recht – sogar | |
der Rechtsanwalt, der Listen mit politischen Gegnern angelegt und von deren | |
Tötung gesprochen haben soll, ist deshalb im Verband. | |
## Und Thomas K.? Der darf weiter arbeiten | |
Neujahrsempfang, Neubrandenburg, uniformierte Männer stehen mit Fackeln vor | |
der Tollense-Kaserne in Neubrandenburg, das ist später auf Facebook zu | |
sehen. Darauf auch zu sehen: Thomas K. Er wurde doch nicht versetzt. | |
Aus der Bundesgeschäftsstelle des Reservistenverbands heißt es: K. habe | |
eine Sicherheitsüberprüfung der Bundeswehr bestanden und werde wieder | |
regelmäßig eingesetzt. „Er macht eine ordentliche Arbeit für unseren | |
Verband“, sagt der Bundesgeschäftsführer Max vom Hagen. „Der Verband scha… | |
mit sehr großer Sensibilität auf die Entwicklungen.“ | |
Einen geladenen Gast zeigt der Verband nicht auf Facebook: Enrico Komning, | |
AfD-Abgeordneter des Bundestags. Komning ist Mitglied der schlagenden | |
Burschenschaft Rugia in Greifswald, zu denen auch der verurteilte | |
Holocaustleugner Rigolf Henning zählt. Die Burschenschaft verfügt über | |
zahlreiche rechtsextreme Mitglieder. Der Verfassungsschutz führt Komning | |
deshalb als eines von drei AfD-Mitgliedern aus Mecklenburg-Vorpommern | |
namentlich in dem Gutachten auf, in dem Anhaltspunkte für | |
verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei gesammelt werden. | |
Beim Reservistenverband heißt es, Komning sei nun mal gewählter | |
Abgeordneter aus dem Wahlkreis, da müsse man ihn auch einladen. Komning | |
selbst schreibt auf Facebook über den Empfang: „Vielen Dank für die | |
Einladung. Ich komme gerne wieder.“ | |
20 Feb 2019 | |
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## AUTOREN | |
Christina Schmidt | |
Martin Kaul | |
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