# taz.de -- Pro & Kontra Schulstreiks fürs Klima: Kohleprotest statt Klausuren? | |
> Am Freitag protestieren Schüler*innen für Klimaschutz. Soll für Demos der | |
> Unterricht ausfallen? Ein Pro und ein Kontra. | |
Bild: Weg mit der Kohle! Schüler*innenprotest vor dem Bundestag im Dezember 20… | |
Ja! | |
Denn eigentlich müssten die KultusministerInnen dankbar sein. Vor wenigen | |
Monaten beschlossen sie, die Demokratieerziehung an den Schulen zu stärken. | |
Eine reichlich späte Einsicht. Schließlich hören Jugendliche in manchen | |
Bundesländern erstmals in der zehnten Klasse von Wahlen, Pluralismus, | |
Streikrecht. | |
Noch schlimmer: An vielen Schulen des Landes sind menschenfeindliche | |
Einstellungen heute so weit verbreitet, dass selbst CDU-regierte Länder | |
Alarm schlagen. Logische Schlussfolgerung: Kinder sollen sich stärker und | |
früher mit der Rolle der Zivilgesellschaft beschäftigen. Noch besser: Sie | |
engagieren sich gleich selbst. So wünschen es sich die | |
BildungsministerInnen. Wer beim Bund Naturschutz aktiv ist, bekommt künftig | |
einen lobenden Vermerk im Zeugnis. | |
Wie passt es da zusammen, dass SchülerInnen, [1][die seit Wochen für die | |
Rettung unseres Planeten] – und gegen die deutsche Kohlelobby – | |
demonstrieren, mit Sanktionen von ihrer Schule rechnen müssen? Schon klar, | |
weil sie den Unterricht schwänzen. Das aber müsste nicht sein, wenn die | |
Schulen Klimademos nicht als Privatkram abstempeln, sondern als Chance für | |
den Unterricht erkennen würden: Also als gesellschaftlich hochrelevantes | |
Thema, das man endlich mal anhand eines hochaktuellen „Stoffes“ darstellen | |
kann. | |
Ob das Ganze dann im Ethik-, Sozialkunde- oder Erdkundeunterricht läuft, | |
ist schnuppe. Wichtig ist doch: dass sich SchülerInnen mit dem Klimawandel, | |
der Kohlekommission, den sozialen Folgen von deren Empfehlungen | |
auseinandersetzen. Und – viel wichtiger: die Erfahrung, wie sie in unserer | |
Demokratie Missstände ansprechen, mit Argumenten streiten – und bestenfalls | |
mit ihrer Meinung Gehör finden. | |
Natürlich bräuchten die Schulen zu diesem Schritt Mut. AfD & Co würden die | |
Klassenfahrt zur Klimaschutzdemo sicher als ideologische Indoktrination | |
brandmarken. Das aber kann kein Argument dagegen sein. Die AfD will auch | |
Schulprojekte gegen Rechtsextremismus beenden. Nur eines spricht gegen das | |
staatliche Plazet zum Demonstrieren: Wenn man dafür die Schule schwänzen | |
muss, macht es mehr Spaß. Ralf Pauli | |
*** | |
Nein! | |
Die Schule muss nachgeholt werden. Es ist großartig, wenn Schülerinnen und | |
Schüler für den Klimaschutz auf die Straße gehen und dafür den Unterricht | |
schwänzen, [2][so wie an diesem Freitag]. Denn sie, die Jungen, werden | |
einmal ausbaden müssen, was wir, die Älteren, versaut haben. Ein Grund, die | |
Kinder deswegen vom Unterricht zu befreien, ist es allerdings nicht. | |
Wohlmeinende Lehrer bewerten die Schulstreiks als eine Praxisübung für das | |
Mitwirken in einer Demokratie. Das Engagement gegen den Klimawandel sei | |
quasi förderungswürdig – und deshalb gibt es unterrichtsfrei. Diese | |
positive Einschätzung mag zwar inhaltlich völlig richtig sein. Sie verkennt | |
aber, wie leicht man dabei in den Fußangeln der Demokratie ins Stolpern | |
geraten kann. Denn zur Demokratie zählt zweifellos auch die | |
Meinungsfreiheit. Und diese erlaubt eben auch Aktionen, die weniger Lob | |
finden dürften. | |
Was wäre, wenn übermorgen Schülerinnen und Schüler während des Unterrichts | |
eine Kundgebung gegen Asylbewerber organisieren würden? Würden diese Kinder | |
dann nicht auch die Regeln der Meinungsfreiheit lernen? Sollten sie etwa im | |
Gegensatz zu den Klimafreunden nachsitzen müssen, weil uns diese | |
Meinungsäußerung nicht passt? Das geht nicht. | |
Die Äußerung unbequemer Meinungen mag auf berechtigten Widerspruch stoßen, | |
aber sie muss prinzipiell die gleiche Förderung genießen wie Sprechchöre | |
gegen Braunkohleförderung. Wer den Unterricht für Klima-Kinder ausfallen | |
lässt, muss dies auch fremdenfeindlichen Jugendlichen zugestehen. Denn das | |
wäre ja eine schöne Demokratie, die nur die Meinung fördert, die uns | |
gefällt. | |
Und noch etwas spricht gegen schulfrei für Klima-Kids: Sie zeigen mit ihren | |
Aktionen auch die Lust an Regelbruch und zivilem Ungehorsam. Genau diesen | |
Lerneffekt torpedieren wohlmeinende Erzieher, wenn sie die Kinder und | |
Jugendlichen anschließend dafür belobigen. Denn wie hieß es noch gleich: | |
Was verboten ist, das macht uns gerade scharf. Demonstrieren mit dem Segen | |
der Schulleitung? Da kann man ja gleich im Matheunterricht bleiben. Klaus | |
Hilllenbrand | |
25 Jan 2019 | |
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## AUTOREN | |
Ralf Pauli | |
Klaus Hillenbrand | |
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