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# taz.de -- „Green Book“ von Peter Farrely im Kino: Das Klo benutzen darf e…
> Ein Roadtrip durch die US-Südstaaten der 60er-Jahre. Der Film erzählt die
> Geschichte von zwei Männern, die an- und miteinander wachsen.
Bild: Viggo Mortensen (l.) und Mahershala Ali (r.) spielen in „Green Book“ …
Zwei unterschiedliche Charaktere begeben sich gemeinsam auf eine Reise, die
sie beide zum Besseren verändert. Ein klassisches Format, im Kino gern als
Roadmovie erzählt, das durch die inhärente Bewegung automatisch Dynamik
erzeugt und durch das Stop-and-go einer längeren Fahrt, meist mit dem Auto,
eine organische Szenenfolge erzeugt. Konventioneller, auch harmloser kann
Kino, gerade Hollywood-Kino, kaum sein, insofern mag man Peter Farrellys
„Green Book“ auf den ersten Blick für harmlose Unterhaltung halten, doch
den Qualitäten und Problemen dieses klassischen Roadmovies wird man damit
nicht gerecht.
„Green Book“ erzählt eine wahre Geschichte, zumindest so wahr, wie ein
Unterhaltungsfilm wahr sein kann, der eine historische Episode in 130
Minuten packt. Es geht um zwei Männer, die 1962 in New York aufbrechen, um
für acht Wochen durch den US-amerikanischen Süden zu fahren. Der eine, der
Fahrer, heißt Tony „Lip“ Vallelonga und ist weiß, der andere, sein
Fahrgast, Dr. Don Shirley, ist klassischer Konzertpianist und schwarz.
Tony ist italienischer Abstammung, lebt mit seiner Familie im
Arbeiterbezirk Bronx, ist ungebildet, arbeitet meist als Rausschmeißer in
Nachtclubs und ist vom beiläufigen Rassismus der Zeit geprägt. Don lebt
allein mit seinem Butler in einem Apartment über der Carnegie Hall, mitten
in Manhattan, ist gebildet und umgibt sich gern mit schönen Objekten.
Um finanziell über die Runden zu kommen, nimmt Tony das Angebot an, Don
durch den Süden zu kutschieren, geleitet vom titelgebenden „The Negro
Motorist Green Book“, einem Reiseführer, der Motels und Restaurants
auflistete, in die Schwarze im amerikanischen Süden einkehren konnten,
sofern sie denn überhaupt im Süden unterwegs sein wollten oder mussten.
Denn das sollte man nie vergessen, gerade auch weil der Film selber es
gelegentlich zu vergessen scheint: Anfang der 60er Jahre herrschte im Süden
Jim Crow, sah sich die schwarze Bevölkerung mit blankem, [1][unverhohlenem
Rassismus] konfrontiert, gab es regelmäßig Lynchmorde.
## Eine intime Geschichte
Von all dem ist in „Green Book“ wenig zu spüren, hier beschränkt sich der
Rassismus, der Don Shirley entgegenschlägt, vor allem auf der
Notwendigkeit, in heruntergekommen Motels zu übernachten und nicht in dem
Luxus, den er als erfolgreicher Pianist gewohnt ist. Dass der Blick nicht
auf die Brutalität des Rassismus gerichtet wird, hat einen Grund: Farrelly
will eine persönliche, eine intime Geschichte erzählen, die nicht vom
großen Ganzen erzählt, sondern von zwei Männern, die an- und miteinander
wachsen.
Gespielt wird das Duo von [2][Viggo Mortensen], der zwar Däne ist, aber
dank ausgeprägter Wampe und dickem Akzent ein geradezu idealtypisches
Klischee eines etwas lauten, etwas oberflächlichen, aber doch herzensguten
Italoamerikaners abliefert. An seiner Seite spielt Mahershala Ali, der für
seine Rolle in [3][„Moonlight“ mit dem Oscar] ausgezeichnet wurde und
ebenso wie Mortensen auch in diesem Jahr wieder nominiert ist.
Was kaum verwundert, denn diesem exzeptionellen Darsteller-Duo gelingt es
oft, die konventionelle Struktur der Erzählung, die Klischeehaftigkeit der
Figuren vergessen zu machen. Anfangs beäugen sie sich noch skeptisch, sind
nicht mehr als Zweckgemeinschaft, doch nach und nach kommen sie sich
näher.
## Rassismus als beiläufiges Phänomen erzählt
Das führt zu Szenen, in denen der gebildete Don im Geiste Cyranos Briefe an
Tonys Frau diktiert, die zu Hause in New York für erstaunte Begeisterung
sorgen. Das führt aber auch zu Szenen, in denen Tony entsetzt darüber ist,
dass Don populäre schwarze Musiker wie Aretha Franklin oder Chubby Checker
nicht kennt, ihn in einem Moment erstaunlicher Instinktlosigkeit auf den
Geschmack von gebratenem Hühnchen bringt, einem Produkt, das wie kaum ein
anderes mit dem oberflächlichen Rassismus Amerikas verbunden ist.
In solchen Momenten scheint die Tendenz klar zu sein: So sehr Tony auch
beiläufiger Rassist ist, als viel größeres Problem erscheint es, dass Don
nicht schwarz genug ist. Nicht nur, dass er gebildet ist und lieber Klassik
als Jazz spielt: Erst als er beginnt, sich wie ein „normaler“ Schwarzer zu
verhalten, wird der anfangs reichlich abgehoben wirkende Shirley erst
wirklich zum Mensch.
Über all diese Fragen wird in Amerika seit der Premiere von „Green Book“ im
letzten September gestritten, vor allem deshalb, weil sich Peter Farrellys
Film in einem unübersichtlichen Filmjahr inzwischen zum Geheimfavoriten auf
den Oscar gemausert hat. Diverse wichtige Preise hat „Green Book“ schon
gewonnen, den Golden Globe, die Auszeichnung der Produzenten-Gilde, erhielt
zwar nur fünf Oscar-Nominierungen, doch das muss nichts heißen.
## Weißer Regisseur, weiße Perspektive
Ein zwar konventioneller, aber doch souveräner Unterhaltungsfilm ist „Green
Book“ zwar ohne Frage, doch die Oscar-Verleihung ist in den letzten Jahren
– wie allzu viele kulturelle Debatten – immer mehr zu einem Politikum
geworden, bei dem es weniger auf künstlerische Qualitäten ankommt, sondern
auf die politische Haltung, auf das „woke“-sein. Als Film über das
Verhältnis von Schwarz und Weiß passt „Green Book“ auf den ersten Blick
zwar in den Zeitgeist, doch nicht nur der Regisseur ist ein weißer Mann,
auch die Drehbuchautoren sind Weiße, die hier zu allem Unglück auch noch
eine Geschichte aus weißer Perspektive erzählen.
Und gerade in Zeiten, in denen verstärkt über [4][Fragen der
Repräsentation] diskutiert wird, erscheint dies besonders heikel: Darf ein
weißer Regisseur auf die hier zu sehende Weise über Rassismus im
amerikanischen Süden erzählen? Darf er vor allem eine schwarze Figur dazu
benutzen, um zu erzählen, wie ein weißer Mann seinen beiläufigen Rassismus
überwindet und toleranter wird?
Und vor allem: Ist die Welt, die „Green Book“ zeigt, nicht viel zu
liebreizend? Ist es nicht fahrlässig, Rassismus nur anzudeuten, ihn in
einem eher humoristischen Buddy-Film zu verhandeln, den man durchaus als
Feelgood-Film über Rassismus beschreiben könnte?
## Komplexer, als auf den ersten Blick
Einerseits richtige Fragen, andererseits wird dies den Qualitäten von
„Green Book“ nicht ganz gerecht. Denn immer wieder wird die
Scheinheiligkeit angedeutet, mit der Shirley konfrontiert wird: Zwar wird
sein künstlerisches Talent auch von manchen Weißen, die sich vermutlich für
besonders liberal und weltoffen halten, geschätzt, doch die Toilette im
Haus darf er als Schwarzer selbstverständlich nicht benutzen.
Ohne große Gedankensprünge machen zu müssen, darf man hier durchaus auch an
heutige selbsternannte Liberale in Amerika, aber natürlich auch in
Deutschland denken, die sich für aufgeklärt halten, fremde Kulturen
schätzen und bereisen, deren Weltoffenheit dann aber oft schnell vorbei
ist, wenn die Tochter einen schwarzen Freund mit nach Hause bringt oder
nebenan ein Araber einzieht.
Gerade Mahershala Alis Darstellung des innerlich zerrissenen Don Shirley
ragt über die Konventionen des Films hinaus: Isoliert, allein,
möglicherweise auch mit unterdrückter Homosexualität kämpfend, trinkt
Shirley jeden Abend eine Flasche Whiskey, verbietet es sich, angemessen auf
all den beiläufigen Rassismus zu reagieren, den er Tag für Tag erlebt, um
die Tour nicht zu gefährden, die zwar nur ein Symbol ist, aber vielleicht
doch mehr. Gleiches ließe sich auch über „Green Book“ sagen, der leicht a…
oberflächlich abzutun ist, es in manchen Aspekten auch ist, der aber in
vielem auch deutlich komplexer ist, als es auf den ersten Blick erscheint.
30 Jan 2019
## LINKS
[1] /Eine-Hotline-fuer-veraengstigte-Weisse/!5545906
[2] /Matt-Ross-Indie-Film-Captain-Fantastic/!5325913
[3] /Kritik-an-Oscar-Film-Moonlight/!5396744
[4] /Diversitaet-bei-den-Golden-Globes/!5563506
## AUTOREN
Michael Meyns
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