| # taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Der warme Atem des Patriarchats | |
| > Ständig wird man als Frau bevormundet. Wie man als Mutter zu sein hat. | |
| > Wie man seine Entscheidungen zu fällen hat. Wieviel man wissen darf. | |
| Bild: Bloß nicht aufs Smartphone gucken! | |
| „Heute schon mit Ihrem Kind gesprochen?“ – jeden Morgen, wenn ich das Kin… | |
| 17 Monate, in die Kita bringe, ich selbst schon seit 2 Stunden wach bin und | |
| noch eine Stunde habe, bis ich in der Redaktion sein sollte, keift mich | |
| dieses Plakat an. | |
| Ob ich schon mit meinem Kind gesprochen habe? Ja. Ich hab ihm, als er | |
| morgens neben mir lag, gesagt, dass er bitte aufhören soll, mir den Finger | |
| ins Auge zu stecken. Ich hab ihn gefragt, was er geträumt hat. Ich hab ihn | |
| beim Frühstück gebeten, das Käsebrot nicht auf den Boden zu werfen. Er | |
| hat’s trotzdem gemacht, den Hund hat es gefreut, das Obst, das | |
| hinterherflog, liegt immer noch unterm Tisch. | |
| Ich hab ihn getröstet, als sein Papa loshetzte, um früher in der Arbeit zu | |
| sein, damit er nachmittags früher in der Kita sein kann, damit er mit ihm | |
| spielen, ihm etwas kochen und ihn dann auch noch ins Bett bringen kann, | |
| falls ich es nicht rechtzeitig schaffe. Ich hab ihn getröstet und ihm | |
| gesagt, dass wir jetzt in die Kita gehen – „Kitita!“ hat er freudig | |
| gerufen. | |
| Also ja, wir haben gesprochen. Danke. Dieses Plakat will aber gar nicht | |
| darauf hinaus, ob man redet. Es zeigt Erwachsene mit Smartphones auf dem | |
| Spielplatz und ein Kind, das offenbar um Aufmerksamkeit ringt. Es will | |
| sagen: Leg das Handy weg. Spiel nicht die ganze Zeit Candy Crush und | |
| scrolle nicht durch Facebook, du Honk. Liebst du denn dein Kind nicht? | |
| Das Problem ist, dass wir uns wirklich den Arsch aufreißen, wie andere | |
| Eltern auch. Da brauche ich den erhobenen Zeigefinger vom Plakat wie einen | |
| nassen Stiefel. | |
| Denn die Umstände sind in Berlin für Eltern nicht unbedingt die besten: | |
| hohe Mieten, keine Wahlmöglichkeit bei der Kindertagesbetreuung, kaum | |
| kinderfreundliche öffentliche Einrichtungen (außer da, wo die Mieten teuer | |
| sind), schlecht bezahlte Kita-Erzieher*innen, die am Dienstag völlig zu | |
| Recht gestreikt haben (und eigentlich streiken sollten, bis sie bekommen, | |
| was ihnen zusteht); ein öffentlicher Nahverkehr, der nicht nur zu teuer | |
| ist, sondern es auch Eltern, die in günstigeren Außenbezirken wohnen müssen | |
| und in teureren Innenbezirken arbeiten, oft unmöglich macht, pünktlich in | |
| der Kita am Stadtrand aufzuschlagen. | |
| ## Lasst uns doch leben | |
| Kurz gesagt: I got 99 Problems, but my Smartphone ain’t one. Im Gegenteil, | |
| das Ding macht den Spagat erst möglich: Mails beantworten, im | |
| Familienkalender Termine koordinieren, Kita-Schließtage und Fasching nicht | |
| vergessen, Arzttermine vereinbaren, bei „Landkorb“ frisches Obst und Gemüse | |
| bestellen und die Familie weit weg mit Fotos beglücken, die belegen, wie | |
| süß der Kleine doch lacht, wenn er morgens Käsebrote durch die Gegend | |
| wirft. Und bei allem Verständnis dafür, dass man ein gutes Vorbild sein | |
| soll: Lasst uns doch leben. | |
| Dass diese beiläufige Bevormundung vor allem von Frauen ein tief liegendes | |
| gesellschaftliches Problem ist, weiß jede Frau, die sich schon mal für eine | |
| Lebensveränderung entschieden hat – einen Jobwechsel, ein Kind, kein Kind | |
| –, aber dann noch mal zur Seite genommen wird und behutsam, den warmen Atem | |
| des Patriarchats an der Wange, die Frage gestellt bekommt, ob sie sich denn | |
| auch der Konsequenzen bewusst sei. | |
| Was die Leute immer denken, wie panne Frauen eigentlich sind. Nehmen wir | |
| mal den Jens Spahn. Das Gesundheitsministerium plant nach all dem Streit | |
| über die Reform des Paragrafen 219a StGB [1][(taz berichtete)] nun doch, | |
| eine Studie zu den seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen | |
| durchzuführen. Aber was soll denn da bitte rauskommen? Dass das keinen Spaß | |
| macht? Natürlich nicht. Solche Entscheidungen werden ja auch auf Basis | |
| anderer Aspekte getroffen – ob es sich nachher geil und fresh anfühlt, ist | |
| meist keiner davon. | |
| ## Zwischen Waxing und Mani-Pedi? | |
| Der Irrsinn ist, dass in der Debatte den Frauen zweierlei gegensätzliche | |
| Dinge unterstellt werden. Erstens: dass sie in ihren kleinen Köpfen gar | |
| nicht einschätzen können (Männer schon), welch schwerwiegende Folgen ein | |
| Schwangerschaftsabbruch haben kann. | |
| Zweitens: dass man Frauen zu viel Information über diese Eingriffe | |
| unbedingt vorenthalten muss, weil sonst bei der ganzen Leuchtreklame für | |
| [2][die geilen, trendy Schwangerschaftsabbrüche] all die Schwangeren in | |
| Deutschland wie bekloppt die Praxen stürmen und sich mal eben für einen | |
| Abbruch auf die Liege schwingen, weil noch Platz zwischen dem Waxing und | |
| der Mani-Pedi war. Echt – lasst uns doch leben. | |
| In Österreich gab es derweil [3][schon sechs Frauenmorde seit | |
| Jahresbeginn]. Nun wird an Zahlen gezerrt, über „importierte Gewalt“ | |
| gesprochen (FPÖ/ÖVP) und kritisiert, dass die Regierung seit Antritt bei | |
| der Finanzierung von Frauenprojekten massiv gespart hat. Worüber man aber | |
| auch reden muss, ist eine Gesellschaft, die Frauen als unmündige Wesen | |
| behandelt und Männern nicht von Anfang an beibringt, dass sie Frauen nicht | |
| besitzen, nicht bedrohen und nicht bevormunden dürfen. | |
| Lasst uns doch leben. | |
| 2 Feb 2019 | |
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| ## AUTOREN | |
| Saskia Hödl | |
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